Sprung ins kalte Wasser: So versuchten diese Polizisten, ein Leben zu retten

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Michael Simon und Lukas Stark (rechts) von der PI Bad Kissingen haben ohne Rücksicht auf ihre Gesundheit versucht, eine Frau, die in ihrem Auto im eiskalten Wasser eingeschlossen war, zu retten. Das Foto wurde technisch bearbeitet, beide haben den Corona-Abstand eingehalten. Foto: Susanne Will
Michael Simon und Lukas Stark (rechts) von der PI Bad Kissingen  haben ohne Rücksicht auf ihre Gesundheit versucht, eine Frau, die in ihrem Auto im eiskalten Wasser eingeschlossen war, zu retten. Das Foto wurde technisch bearbeitet, beide haben den Corona-Abstand eingehalten. Foto: Susanne Will
Mit einer Seilwinde konnte das Auto geborgen werden. Foto: Dominik Mohr
Mit einer Seilwinde konnte das Auto geborgen werden. Foto: Dominik Mohr
 
Der Moment, in dem die Feuerwehr das Auto aus dem Regenrückhaltebecken zieht.
Der Moment, in dem die Feuerwehr das Auto aus dem Regenrückhaltebecken zieht.
Dominik Mohr
Michael Simon steht nach der Aktion durchnässt, erschöpft, hilflos und frustriert vor dem havarierten Auto. Foto: Polizei
Michael Simon steht nach der Aktion durchnässt, erschöpft, hilflos und frustriert vor dem havarierten Auto. Foto: Polizei
 

Michael Simon und Lukas Stark hatten Dienst, als eine Frau in ihrem Auto im tiefen Wasser versank. Sie dachten nur eins: Wir müssen diesen Menschen befreien. Was sie dann versuchten, macht die Männer zu Helden. Allerdings zu traurigen Helden.

Polizist zu werden steht bei vielen Kindern ganz oben auf der Berufswunschliste. Manche von ihnen entscheiden sich später tatsächlich für den Staatsdienst, verbunden mit Kräfte fressenden Schichtdiensten, belastenden, gefährlichen oder wie jüngst beim Polizisten-Doppelmord sogar tödlichen Einsätzen. Die allermeisten Polizistinnen und Polizisten eint ein Faktor bei der Berufswahl: Sie wollen helfen. Wie Michael Simon (38) und Lukas Stark (28) von der Polizeiinspektion Bad Kissingen. Am Montagabend, 7. Februar 2022, setzten sie ihre Gesundheit aufs Spiel, um eine Frau (36) zu retten, die mit ihrem Auto in einem tiefen und eiskalten Regenrückhaltebecken untergegangen war.

Michael Simon ist Polizeihauptmeister, mit vier Sternen auf der Schulter ein wenig vor seinem jüngeren Kollegen Lukas Stark, Polizeiobermeister. Die Schicht an jenem Montag begann um 13 Uhr mit Routinen. Stark nahm eine Anzeige in Bad Kissingen auf, die Vernehmung und die Sachbearbeitung zog sich. Am Nachmittag bat die Inspektion Bad Neustadt um Unterstützung, ein junger Mann musste ins Krankenhaus begleitet werden. Stark: "In der Nähe von Oerlenbach erreichte uns gegen 17.30 Uhr die Meldung: ,Verkehrsunfall, Pkw in Regenrückhaltebecken'." Stark und sein Streifenpartner erreichten nach kurzer Fahrt den Unfallort. Fast zeitgleich traf auch Michael Simon ein, der mit einem Kollegen gerade auf der Autobahn unterwegs war und mit Blaulicht zum Unfallort raste. Auch die Oerlenbacher Feuerwehr bremste da gerade ihre Einsatzfahrzeuge am Regenrückhaltebecken ab.

Beifahrer konnte sich retten

Michael Simon: "Meine erste Wahrnehmung: Ein Rad des Autos war an der Wasseroberfläche noch zu erkennen, am Ufer kümmerte sich der Rettungsdienst um einen Mann, er war in eine Rettungsdecke gewickelt." Der Beifahrer. Simon: "Ich rannte zum Weiher, ich musste schnell dahin, um die Lage zu sondieren."

Die Lage: Eine Frau hatte auf der B286 die Kontrolle über ihren Wagen verloren. Das Auto war rechts von der Straße abgekommen, hatte sich mehrfach überschlagen und den Zaun zum Regenrückhaltebecken niedergewalzt. Das Auto lag komplett im Wasser.

Keine Sicht unter Wasser

Michael Simon: "Dieser Tümpel war eine gräuliche Brühe. Durch den Aufschlag ist aller Morast durcheinandergewirbelt worden, es war kaum etwas zu sehen." So war es ihm nicht möglich zu eruieren, wo die Fenster sind, die Türgriffe. "Ich bin schwer aus der Ruhe zu bringen. Aber ich stand unter unglaublichem Zeitdruck, denn in solchen Situationen geht es um Sekunden." Die Situation, die Simon im Kopf durchspielte: Hat der Mensch im Inneren den Unfall überlebt? Lebt er jetzt noch? Wie lange schon ist er unter Wasser? Wie lange kann das ein Körper aushalten? Und auch das ging Michael Simon durch den Kopf: Im kalten Wasser sind die Überlebenschancen höher.

"Was mache ich? Was kann ich leisten - was kann mein Körper leisten?" Michael Simon hält beim Erzählen auf der Dienststelle drei Tage später inne. Vermutlich wäre es egal gewesen, was sein Kopf ihm gesagt hätte. Dass er sich verletzten kann; dass er unterkühlt sein wird; dass er eine Lungenentzündung hätte entwickeln können. "Ich wusste ja, dass jede Sekunde, die ich zögere, eine zu viel für den Menschen unter Wasser sein kann." Und er sagt: "Als Polizist ist man bereit, das Risiko für sich selbst einzugehen, um anderen zu helfen."

"Ich habe die Kälte nicht wahrgenommen"

Er zog seine Schutzweste aus. Sein Kollege Lukas Stark tat es ihm gleich, er legte Pistolengurt und Schlagstock weg. Michael Simon: "Ich machte einen Schritt ins Wasser, das Ufer fiel steil ab, mit zwei Zügen war ich am Auto." Ja, natürlich habe er bemerkt, dass das Wasser kalt war. "Aber mehr auch nicht. Mehr hat mir mein Körper nicht signalisiert." Die Gnade eines Adrenalinausstoßes, wie es sein Kollege Lukas Stark ausdrückte.

Er konnte sich auf das Auto knien. "Dann versuchte ich, unter Wasser die Beifahrertür zu öffnen. Die hat sich keinen Millimeter bewegt." Er rief Lukas Stark zu, dass er etwas brauche, um ein Fenster zu zertrümmern. Lukas Stark holte seinen Schlagstock, ging ins Wasser, "ich habe die Kälte nicht wahrgenommen". In der gleichen Zeit hatte ein Feuerwehrmann Michael Simon bereits einen schweren, faustgroßen Schäkel zugeworfen. "Damit wollte ich unter Wasser das Fenster zertrümmern." Dass er sich dabei blutige Kratzer an beiden Händen zuzog, bemerkte er erst später. Aber er konnte da ertasten, dass das Beifahrerfenster bereits durch den Unfall zu Bruch gegangen war.

Feuerwehr mit Seilwinde

Für Michael Simon stand fest: "Da tauch ich jetzt durch." Doch in dem Moment war die Feuerwehr Oerlenbach dabei, ihren Plan umzusetzen: Sie hatten in der Zwischenzeit ein Abschleppseil um ein Rad geschlungen und begannen, mit einer Seilwinde das Wrack aus dem Tümpel zu ziehen. Michael Simon und Lukas Stark schwammen ans Ufer.

Michael Simon: "Ein Feuerwehrler öffnete die Tür griff durch die zerbrochene Scheibe ins Fahrzeuginnere, zerschnitt den Gurt. Erst da sah ich, dass es sich um eine Frau handelte." Leblos. "Sie ist in meinem Alter. Ich ging zu diesem Zeitpunkt offen gestanden davon aus, dass es schlecht um sie steht." Hoffentlich, so dachte er später, hat sie keine Kinder. Michael Simon ist selbst Vater zweier Kinder.

"In mir war nichts außer Frust"

Lukas Stark stand wie Simon tropfnass am Ufer. "In mir war nichts außer Frust." Frust, Hilflosigkeit Enttäuschung darüber, dass sie der Frau offenbar nicht helfen konnten, "ich dachte ja, es sei zu spät". Diese Hilflosigkeit, sagt er später, vergesse er nicht. "Du willst was tun, weißt aber nicht, ob es die beste Lösung ist - aber irgendeine muss her. Und die muss auch Erfolg haben."

Dann geschah ein kleines Wunder: Die Reanimation gelang, die Frau wurde mit lebensgefährlichen Verletzungen in ein Krankenhaus gebracht.

Bis dahin blieben die Beamten Zeugen, waren im Arbeitsmodus mit nassen Klamotten. Auch deshalb, um die Szenerie später dem Sachbearbeiter zu schildern, wenn das Drama ein Aktenzeichen bekommt.

Auf der Dienststelle begann mit dem Erzählen auch die Verarbeitung. Als Michael Simon viel später als üblich nach Hause kam, schilderte er seiner Frau nur das Nötigste. "Ich versuche immer, allzu negative Dinge von meiner Familie fern zu halten." Ein Bedürfnis zu reden hatte er auch nicht. "Ich verarbeite das lieber für mich, auch wenn uns unser Chef natürlich Hilfe von Experten angeboten hat."

Wieder und wieder durchgespielt

Der nächste Tag begann mit der Frühschicht, der Wecker klingelte um 5 Uhr. In der Nacht darauf hat er nur ein paar Stunden geschlafen. "Ich habe alles im Kopf wieder und wieder durchgespielt. Aber viel anders hätten wir es nicht machen können." Aber er denke immer wieder darüber nach, "ob ich nicht ein bisschen schneller hätte sein können? Hätte ich es nicht schaffen können, noch im Wasser den Gurt durchzuschneiden und so die Frau schneller retten können? Das wird für mich immer ein Rätsel bleiben."

Teil einer hervorragenden Rettungskette

Er und sein Kollege werden nicht müde zu betonen, dass sie nur ein Teil einer hervorragend eingespielten Rettungskette gewesen sind: "Es waren die Feuerwehrler, die das Auto mit der Frau rausgezogen haben und die Angehörigen des Rettungsdienst, die sie erfolgreich reanimiert haben."

Dass sie nun viel Lob erfahren, von ihrem Chef Stefan Haschke, aber auch von anderen Dienststellen und Kollegen und Kolleginnen, tue gut. "Aber es ist sehr schwer, damit umzugehen", sagen beide. Und: Als Helden sähen sie sich nicht.

Das sehen Außenstehende wohl anders, wie Dienststellenleiter Stefan Haschke. "Ihr habt etwas heldenhaftes getan." Michael Simon und Lukas Stark haben seit dem Unfall "ein großes Bedürfnis zu wissen, wie es der Frau geht." Stand Montag, 14. Februar 2022, hat sich ihr Zustand nicht verändert, sie schwebte nach wie vor in Lebensgefahr. Michael Simon und Lukas Stark: "Wir wünschen ihr schnelle und vollständige Genesung."