Festivaldebut - In der "Notte italiana - Münchner Sonntagskonzert" mit dem Münchner Rundfunkorchester gab es viel zu entdecken.
"Notte italiana" war das Münchner Sonntagskonzert, die zweite Operngala innerhalb von fünf Tagen, überschrieben. Bei der dichten Abfolge schlichen sich immer wieder Vergleiche zwischen die Töne - und zwar nicht nur beim singenden Personal. Das Münchner Rundfunkorchester, ebenso Stammgast beim Kissinger Sommer wie das Budapest Philharmonic Orchestra, ist auch ein erfahrenes Orchester in der Begleitung von Opernarien.
Und man musste sagen, dass die Münchner nicht nur das bessere Selbstmanagement haben, sondern auch die größere Präzision. Bei ihnen saß der hohe, bloßliegende Streichereinsatz in der "Traviata"-Ouvertüre exakt. Und die Durchhörbarkeit an lauten Stellen war insgesamt größer.
Die Dirigenten - Johan Arnell am Mittwoch, Jacek Kaspszyk am Sonntag, hatten eher Gemeinsamkeiten: eine etwas unkonventionelle Dirigiersprache und die Tendenz, die
Tempi langsamer zu nehmen. Jacek Kaspszyk hätte etwa bei Verdis Ouvertüre zu "Nabucco" das Tempo nicht derart verschleppend vorgeben dürfen: So kann vor lastendem Pathos kein goldener Flügel auch nur einen Gedanken in die Lüfte heben.
Entdeckungen bei den Stimmen Bei den Stimmen waren Entdeckungen zu machen.
Die Sopranistin Norma Fantini - mit so einem Vornamen muss man ja zur Oper gehen - erwies sich als stimmlich bestens disponiert. Sie sang, was in Italien wohl auch nicht erwartet wird, am Rhythmus entlang, aber immer am Text als Adriana Lecouvreur, als Mimi , als Manon Lescaut: Als sie in "Sola, perduta, abbandonata" nach einer starken hysterischen Phase die Schlussworte "Non voglio morir" sang, war es kurz ganz still im Saal.
Der Tenor Arturo Chacón-Cruz hatte vor zwei Wochen bei
der Missa solemnis noch nicht das große "Aha!" auslösen können, weil er zu sehr forciert hatte. Jetzt waren die Voraussetzungen solistisch besser, und jetzt klappte es. Über Timbre lässt sich trefflich streiten, weil das reine Geschmackssache ist. Denn in der Höhe wird seine Stimme stark metallisch. Und er brauchte auch ein bisschen Zeit, bis er so weit war, die Töne nicht erst einzukreisen, sondern sofort zu treffen.
Aber als das erledigt war, erwies er sich als ein rhythmussicherer, stark emotional singender Gestalter etwa in "Forse la soglia attinse" in Verdis "Un ballo in maschera" oder in "La fleur, qu tu m'avais jetée" des Don José in Bizets "Carmen". Da zeigte er, dass er auch wirklich leise singen kann. Dass er auf der Bühne ein guter Kommunikator ist, bewies er als Puccinis Rodolfo im Duett mit Mimi: "O soave fanciulla". Die letzten Sätze kamen konsequenterweise aus der
Garderobe.
Daniel Kotlinski konnte sich mit seiner stabilen Mittellage gut in Szene setzen in dem schwärmerischen "Vi ravviso, o luogjhi ameni" in Bellinis "La sonnambula", wo er einen schönen Erzählton fand. Als zudringlicher Scarpia im Duett mit Tosca oder als Nilakantha in Délibes' "Lakmé" hätte man sich jenseits seiner Genauigkeit allerdings eine etwas auffälligere emotionale Umsetzung vorstellen können.
Philosophisches zum Schluss Es war mutig, eine philosophische Auseinandersetzung über Gott, wenn auch mit dem Teufel, an das Ende der Gala zu setzen. "Mais ce Dieu, que peut-il pour moi?" ("Aber was kann dieser Gott für mich tun?") lässt Gounod den Faust fragen, der sich schließlich von Méphistophélès zu dem berühmten Pakt überreden lässt.
Aber Chacón-Cruz und Kotlinski konnten die bedrängenden Zweifel des Faust und die in sich ruhende, zynische Selbstsicherheit des Teufels so konkret gestalten, dass sie über den Text hinauswirkten.
Die Zugaben zeigten, wie leicht sich die Stimmung bei allen Beteiligten tut, wenn ein Zug zum Komödiantischen zugelassen wird: Arturo Chacón-Cruz schmetterte "La donna è mobile" aus Verdis "Rigoletto" - und traf den hohen Schlusston dabei besser als Dmitry
Korchak fünf Tage vorher. Norma Fantini schmeichelte sich ein wunderbar scheinheiliges "O mio babbino caro" aus Puccinis "Gianni Schicchi" aus der Kehle. Und Daniel Kotlinski sang "La calunnia è un venticello", die Verleumdungsarie des Don Basilio aus Rossinis "Il barbiere di Sivigia". Sein Lächeln dabei hätte allerdings ein bisschen hinterhältiger sein dürfen. Das Einzige, was fehlte, war "Brindisi" - an beiden Abenden.