Nach Chemnitz: Rassistische Beleidigungen beim Einkaufen in Bad Kissingen

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Eine Touristin wurde zu Anfang der Woche beim Einkaufen in der Bad Kissinger Fußgängerzone rassistisch beschimpft. Foto: Ralf Ruppert/Archiv
Eine Touristin wurde zu Anfang der Woche beim Einkaufen in der Bad Kissinger Fußgängerzone rassistisch beschimpft. Foto: Ralf Ruppert/Archiv

Nach den Ausschreitungen in Chemnitz wird eine ausländische Touristin beim Einkaufen in der Kissinger Innenstadt rassistisch beschimpft. Mit Kommentar.

Den Kontakt in die alte Heimat hat Michael Un sleber gehalten. Seit 13 Jahren lebt er in Brasilien, arbeitet dort als Journalist und hat eine brasilianische Frau. Zusammen besucht das Paar regelmäßig Unslebers Familie und Freunde in Bad Kissingen. Fremdenfeindlichkeit gehörte dabei zu den Dingen, die ihnen nicht entgegenschlugen - bis jetzt. Während am Sonntag und am Montag Rechtsextreme mit ihrem Hass die Straßen von Chemnitz fluteten, bekam Unslebers Frau Rassismus auch an der Saale auf offener Straße zu spüren. "Was ist nur aus der Stadt geworden?", fragt der Exil-Kissinger aufgewühlt.

Seine Frau, eine Brasilianerin, war allein in der Fußgängerzone einkaufen. Eine fremde Frau sei auf sie zu getreten und habe sie grundlos als "afghanisches Schwein" und "dreckige Negerin" beschimpft. "Das Schlimmste, was es gibt, ist Rassismus. Meine Frau war am Boden zerstört", sagt Unsleber. Er vermutet, dass der verbale Übergriff auch in Zusammenhang mit den Vorfällen in Sachsen steht. Die dort erzeugte Pogrom-Stimmung samt Hetzjagden auf Menschen, die nicht ins Bild der Rechten passen, schürt auch in anderen Teilen des Landes den Hass auf Migranten.

Das zeigt auch der Fall eines jungen Syrers in Wismar (Mecklenburg-Vorpommern), der am Mittwochabend mutmaßlich von drei Rechtsextremen zusammengeschlagen wurde.

"Wir haben den Rechtsextremismus in Deutschland vernachlässigt", und "wir müssen die Gewalt ernst nehmen", betont Hochschulpfarrer Burkhard Hose. Der gebürtige Hammelburger ist in Würzburg tätig und engagiert sich dort seit zwölf Jahren im Bündnis für Zivilcourage. Er kritisiert, dass die Politik und der öffentliche Diskurs zu oft der Logik der Rechtspopulisten folge. Außerdem würden zu stark gewisse Bilder gepflegt, etwa das vom abgehängten, besorgten Bürger. "Diese gibt es zum Teil natürlich schon. Aber gerade das AfD-Klientel ist das eben nicht nur", sagt Hose. Die übrigen Parteien müssten klarer artikulieren, dass Gewaltbereitschaft ein größeres Problem ist.

Betroffen aber distanziert

Insgesamt sieht der Geistliche nicht nur Politik, Polizei und Justiz, sondern die gesamte Gesellschaft in der Pflicht. Bei einem Vorfall wie dem in der Bad Kissinger Fußgängerzone sei es wichtig, dass Passanten eingreifen und Stellung beziehen. Zeugen reagieren zwar oft betroffen, aber eben auch distanziert, nach dem Motto: Das ist dein Problem. Damit wollen sich Hose und das Würzburger Bündnis nicht abfinden: "Wir sagen aber: Das ist unser Thema! Wir wollen nicht in einer Gesellschaft leben, die Menschen aufgrund deren Aussehen oder Religionszugehörigkeit rassistisch markiert."

Gesellschaft aufrütteln

Auch wenn Unsleber den Vorfall nicht zur Anzeige gebracht hat; "Ich finde es richtig, dass es berichtet wird, um andere zu ermutigen, beim nächsten Mal einzuschreiten", findet Manuela Rottmann (Grüne). Menschenfeindliche, rassistische Äußerungen beschäftigen die Bundestagsabgeordnete nicht nur in Berlin, sondern auch im Wahlkreis Bad Kissingen. Oft geht es um Alltagsrassismus oder um Debatten auf Facebook, die am Rande der Strafbarkeit ablaufen. Es melden sich aber auch Bürger, die von der aktuellen Entwicklung verunsichert sind. "Da heißt es dann: Ich bin mit einem Asiaten verheiratet, mein Kind schaut nicht deutsch aus. Mir macht das alles Sorgen", berichtet die Politikerin.

Ressentiments vor dem Fremden

Sie findet es auffällig, dass Menschen dort stärkere Ressentiments gegenüber Migranten haben, wo vergleichsweise wenig Migranten leben. "Weil sie keine Erfahrung mit ihnen haben. Es fehlt ihnen die Erfahrung, dass es Solche und Solche gibt", erklärt Rottmann. Die Leute seien anfälliger für mediale Bilder und fürchten die Figur eines gefährlichen Fremden - auch wenn es dafür keinen rational begründbaren Anlass gibt. "Wir müssen darüber nachdenken, wie wir Erfahrungsräume schaffen", sagt sie. Sprich: Möglichkeiten, wie man das Gegenüber kennenlernt. Wichtig sind aus ihrer Sicht Menschen wie der Bad Neustädter Herzchirurg Umeswaran Arunagirinathan, kurz Dr. Umes, die offen über ihre Flucht und ihre Erlebnisse in Deutschland reden.

Bei der eskalierten Gewalt in Sachsen erwartet sie dass die Gesellschaft dagegen einsteht. Rottmann: "Wir haben eine bittere Lehre aus der Geschichte gezogen. Wenn wir denselben Fehler nochmal machen, ist uns nicht zu helfen". Wenn Menschen von einer Person auf alle schließen, wenn sie auf den Rechtsstaat pfeifen und das Gewaltmonopol in die eigene Hand nehmen, führe das nur in eine Richtung. "Das führt zu Krieg und das führt in den Abgrund. Am Ende bezahlen wir alle."

Toleranz vor der Haustüre

von Benedikt Borst

Natürlich ist Bad Kissingen kein Chemnitz. Hier hat sich weder ein furchtbares Gewaltverbrechen ereignet, noch gab es körperliche Übergriffe gegenüber Migranten. Das, was der brasilianischen Urlauberin in der Innenstadt widerfahren ist, war hoffentlich nichts weiter als ein hässlicher Einzelfall. Trotzdem bleibt ein beklemmendes Gefühl. Im Schatten der Ausschreitungen in Sachsen sinkt auch anderswo die Hemmschwelle, offen rassistisch aufzutreten. Die verrohte Sprache und die Hasskommentare, die die Verfasser sonst anonym im Internet absondern, werden plötzlich in der Fußgängerzone lebendig. Es ist wichtig, dass sich die Gesellschaft couragiert einmischt und sich klar gegen menschenfeindliche Handlungen stellt. Hier in Bad Kissingen, in Hammelburg, in Münnerstadt und anderswo. Warum? Um anderen ein Beispiel zu geben. Menschen lernen in ihrer Heimatgemeinde, was Demokratie und Toleranz bedeuten. Das politische Klima wird stark von den lokalen Akteuren geprägt, gleich ob es Stadt- und Gemeinderäte, ehrenamtliche Funktionäre oder Geschäftsleute sind. Leben diese Menschen Toleranz und Vielfalt vor, ist das ein wirksamer Weg, um Rechtsextremismus vorzubeugen - weil die Jungen von ihnen lernen und es ihnen später vielleicht nachmachen. Egal wie erschreckend die Vorfälle in Chemnitz sind: Wenn sich aktuell zunehmend mehr junge Menschen gegen Menschenfeindlichkeit engagieren, wie es Hochschulpfarrer Burkhard Hose erlebt, dann macht das Hoffnung.