"Wolkentiere": Warum die Geschichte einer durcheinandergewirbelten Welt doch versöhnlich endet.
Mit der besten Freundin, dem besten Freund die Füße aus dem selbstgebastelten Baumhaus strecken. In den blauen Himmel gucken, Wölkchen zählen. "Ich sehe was, was du nicht siehst" spielen. Pläne schmieden. Das wär's doch! Vom Baumhaus aus Himmel und Erde im Blick haben, das Gute und das Böse. Und jetzt sitzt man mitten in einer jungen Gesellschaft in der Weichtunger Dorfhalle und sieht gebannt zu, wie auf der kleinen Bühne zwei Mädchen - Sina und Marie (Tonia Fechter und Paula Luy) - die Füße aus ihrem Baumhaus strecken und Wolkentiere zählen.
"Wolkentiere" ist ein Theaterstück von Julia Kandzora (40), einer mehrfach für ihre Stücke und Texte ausgezeichneten Theaterautorin aus Berlin. Sie hat die Geschichte im Auftrag des Theaters Maßbach geschrieben. Und nun erlebte das Stück in Regie von Augustinus von Loë seine Uraufführung. In einer Zeit also, in der von den Baumhäusern der Kindheit aus mehr Böses als Gutes zu beobachten ist.
Hoch oben Kraft schöpfen
Das gerade macht Bastionen so wichtig, von denen aus man Kraft schöpfen kann, wenn dort unten wieder einmal alles durcheinandergewirbelt wird. Wald und Baumhaus, zusammen mit zwei vielfältig nutzbaren weißen Vorhängen, entsprangen der Fantasie des Bühnenbildners Peter Picciani. Mit wenigen Mitteln zauberte er ein Refugium aus grün gestrichenen Brettern. Mit Vogelsang und Knistern und Knastern, versteht sich. Die Kostüme hat Birgit Waizenegger entworfen.
Der Wirbel aus der Wirklichkeit dort unten auf der Erde kommt unerwartet in Gestalt eines dritten Mädchens. Alia (Nina Niknafs) schleicht eines Tages mit geschultertem Rucksack durch den Wald und entdeckt dabei das Baumhaus. Sie entpuppt sich als neue Mitschülerin von Sina und Marie.
Offensichtlich ist sie ein Flüchtlingskind, traumatisiert, verängstigt, menschenscheu. Ihre Geschichte bewahrt sie in den Tiefen ihres Smartphones auf, das sie nicht aus der Hand gibt.
Natürlich ist die Neue für die anderen eine rätselhafte Fremde. Sina nennt sie "Wüstenkind" - obwohl sie das nicht ist - und findet sie so faszinierend, dass das Maries Eifersucht weckt. Dramatische Ereignisse, Annäherungen, Abstoßungen, ein Waldbrand und eine lebensgefährliche Situation auf dem Eis folgen. Die Geschichte endet versöhnlich, weil gerade Kinder den Glauben an das Gute in einer durcheinandergewirbelten Welt nicht verlieren dürfen.
Zur rechten Zeit am richtigen Ort
Julia Kandzora legt ihren drei jungen "Heldinnen" Worte in den Mund, die gleichermaßen aus dem Herzen wie aus dem wirklichen Leben kommen. Sie spielt mit der Sprache - mal poetisch, mal nüchtern, mal voller Witz und malt damit wunderschöne Sprachbilder. Die Dialoge sind seelenerfrischend lebendig, die konkrete Fantasie sprudelt pfiffig und verständlich aus den Mündern.