Toleranz-Extremist im Geberland

2 Min
Kabarettist Hagen Rether kommt mit wenigen Utensilien aus: Wasserglas, ein paar Bananen, Putzmittel und -Tücher sowie der Flügel reichen ihm. Bei seinem Auftritt in Bad Kissingen putzte er den Flügel sogar länger als darauf sein großes Können als Pianist zu zeigen. Foto: Ralf Ruppert
Kabarettist Hagen Rether kommt mit wenigen Utensilien aus: Wasserglas, ein paar Bananen, Putzmittel und -Tücher sowie der Flügel reichen ihm. Bei seinem Auftritt in Bad Kissingen putzte er den Flügel sogar länger als darauf sein großes Können als Pianist zu zeigen. Foto: Ralf Ruppert
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

Hagen Rether bringt sein Publikum nicht nur zum Lachen, sondern nimmt es hart ran: Aus seiner Sicht kann jeder etwas tun, indem er wachsam bleibt und Verantwortung übernimmt.

Hagen Rether ist nichts heilig, seine Respektlosigkeit dem Bequemen und den unüberlegt von Generation zu Generation tradierten Verhaltensmustern gegenüber wird nur noch von seinem Zynismus übertroffen. Das mag viele verschrecken, die rund 500 Besucher des Bad Kissinger Kurtheaters jedoch klebten Rether auch nach dreieinhalb Stunden noch an den Lippen - obwohl er nicht zimperlich mit ihnen umging: "Wir übernehmen keine Verantwortung, wir sind moralisch bankrott", lautete eines seiner Urteile. Und eine weitere schonungslose Bestandsaufnahme: "Wir sind ein Haufen selbstgerechter Arschgeigen."

Ernstes statt "Pointenzwang"

Der Essener Kabarettist grenzt sich von seinen Berufskollegen ab, indem er sich nicht dem "Pointenzwang" unterwirft: Vor allem nach der Pause gab's wenig zu lachen, sondern viel Ernstes rund um Konsum, Kirche, Umweltverschmutzung und Gesellschaft. Ganz besonders den Kampf angesagt hat Rether reaktionärer Spießigkeit und Ausgrenzung - seiner Meinung nach bestens vereint in der katholischen Kirche: Der bloße Gedanke an Josef Ratzinger treibt ihm die Zornesröte ins Gesicht, und auch dessen Nachfolger entzaubert er: "Der Papst setzt sich für Arme ein" sei ihm als Minimal-Konsens zu wenig: "Am Ende kommt raus, dass er ein Christ ist", lautet deshalb seine ironische Reaktion.
Hagen Rether leistet sich auf der Bühne eine klare Haltung: Grün wählen und kein Fleisch essen gehören dazu, aber auch auf Flugreisen verzichten und im Supermarkt genau hinschauen. Mehrheitsfähig ist das offenbar (noch) nicht, aus seiner Sicht aber trotzdem alternativlos, damit "uns die Welt nicht um die Ohren fliegt".
"Glauben wir wirklich, dass wir damit durchkommen?" Diese Frage hallt dem Besucher im Kopf nach, schließlich liefert Rether jede Menge Argumente dafür, dass die "Guten" in den westlichen Ländern irgendwann die Zeche für ihre jahrzehntelange Ausbeutung von Mensch und Natur in anderen Teilen der Welt zahlen müssen. Rether wagt den Perspektivwechsel und schaut in Abgründe: Ist nicht nachvollziehbar, dass somalische Fischer zu Piraten werden oder Islamisten morden? "Du kannst keine Idee bombardieren", zeigt Rether die Grenzen der Kriegsführung nach westlichem Muster auf. Und das Gerede von der Wahrheit als erstem Opfer des Krieges lässt er schon gar nicht gelten: "Welche Wahrheit?" Schließlich würden Politiker und Medien die Etiketten gut oder böse, Widerstandskämpfer oder Terrorist willkürlich neu verteilen. "Die Wahrheit muss längst tot sein, damit es zum Krieg kommt", deutet Rether deshalb den Spruch um.
Hagen Rether ist eine Art linksliberaler Toleranz-Extremist: "Einfach in Ruhe lassen" ist sein Rat für den Umgang mit Andersdenkenden. Wenn der Papst also zum Gebet für Juden auffordert, damit diese Jesus Christus als Heiland anerkennen mögen, prangert Rether das als höchstgradig borniert an. Mehr Gelassenheit fordert er unter anderem im Umgang mit Frauen und Homosexuellen.

"Wir wissen genau,was wir tun"

Toleranz ist für ihn aber nicht Gleichgültigkeit: Alles Umweltzerstörende würde er am liebsten sofort verbieten, die Waffen-Industrie dürfte gerne ihre Fabriken in Deutschland schließen und die Zuhörer sollen ihr Leben umkrempeln: Jeder einzelne habe es in der Hand, die Welt ein kleines Stückchen besser zu machen, lautet seine Parole. Wer Angst vor Chlor-Hühnchen habe, solle kein Hühnchen mehr essen, wer Kinder-Sklaverei verabscheue, auf entsprechende Produkte verzichten und wer gegen Fluglärm sei, nicht drei Mal im Jahr in Urlaub fliegen. "Wir können doch die Ackermänner dieser Welt nicht hinhängen für unsere Gier", sagt Rether und appelliert an die Macht der Massse. Denn: "Wir wissen genau, was wir tun, deshalb vergibt uns auch keiner."
Deshalb räumt er auch gerne mit Klischees und Schubladendenken auf: So entlarvt er das Schimpfwort Moralapostel als Ausrede der Verantwortungslosen. Warmduscher? "Ja was denn sonst." Vor allem aber hat es ihm der "Wutbürger" angetan: "Wut bringt gar nichts, Wut kriegt nur Schaum vorm Mund und läuft heiß." Was sonst? "Wir müssen nicht zornig bleiben, wir müssen wach bleiben."
Seine geballte Gesellschaftskritik verpackt der durch Kapitalismus radikalisierte Querdenker Hagen Rether in einen netten Plauderton. "Schön,wieder in einem Geberland zu sein", begrüßte er etwa die bayerischen Zuschauer. Immer wieder unterbricht er sich selbst mit Bemerkungen wie "Haben Sie Winterreifen?" oder "Sind Sie auch froh, dass Sie zu den Guten gehören?" Auch sein virtuoses Klavierspiel und das ausgiebige Putzen des Flügels setzt er vor allem dazu ein, das Publikum immer wieder einzulullen - um es umso öfter und intensiver wieder wachzurütteln.