Das Supergedenkjahr der europäischen Geschichte - unter anderem brach vor 100 Jahren der Erste Weltkrieg aus - war für die Geschichtslehrer des Jack-Steinberger-Gymnasiums Anlass, Kollegen und Schüler zu einem Vortrag über das Aufkommen radikaler nationalistischer Strömungen in den Jahrzehnten vor diesem Ereignis einzuladen.
Referent war Prof. Wolfgang Altgeld von der Universität Würzburg, Lehrstuhlinhaber für Neueste Geschichte.
Bereits das Thema des Vortrags signalisierte, dass sich Altgeld nicht auf die deutsche Perspektive beschränkte, sondern einen internationalen Vergleich wählte und dabei auch auf die Radikalisierung des Nationalismus in anderen Ländern, z.B. in Frankreich, Großbritannien, Italien und Serbien einging.
Ein typisches Kennzeichen für diesen radikalen Nationalismus sind sozialdarwinistische Vorstellungen und Rassentheorie, wie sie etwa in Arthur de Gobineaus "Essay über die Ungleichheit der Menschenrassen" formuliert werden und in abgewandelter Form auch in England oder bei den "Wagnerianern" in Deutschland verbreitet waren. Eng verknüpft mit diesen sozialdarwinistischen Vorstellungen ist auch die Forderung nach einem expansiven Imperialismus, der vielfach als Möglichkeit gesehen wurde, die Krisen der modernen Industriegesellschaft zu entschärfen. Allerdings, so betonte Wolfgang Altgeld, dürften bei all diesen Gemeinsamkeiten radikaler Nationalisten die unterschiedlichen Ausprägungen in einzelnen Ländern nicht übersehen werden.
Technikbegeisterung Kritisch setzte sich Prof. Altgeld mit der These auseinander, den Nationalismus und den daraus entstandenen Faschismus als Ideologie der Antimoderne oder als reaktionäre Weltanschauung einzustufen. Viel wirksamer für die öffentliche Wahrnehmung des Nationalsozialismus als die "Blut- und Bodenromantik" sei die Technikbegeisterung einzustufen. Die Vordenker des radikalen Nationalismus sahen ihre Theorien als moderne Antwort auf die Probleme der industriellen Massengesellschaft.
Ihre Bewegung erschien modern, weiol sie die modernen Medien geschickt zur Mobilisierung der Massen zu nutzen verstand und ihr bewusst war, dass eine politische Bewegung nur dann erfolgreich sein konnte, wenn sie die ungelösten sozialen Probleme der Industriegesellschaft lösen würde.
Prof. Altgeld erwies sich als profunder Kenner der europäischen Nationalismusgeschichte, der auch den Nichthistorikern im Publikum auf anschauliche Weise aufzeigte, welch fatale Strömungen vor dem Ersten Weltkrieg in Europa aufkamen. Mit anschaulichen Beispielen und überraschenden, teilweise ironischen Querbezügen zur Gegenwart, zog er das Interesse der Zuhörer auf sich.
Rolf Walter