Das Armutsbewusstsein und damit die Spendenbereitschaft der Menschen im Landkreis hat zugenommen. Aber das ist auch nötig. Denn die soziale Schere geht unaufhörlich weiter auseinander.
Die Advents- und Weihnachtszeit ist für Caritas-Sozialberaterin Gabriele Morath keine einfache Zeit, weil sie viel mit Menschen zu tun hat, die mit Wünschen und Erwartungen zu ihr kommen, die sie nicht erfüllen kann. Auch nicht mit den Spenden aus der Aktion Weihnachtshilfe der Saale-Zeitung. Denn die Gelder, die da eingehen, sind für Hilfen zur Selbsthilfe während des ganzen Jahres gedacht, müssen möglichst nachhaltig über das ganze Jahr verteilt
werden.
Aber andererseits hat Gabriele Morath in diesem Jahr etwas festgestellt, worüber sie sich außerordentlich freut: "Die Spendenbereitschaft hat zugenommen, die Menschen sind viel offener und informierter geworden." Sie bekomme wesentlich mehr direkte Anrufe als früher von Leuten, die mit Geld- und Sachspenden helfen wollen: "Da scheint sich im öffentlichen Bewusstsein etwas verändert zu haben." Und da viele Anrufer bei ihren Überlegungen gerade
die Kinder im Auge haben, kann sie auch leichter als früher ganz konkrete Weihnachtswünsche erfüllen, ohne in den Spendentopf greifen zu müssen.
Das Bewusstsein für Bedürftigkeit und Not in der Nachbarschaft, auch wenn sie sich nicht offen zeigt, scheint gewachsen zu sein. Das ist allerdings auch nötig, denn die soziale Schere geht trotz politischer Hochglanzprogramme immer weiter auseinander.
Es ist nicht nur die Altersarmut, die zunimmt; es sind auch immer mehr jüngere Menschen, die in die soziale Abwärtsspirale geraten: meist alleinerziehende Frauen und Männer, die arbeitslos und durch die belastete Situation krank geworden sind und die sich alleinen icht mehr zu helfen wissen, denen das Geld aus Hartz IV und Grundsicherung hinten und vorne nicht reicht, obwohl sie nahezu auf alles verzichten, aber auch ihre Kinder nicht darunter leiden lassen wollen.
Wie
schwer es ist, den festen Boden, den man unter den Füßen verloren hat, wieder zu erreichen, hat sie erst gestern wieder gemerkt. Da war ein junger Mann aus dem östlichen Landkreis bei ihr, zu dem sie durch die Zusammenarbeit mit Kidro in Kontakt gekommen ist: "Das ist eine typische Biographie." Der Mann hatte eine ganz normale Jugend und absolvierte unauffällig die Schule. Aber seine kaufmänniscbhe Lehre hat er abgebrochen, als er mit Rauschgift in Kontakt kam.
Das waren rabenschwarze, verlorene Jahre, die ihn heute noch fest im Griff haben. Er ist, wie so manch anderer, bei Kidro im Metadon-Programm und rutscht daher nicht mehr in die Beschaffungskriminalität ab.
Das bisschen Geld, das er für Gelegenheitsarbeiten und über die Grundsicherung bekommt, wird von Kidro verwaltet. Mit einem Teil werden die aufgelaufenen Schulden abgebaut, den Rest hat er zur freien Verfügung.
Er ist froh, dass sein Leben so wieder eine gewisse Struktur bekommen hat, aber er hat sich halt auch nicht immer im Griff. Wenn nichts mehr geht, hilft Gabriele Morath ihm mit einem Lebensmittelgutschein. sie tut das gerne, aber auch mit einem gewissen Bedauern: "Was er genauso dringend bräuchte wie Lebensmittelgutscheine, das ist eine Gesprächstherapie.
Denn er ist umgeben von seiner Vergangenheit, hat keine Möglichkeit, im Hier zu sein." Was er mit fachlicher Hilfe finden müsste, sind Selbstvertrauen, Verlässlichkeit und den Respekt der Umgebung. Er hätte Perspektiven, denn eigentlich weiß er, was er gerne machen würde. "Aber der Schritt dorthin ist für ihn alleine noch viel zu groß."
Wenn man Gabriele Morath nach Ecken im Landkreis fragt, in denen sich die Armut konzentriert, dann sagt
sie, dass sie sich eigentlich gleichmäßig über die Region verteilt. Aber dann nennt sie doch zwei Kulminationspunkte: Wildflecken und Hammelburg. Die Begründung wirkt zunächst wie ein Luxusproblem: Dort gibt es billige Wohnungen: die Angebote in der ehemals amerikanischen Wohnsiedlung in Wildflecken und die der sozialen Wohnungsbaugenossenschaften in Hammelburg.
Aber die Freude über den kostengünstigen Wohnraum schlägt bei den Mietern spätestens dann in Beklemmung um, wenn die Temperaturen sinken: "Dann kommen auf die Leute Energiekosten zu, mit denen sie nie gerechnet haben." Das ist kein Wunder, denn die Häuser wurden mit einfachsten Mitteln hochgezogen, als Energie, insbesondere Heizöl, noch kein belastender Kostenfaktor war, als eine gute Isolierung noch nicht gefragt war.
Da kommen die Menschen, die ohnehin
nicht die geringste finanzielle Reserve haben, sehr schnell an den Punkt, an dem sie die Rechnungen nicht mehr bezahlen können, und leben dann in der ständigen Gefahr, im Dunkeln und Kalten sitzen zu müssen. Erst vor drei Tagen hat ein Verwaltungsgericht den Stromliefergesellschaften das Recht zugesprochen, säumigen Kunden den Strom abzustellen. Das verschärft die Situation.
Da ist Gabriele Morath froh, dass sie mit Hilfe der Leserspenden den Betroffenen mit einer Anzahlung helfen kann, damit sich die Gesellschaften auf langfristige Ratenzahlungen einlassen . Und Zeit gewinnt, um günsitgere Lösungen zu finden.