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Scharfschützen: Der unsichtbare Feind


Autor: Ulrike Müller

Wildflecken, Donnerstag, 04. Mai 2017

Mit einer neuen Schießanlage in Wildflecken stärkt die Bundeswehr die Ausbildung von Scharfschützen. Früher mussten Soldaten dafür bis nach Österreich.
Scharfschützen üben auf dem Truppenübungsplatz Wildflecken. Foto: Ulrike Müller


Es regnet, doch Fiete Olbring darf das nichts ausmachen. Hier oben in der Rhön könnte es im Frühling leicht auch noch schneien. Nass und ungemütlich liegen die Wiesen und Wälder auf dem Truppenübungsplatz Wildflecken da. Der Wind weht scharf. Der Hauptfeldwebel liegt schon eine ganze Weile auf dem Gras, und er wird noch eine ganze Weile hier liegen, neben ihm sein Spotter. Scharfschützen sind grundsätzlich zu zweit unterwegs: Einer sucht mit dem Fernglas das Gelände ab, der andere zielt.

Nur ein paar Soldaten sind es, die gerade auf der Schießbahn 15 trainieren. Nach dem Abzug der Amerikaner war sie lange ungenutzt. Die Kleine Sinn fließt unten im Tal, danach steigt das Gelände an. Nichts, was dem ungeübten Beobachter spektakulär erscheint. Das geschulte Auge aber erkennt ein Areal, das sich perfekt für die Ausbildung von Scharfschützen eignet. Stabsfeldwebel Jürgen Platz hat diesen Blick. Er hat die Schießanlage konzipiert.

"Es gibt in Deutschland keine Anlage, die so stark auf Scharfschützen ausgelegt ist", stellt Jürgen Platz fest. In der Tat mussten Scharfschützen bisher auf Österreich ausweichen, um ihre Ausbildung vollständig zu durchlaufen. Dort gibt es einen Übungsplatz in alpinem Gelände, wo das Schießen im negativen Winkel - also auf ein Ziel schräg unterhalb des Schützen - geübt wird. Nun sind die Rhöner Berge nicht gerade die Alpen, deshalb ließ die Bundeswehr einen Turm bauen, von dem aus tief hinein ins Tal geschossen werden kann.


Das Warten auf den richtigen Moment

Ein einzelner Schuss fällt. Fiete Olbring hat die Position gewechselt. Ein Rohbau dient ihm als Deckung. An der hinteren Wand, wohin am wenigsten Licht dringt, kauert er auf ein paar Kisten. Sein Partner hat die Plane über ihn gelegt und sich in eine Ecke des kargen Raums zurückgezogen. Die beiden warten. Überhaupt besteht ein großer Teil des Trainings aus Warten. "Meistens dauert eine Übung eine Woche lang", erklärt Major Gordon Stütz, der Kommandant des Truppenübungsplatzes. Da könne es sein, dass erst am Donnerstag der entscheidende Schuss falle - nachdem das Ziel ausgiebig beobachtet worden sei.

Jürgen Platz nennt Scharfschützen "die feinste Waffe, die eine Armee haben kann, und auch eine der gefürchtetsten". Im Zeitalter ferngesteuerter Drohnen, die den Feind ganz gleich wo auf der Erde töten können, scheint manchem ihr Einsatz überflüssig zu sein. Platz schüttelt den Kopf. "Die Drohne ist der Metzger, der Scharfschütze der Herzchirurg", wählt er einen ungewöhnlichen Vergleich. Der Gegner würde eine Drohne sowohl sehen als auch hören. Im Gegensatz zum Menschen könne sie nicht Tage und Wochen unbemerkt auf den richtigen Moment warten. Zudem richte eine Drohne größeren Schaden an. "Ein Scharfschütze kann mir das Ziel, das ich möchte, aus 1000 Zielen herausholen", sagt Platz.


Alle Schießanlagen sollen umgebaut werden

Mit der Schießanlage für Scharfschützen erweitert die Bundeswehr das Übungsangebot auf dem Truppenübungsplatz Wildflecken. Doch das ist erst der Anfang, nach und nach sollen alle der insgesamt 20 Schießbahnen modernisiert werden. Schießbahn 16 Alpha ist bereits umgebaut worden, nur die Kulissen fehlen noch. Bis zum Sommer geht ein zweiter Sprengplatz in Betrieb. Die Anlagen sollen so realitätsnah wie möglich auf unterschiedliche Szenarien, auf die Soldaten im Einsatz treffen, angepasst werden. Doch genau darin liegt eine große Herausforderung.

"Niemand kann absehen, wie sich die politische Lage entwickeln wird", sagt Stütz. Er möchte noch in diesem Jahr sämtliche Anträge auf Neukonzeption aller Schießbahnen einreichen. Das Genehmigungsverfahren für jede einzelne Schießbahn dauere, erklärt er. Für die Planung sei das Staatliche Bauamt Schweinfurt zuständig - also die Behörde, die mit dem Bau von Straßen und Brücken auch ohne die Bundeswehr gut zu tun hat. Dann erst folge die Ausschreibung, bei der gelegentlich auch heimische Firmen zum Zuge kämen. Stütz geht von zehn bis 15 Jahren aus, bis der Truppenübungsplatz dem neuen Übungskonzept entspricht - Änderungen vorbehalten.

Am Abend packt Fiete Olbring seine Sachen zusammen. Er muss nicht draußen schlafen. Der junge Mann mit den hellen, freundlichen Augen übt für einen Scharfschützen-Wettkampf in Frankreich. Doch dafür allein wird Olbring nicht ausgebildet, er ist international einsetzbar. Wohin er eines Tages geschickt wird, weiß er noch nicht. "Mali vermutlich", sagt er.

Seine Fähigkeiten als Scharfschütze wird er dort brauchen, "nicht nur, um zu töten", erklärt der Kommandant. In Mali würden Scharfschützen gern zur Aufklärung eingesetzt, weil sie sich quasi unsichtbar machen könnten. Zumindest solange, bis der erste Schuss fällt.


Hintergrund: Neuordnung der Truppenübungsplätze

Konzept Ende 2014 legte die Bundeswehr ein Konzept vor, in dem die Weiterentwicklung der Truppenübungsplätze beschrieben wird. Für Wildflecken bedeutet das, dass der Schwerpunkt der Ausbildung auf Infanterie und Spezialkräfte gelegt wird.

Bedeutung Mit der Neuordnung stärkt die Bundeswehr die Ausbildungsdrehscheibe Hammelburg-Wildflecken. Zudem ist die Rhön-Kaserne in Wildflecken Sitz der Truppenübungsplatzkommandantur Süd, von der aus alle Truppenübungsplätze in Süddeutschland sowie der Deutsche Militärische Vertreter Grafenwöhr verwaltet werden.

Investitionen Mit der Neuausrichtung gehen erhebliche Investitionen einher. Allein in Straßen und Gebäude der Rhön-Kaserne steckt die Bundeswehr in den nächsten Jahren ungefähr 50 Millionen Euro. Auf dem Truppenübungsplatz sollen nach und nach alle Schießbahnen umgebaut werden. Wie viel das kosten wird, ist noch nicht absehbar. Kommandant Gordon Stütz geht aber davon aus, dass dafür vermutlich mehr als 50 Millionen Euro nötig sein werden.