Was steckt hinter dieser These? Holger Klemm, Experte für Ernährung und Sport, erklärt, wann und für wen das Stretching sogar kontraproduktiv sein kann.
I n Sportlerkreisen ist es seit vielen Jahren üblich, sich vor dem eigentlichen Training erst einmal ausgiebig zu dehnen, um sich locker zu machen. Sportwissenschaftler und Trainer hielten das Dehnen lange Zeit für eine leistungssteigernde Allzweckwaffe. Es beuge Verletzungen vor und schütze vor Muskelkater, hieß es. Was ist dran?
Ergebnis von Studien
Eindeutig belegen wissenschaftliche Studien jedoch nicht, dass das Stretching vor Verletzungen schützt oder dass es einen Muskelkater verhindert. Auch die erhoffte Verbesserung der Beweglichkeit konnte bis heute nicht einwandfrei nachgewiesen werden. Bei bestimmten Sportarten, bei denen Schnellkraft gefragt ist, kann das Dehnen sogar kontraproduktiv sein. Bei Ballsportarten, wie Fußball oder Handball oder auch beim Krafttraining ist ein Dehnen vor dem Spiel oder dem Training nicht zielführend.
Straffung statt
Entspannung
Gerade das klassische statische Dehnen, wie etwa das Vornüber-Beugen, um die Zehen mit den Fingern zu berühren oder auch das Ablegen des Beins auf einer Bank, führt demnach eher zu einer Straffung der Muskulatur statt zur Entspannung oder Lockerung. Der Körper versucht, den Dehnreiz zu kompensieren und ein mögliches Überdehnen zu vermeiden. Er reagiert mit einem Zusammenziehen der gedehnten Muskeln. Das erhöht die Grundspannung und bewirkt somit gerade das Gegenteil.
Schnelle, flexible Bewegungen beim nachfolgenden Training werden dadurch nicht nur eingeschränkt, sondern erhöhen sogar die Verletzungsgefahr. Egal ob Joggen, Fußball, Tennis oder Kraftsport: Wichtiger als sich vor dem Sport zu dehnen, ist das Aufwärmen. Fünf bis 10 Minuten reichen erfahrungsgemäß aus. Dazu genügt es meist, die sportarttypische Bewegung langsam und mit geringer Intensität auszuführen.
Langsam herantasten
Mein Tipp: Beim Joggen in den ersten Minuten behutsam mit niedriger Intensität loslaufen; beim Tennis sämtliche Schlagvarianten ohne Ball durchführen und beim Ballsport lockere Steigerungsläufe ausüben - mal mit, mal ohne Ball.
Wer sich unbedingt vor dem Sport dehnen möchte, dem empfehle ich das flexible dynamische Dehnen. Man verharrt nicht in einer Position, sondern geht in die maximale Dehnposition und versucht durch federnde Bewegungen den Körper auf das folgende Training einzustimmen. Das löst einen sogenannten Muskel-Dehnungs-Reflex aus. Neuere Forschungen legen beim Dehnen den Fokus weniger auf die Muskeln, sondern vielmehr auf das Bindegewebe in der Muskulatur sowie deren Umhüllung - die sogenannten Faszien. Doch ob man nun die Muskeln oder die Faszien dehnt, beim Dehnen gilt wie im gesamten Leben: nicht über die Schmerzgrenze gehen.