Reisen in die Tiefe

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Arcadi Volodos ist nicht mehr der Tastenfeger: Er hat zu einer höchst intensiven Gestaltung gefunden. Foto: Ahnert
Arcadi Volodos ist nicht mehr der Tastenfeger: Er hat zu einer höchst intensiven Gestaltung gefunden. Foto: Ahnert

Der Pianist Arcadi Volodos hat sich vom stürmischen Effektvirtuosen zu einem überlegten Gestalter gewandelt.

Es war zu erwarten gewesen, dass die Sturm-und-Drang-Phase des jungen Arcadi Volodos einmal vorbei sein würde, die Zeiten in denen er den von Horowitz verschwierigten Liszt oder Saint-Saëns für sich selbst technisch noch einmal verkomplizierte und dann in die Tasten drosch. Vielleicht ist er ruhiger geworden, seit er Familienvater ist, vielleicht hat er einfach keine Lust mehr auf pure Virtuosität, vielleicht hat er erkannt, dass er nichts mehr beweisen muss, dass es viel
schwieriger und lohnender sein kann, musikalisch wirklich in die Tiefe zu gehen. Sein Programm signalisierte diesen Wandel schon im Vorfeld.
Aber zunächst gab's Irritationen. Denn Ludwig van Beethovens "Sturmsonate" op. 31/2 klang so völlig anders als sonst. Kein Wunder: Sie war es auch nicht. Volodos hatte kurzfristig auf Thema und Variationen d-moll op. 18b von Johannes Brahms umdisponiert. Leider, muss man sagen, denn das ist nicht Brahms' stärkstes Stück. Er hat es gefertigt, weil Clara Schumann einen Klavierauzszug des langsamen Satzes seines Streichsextetts op. 18 haben wollte. Es ist ein relativ schlichtes Thema, das in den sechs Variationen nie seinen Rahmen verlässt. Dass es sich trotzdem interessant machte, war dem außerordentlich differenzierten Anschlag und den Kontrastierungen des Interpreten geschuldet, der dem Werk so etwas wie virtuelle Tiefe gab.
Reale Tiefe hatten Brahms' Sechs Klavierstücke op. 118. Man musste nicht mit allem einverstanden sein, was Arcadi Volodos machte, etwa im Pedalgebrauch, in Betonungen oder in den Tempi - deshalb gibt es ja verschiedene Interpretationen. Aber es war einfach faszinierend, mit welcher Leichtigkeit er diese schwierigen Sätze spielte, welche Delikatesse auch die kompliziertesten Trillerfigurationen hatten, welche Klangfarben er auch noch in den leisesten Stellen entwickeln konnte. Da gab er durch die Folie der Technik den Blick frei auf einen Menschen, der gemerkt hat, dass es Zeit geworden ist, Bilanz zu ziehen. Da war Brahms plötzlich ganz nahe.
Es gibt auch nur wenige Pianisten, die die neue Schlichtheit Franz Schuberts in seinen letzten Sonaten so substanziell gestalten können wie Arcadi Volodos. Auch hier war es die Intimität des Anschlags, die Zulassung von Persönlichkeit, die es schafften, die Aufmerksamkeit durch die "himmlischen Längen" des ersten Satzes bei Laune zu halten. Denn er hört erst auf, nachdem das wunderbar träumerische Thema wirklich durch alle Tonarten getrieben ist. Aber Volodos fielen immer noch Differenzierungen ein, die neue Beleuchtungseinstellungen brachten. Himmlische Längen werden halt in Ewigkeiten gemessen.

Überraschender Zugriff

Das galt auch für den enorm singenden langsamen Satz, dem Volodos so viel Zeit ließ, dass die Musik ihr Ziel zu verlieren drohte. Aber schon in den glänzend gestalteten Übergriffpassagen, aber vor allem in dem locker federnden letzten Satz wusste man es plötzlich: Das ist ein Zugriff, den die wirklich guten Jazzer haben.
Und zu guter Letzt: Arcadi Volodos wusste, was sich gehört: Er sagte seine vier Zugaben an. Das hat er Grigory Sokolov voraus.