Wie man in einem Konzert ein Jahr älter wird

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Happy Birthday for Niu Niu (2. v. l.): Es gratulierten Melvyn Tan, Boyang Shi, François-Xavier Poizat, Philippe Tondre, Iskandar Widjaja und Kian Soltani mit einem kleinen Ständchen. Fotos: Ahnert
Happy Birthday for Niu Niu (2. v. l.): Es gratulierten Melvyn Tan, Boyang Shi, François-Xavier Poizat, Philippe Tondre, Iskandar Widjaja und Kian Soltani mit einem kleinen Ständchen. Fotos: Ahnert

Die Kissinger KlangWerkstatt zeigt Musik als Work in progress.

Für einen war die Kissinger KlangWerkstatt ein besonderer Festtag über das Konzert hinuaus: der chinesische Pianist Niu Niu, Teilnehmer des letztjährigen KlavierOlymps, feierte seinen 18. Geburtstag. Da gratulierten ihm zum Schluss nicht nur seine Kollegen mit einem spontanen "Happy Birthday".
Niu Niu war das beste Beispiel dafür, dass die Idee der KlangWerkstatt nicht das Endgültige, Fertige ist, sondern Musik als Work in progress zu zeigen.
Ludwig van Beethovens A-dur-Sonate op. 101 hat er zwar, von ein paar kleinen nervösen Hakeleien abgesehen, in den Fingern - wie übrigens alle anderen 31 Beethoven-Sonaten auch. Aber dieses gewichtige Spätwerk kommt für ihn einfach zu früh. In der Gestaltung fehlen ihm noch die Mittel, um größere Zusammenhänge zu schaffen und darzustellen. Mit dem rechten Pedal allein ist das nicht zu schaffen.
Eigentlich erstaunlich, dass Melvyn Tan, in diesem Jahr Chef der Werkstatt, ihn nicht zu einer früheren oder ganz anderen Sonate überreden konnte. Erstaunlich aber auch, wie gut Niu Niu den romantischen Geist von Robert Schumanns Drei Fantasiestücken für Violine und Klavier op. 73 erfassen und gestalten konnte. Schwer zu sagen, ob das Eigenentdeckung war oder ob es an seinem Partner lag, von dem er sich anstiften ließ: Iskandar Widjaja bediente sich aus der gesamten Skala der Expressivität vom fast tonlos Leisen im ersten Satz bis zum Fast-Krach im dritten Satz. Da musste Niu Niu ganz einfach etwas Passendes entgegensetzen. Und er hatte sehr gut begriffen, was da zu tun war.

Zu zweit auf einem Hocker

Eine Überraschung waren die Sechs Stücke für Klavier zu vier Händen op. 11 von Sergej Rachmaninoff. Vielleicht spielten die beiden letztjährigen KlavierOlympioniken Boyang Shi und François-Xavier Poizat so gut zusammen, weil die sich den einzigen Klavierschemel teilen mussten. Diese nicht ganz einfachen Sätze, die sich überwiegend in der drangvollen Mittellage abspielen, wo sich die Hände ständig kreuzen, waren mit tollem Zugriff, viel Rhythmus- und Farbgefühl und mit gleichem Atem musiziert. Boyang Shi war auch diejenige, die mit dem Oboisten und mit Schumanns Drei Romanzen op. 94 die KlangWerkstatt eröffnete - eine wunderbare Kombination aus einem lebendig-gepflegten, kreativen Oboenton und einem kongenial tragenden Klavier.
Dass er nicht nur ein großer Gestalter, sondern auch ein ausgezeichneter Techniker ist, zeigte Philippe Tondre mit den Fünf Stücken für Oboe solo von Antal Doráti: höchst komplizierte, aber durchaus witzige Musik. Etwa in der Vertonung der Fabel von der Grille und der Ameise, in der mit Klangfarben Dialogstrukturen erzeugt werden, oder in der dreistimmigen Fuge, die man nur spielen kann, wenn man das versetzte Thema in Splitter zerhackt und in aberwitzigem Tempo ineinander spielt.
Gefühlter Höhepunkt des Konzerts war nicht das a-moll-Klaviertrio von Maurice Ravel mit Iskandar Widjaja, Kian Soltani und Melvyn Tan, mit dem die Werkstatt ausklang. Das war mit seinen fragilen Stimmungen in der Nähe des Jazz hervorragend musiziert. Aber es drohte gelegentlich auseinanderzufallen, weil ausgerechnet Melvyn Tan mit analytisch-nüchternen Spiel die ineinanderfließenden Zusammenhäge aufsplittete.
Nein, der Höhepunkt war das Duo für Violine und Violoncello von Zoltán Kodály. Da schenkten sich Iskandar Widjaja und Kian Soltani nichts, da wurde mit enormem Druck musiziert. Da gab es gespenstische Ausbrüche, verschiedenste Arten des Marschierens, groteske Ecken, bunteste Klangfarben. Es machte einfach Spaß, den beiden Genussmusikern zuzuhören.