Der Folklorechor Nüdlingen-Bad Kissingen unter der Leitung von Dmitry Romanetskjy präsentierte Stücke aus vielerlei Ländern.
Traditionen können etwas Beruhigendes haben, vor allem in den Wochen vor Weihnachten, die gerne als die hektischste Zeit des Jahres bezeichnet werden. Da ist man, wenn man sich diesem Getriebe aussetzt, froh um jede Möglichkeit der Entschleunigung. Der Folklorechor Nüdlingen-Bad Kissingen macht den gestressten Menschen seit vielen Jahren ein solches Angebot: das "Weihnachtliche Chorkonzert" in der Bad Kissinger Jakobuskirche. Wie gerne das angenommen wird, zeigte sich schon daran: Wer nicht rechtzeitig da war, fand nur noch einen Stehplatz im Umgang der Kirche.
Wobei auch die Auswahl der Lieder und die Qualität ihrer Wiedergabe eine wesentliche Rolle spielen. Natürlich sind die Klassiker beliebt, die in manchen Familien auch zu Hause rund um den Weihnachtsbaum angestimmt werden: "Es ist ein Ros entsprungen", "Tochter Zion", "O du fröhliche", "O kommet, ihr Gläubigen" oder "In dulci jubilo". Das sind emotionale Selbstläufer, die der Chor drauf hat, weil er sie jedes Jahr singt. Und dank des hohen Wiedererkennungswertes und der klaren Gestaltung kann man auch ganz entspannt zuhören.
Aber Dmitry Romanetskjy fordert für sich auch den interessierten Zuhörer ein. Nicht ohne Grund heißt das 24-köpfige Ensemble Folklorechor. Denn er zeigt, dass Weihnachten in anderen Ländern auch anders klingt - mit Liedern aus Finnland ("Joulupuu on rakenettu") oder Schweden ("Jul, jul, strålande jul") oder mit dem wiegenden "Luleise, Jesulein" (das allerdings auf Deutsch gesungen). Und man macht die Erfahrung, dass Weihnachten mit umso mehr Freude und weniger ernster Festlichkeit gesungen wird, je weiter man nach Süden kommt.
Das zeigten unter anderem zwei Premieren: Denn für dieses Konzert neu einstudiert waren das getragene russiche "Rogdestwo Twoe" und das schwungvolle "Alilo" aus Georgien. Und dazwischen das raffinierte "Schedrik" aus der Ukraine. Wobei es schon erstaunlich ist, dass der Chor auch alle ausländischen Lieder in ihrer Origialsprache auswendig singt und das mit einer derart klaren Artikulation, dass man die Texte verstehen könnte, würde man nur die Sprache beherrschen.
Wie gut der Chor in allen Registern besetzt ist, zeigten die Lieder, die solistische Passagen enthielten, wie bei "Als ich bei meinen Schafen war", dem Lied eines Anonymus um 1600, in dem ein Quartett aus zwei Sopran- und zwei Altstimmen dem Chor als Echo gegenüber stand. Einen ausgezeichneten Einstand gab der Tenor Matthias Weber, der den Eingang und Ausklang von "Have Yourself a Merry Little Christmas", jenem Lied, das Frank Sinatra auch in Europa bekannt gemacht hat. Keine Selbstverständlichkeit, denn Matthias Weber ist erst seit zwei Jahren Mitglied des Chores.
Aber wirklich höchst bemerkenswert war ein Lied, das gerne unter "ferner liefen" gehandelt wird: "Süßer die Glocken nie klingen. Und das nicht nur, weil die drei Solisten Gudrun Bötsch, Oliver Deininger und Waltraut Hassa die drei Strophen mit geschmeidigem Ton und ruhiger Ausstrahlung - also überhaupt nicht gezwungen - sangen, sondern auch aus einem anderen Grund. Natürlich ist der Text für den Chor mit seinen beiden Wörtern "dong" und "ding" wirklich überschaubar. Und das Problem liegt auch nicht darin, ihn sich zu merken, sondern ihn mit unerbittlicher Genauigkeit und pünktlichem Ausklingen zu singen - und das auch noch gegen die Solisten mit ihren durchgehenden Melodien. Spätestens da zeigte sich der Vorteil des Auswendigsingens: Wer nicht in die Noten schaut, kann sich auf den Dirigenten konzentrieren. Und wer immer mal eine Atempause bekommt, kann auch besser singen. Die verschaffte Waltraut Hassa ihren Kollegen mit eingestreuten Weihnachtsgeschichten und -gedichten.
Nein. Es war ein in jeder Hinsicht animierendes Konzert auf einem für einen Laienchor erstaunlichen Niveau, der nach dem gemeinsam gesungenen "Stille Nacht" mit dem amerikanischen Lied "Der kleine Trommler" noch ein kleines Zeugnis seiner Artikulationskunst zugab. Der Beifall des Publikums war lang und beeindruckt. Und ganz sicher haben noch viele Exemplare der neuen CD des Chores den Besitzer gewechselt.