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Musik auch mal zu Fuß erleben


Autor: Thomas Ahnert

Bad Kissingen, Mittwoch, 01. Juli 2015

Der Kissinger Sommer machte mit einem Wandelkonzert im Rossini-Saal, im Kurtheater und in der Erlöserkirche Station.
Noch zwei Ragtimes: Li Biao und seine Percussionstruppe mit (von links) Ni Fan, Alexander Glöggler, Philipp Jungk, Eunbi Jeong und Lukas Böhm beim Abschlusskonzert in der Erlöserkirche. Foto: Ahnert


Auch wenn es erst das zweite Mal war: Die Wandelkonzerte des Kissinger Sommers vermitteln ein bisschen von der Leichtigkeit des Seins. Ein bisschen (oder auch mehr) Musik hören, ein bisschen spazieren gehen, sich zwischendurch ein bisschen genussvoll stärken - so sollte das Leben immer sein.
Obwohl keineswegs nur leichte Kost geboten wurde. Denn gleich das erste der drei Konzerte bediente im Rossini-Saal die Kammermusik: Das Beijing-Trio mit Feng Ning (Violine), Trey Lee (Violoncello) und Sa Chen (Klavier) eröffnete mit Ludwig van Beethovens Klaviertrio Es-dur op. 1. Das war ein Musizieren, wie es sich der damals noch junge Neu-Wiener Sprudelkopf vorgestellt hat: mit frischem, kräftigem Zugriff, mit starken Phrasierungen und flotten Tempi. Sa Chen ergriff sofort die Initiative, beherrschte die Tempi und den Vortrieb, Feng Ning spielte in seiner bekannten engagiert-ausdrucksstarken und präzisen Art. Trey Lee - schwer zu sagen, ob er der Jüngste in dem Trio ist - hielt sehr gut mit: Er zog sich etwas in die Position des Beobachtenden, Reagierenden zurück.

Verschwindender Mozart

Hochinteressant war das Mozart-Adagio des lettischen Komponisten Arvo Pärt, eigentlich eine Musik des Verlierens. Denn der Komponist entwickelt in langsamen Schritten und spannenden, sehr gut ausgehorchten Klangbildern Mozart-Zitate und mozartähnliche Zitate von ihm selbst, und immer wenn man glaubt, man habe sie gefasst, verschwinden sie in zum Teil schmerzhaften Dissonanzen und Disharmonien.
Bei dem Klaviertrio C-dur op. 87 von Johannes Brahms hatte man dann doch den Eindruck, dass das Trio noch nicht allzu lange zusammenspielt. Vom Virtuosen her war das einwandfrei musiziert, aber es fehlte noch die Balance, die abgesprochene Gestaltung. Da gingen Nuancen und Strukturen oft in der Lautstärke unter.
Abmarsch ins Kurtheater! Nach einer angenehmen Stärkung gab's gesungene Pralinen aus Kunstlied, Oper und Operette, Lieder und Arien von Strauss, Lehár, Bizet, Gounod, Verdi, Tschaikowsky und das unverzichtbare "Non ti scordar di me" von Ernesto de Curtis.

Gegenläufige Entwicklung

Das ganz große Kino war es nicht mit den beiden Tenören. Sung Min Song hat eine sichere, offene Stimme. Immerhin singt er im Brotberuf im Chor der Bayerischen Staatsoper in München, und da muss man erst einmal hinkommen. Was ihm noch etwas fehlt neben einer stärkeren Arbeit mit den Konsonanten, ist die individuelle Emotionalität des Solisten und eine mitspielende Gestik und Mimik. Aber bei Tschaikowskys Lenski-Arie "Kuda, kuda vi udalilis" zeigte er schon eindrucksvoll, wohin er sich entwickeln kann.

Entwicklungen

Etwas enttäuschend war Kejia Xiong. Der Luitpold-Preisträger von 2010 hat sich am Stadttheater Hagen nicht wirklich weiterentwickelt. Er entwickelt sich mittlerweile in Richtung Bariton und tat sich nicht nur deshalb mitunter schwer mit den Höhen. Und bei seinen Operettenliedern hatte er zwar die passende Gestik drauf, aber was die versprachen, löste die nicht allzu große Stimme nicht ein. Da war es an dem fürsorglichen Mas simo Guidetti am Flügel, für die entsprechenden Impulse zu sorgen. Und weiter ging's. Vor der Erlöserkirche gab's für die Erschöpften erst einmal Kaffee und Gebäck. Und dann ging's hinein in das pure Musikvergnügen. Li Biao und seine Percussionisten Ni Fan, Alexander Glöggler, Philipp Jungk, Eunbi Jeong und Lukas Böhm erwarteten die Besucher.

Zündendes Musizieren

Die Kirche ist aufgrund ihrer Akustik ja wirklich prädestiniert für Konzerte dieser Art. Aber es waren vor allem der musikalische Zugriff, die unbegrenzte Virtuosität und das sichtliche Vergnügen am eigenen Tun, die das Publikum sofort begeisterten mit Stücken wie "Mudra" von Bob Becker, der raffiniert Militärmusik mit pakistanischen und indischen Rhythmen und Klängen mischt. Oder mit Vivaldis D-dur-Konzert für Laute, Streicher und B. c., bei dem Li Biao auf dem Marimbaphon wie wild geworden den Solopart spielte, Lukas Böhm am Vibraphon den Basso continuo übernahm und die anderen die Streicher - mit durchaus verblüffenden Klangergebnissen.
Ein Innehalten im Übermut gab es, als Li Biao, jetzt ganz allein, "Für Ed" spielte: eine sehr persönliche Hommage an seinen Kollegen und Freund Edgar Guggeis, Percussionist bei den Münchner Philharmonikern, der vor fünf Jahren plötzlich gestorben ist. Aber dann war wieder Übermut wie mit den vier Ragtimes mit allem, was auf Schlag Geräusche macht, und mehreren Autohupen. Da ging's nicht aus ohne zwei Zugaben von Bach und Piazzolla.
Die letzte Etappe führte in das Restlicht eines langen Tages.