Einer Psychopatin ausgeliefert

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Nicht nur für Fans von Stephen King: Ingo Pfeiffer und Sanda Lava fesseln die Besucher mit überzeugendem Schauspiel. Fotos: Sebastian Worch
Nicht nur für Fans von Stephen King: Ingo Pfeiffer und Sanda Lava fesseln die Besucher mit überzeugendem Schauspiel.  Fotos: Sebastian Worch
Erst fürsorglich, dann grausam: Annie am Bett ihres Patienten, dem Bestsellerautoren Paul Sheldon, den sie verehrt.
Erst fürsorglich, dann grausam: Annie am Bett ihres Patienten, dem Bestsellerautoren Paul Sheldon, den sie verehrt.
 

Der Thriller-Klassiker "Misery" von Stephen King im Theater Schloss Maßbach ist ein Psychodrama, das unter die Haut geht - was nicht nur am Drehbuch, sondern auch an den hervorragenden Schauspielern liegt.

Für Fans von Stephen King - und das waren nicht wenige - war schon der Weg hinauf zum Theater Schloss Maßbach eine passende Einstimmung: Lauert hinter den Bäumen im dunklen Park nicht Unheil, ist der Erker am Schloss nicht jener dunkle Turm, in dem der Meister des Horrors Blut und Tränen fließen lässt? Bergen die grauen Mauern nicht Not und Tod, führen die knarrenden Türen nicht geradewegs ins Verderben?
Als der Vorhang im intimen Theater dann aufgeht, droht geheimnisvolles Gewirr, drohen Blätter, Äste, Gestrüpp vor dem Fenster. Bühnenbildnerin Anita Rask Nielsen wirft unheilschwangere blaue Schatten ins karg eingerichtete Zimmer. Es war also alles gerichtet für einen schaurigen Abend auf der unterfränkischen Landesbühne im Schloss Maßbach.
Doch es sollte ein wenig anders kommen. Weniger brutale Szenen als erwartet, dafür mehr Psychodrama. Vor allem aber total fesselnde Schauspielkunst machten den Abend selbst für Freunde gepflegten Horrors zu einem Erlebnis.


Mehr Tiefgang als Horror

Bestsellerautor Paul Sheldon will seine populäre Romanfigur Misery sterben lassen, hat sich in ein Bergdorf zurückgezogen, um Ideen für neue Figuren zu sammeln. Auf der Fahrt zurück in die Zivilisation verunglückt er und wird von Annie Wilkes gerettet.
Sheldon hat Glück, Annie ist zwar etwas seltsam, aber sie war Krankenschwester, ist ein Fan des Autors und vor allem dessen Serienheldin Misery. Ihr Idol pflegt sie zunächst aufmerksam, als sie aber erfährt, dass "ihre" Romanfigur in der letzten Folge stirbt, muss der hilflose Patient die dunkle Seite ihres Charakters erfahren. Sie zwingt den ans Bett gefesselten Schriftsteller die Misery-Saga fortzusetzen, beginnt mit kleinen Gemeinheiten ihr Opfer zu tyrannisieren und offenbart sich mehr und mehr als skrupellose Psychopatin. Langsam schleicht sich Grauen in den Rollstuhl, an den Sheldon gefesselt ist, und er hegt den Verdacht, dass es eine Mörderin ist, die ihm da die Tabletten reicht...


Außenseiter

Stephen Kings Romane leben in erster Linie von der Spannung, aber Misery gehört zu den tiefgründigeren Geschichten, in denen der Erfolgsautor vor allem mit komplexen Empfindungen von Außenseitern spielt. Er nimmt den Leser mit auf eine abgründige Reise in die verletzten Gefühle einer Verwirrten.
Auf schmalem Pfad balancieren die zwischenmenschlichen Beziehungen der beiden völlig unterschiedlichen Charaktere. Er lässt Paul und Annie sich annähern, hoffen, lässt sie zweifeln, straucheln, bis sie in einem beängstigenden Psycho Spiel auf eine Katastrophe zusteuern.


Spiel mit Licht und Schatten

Der Engländer Simon Moore hat aus dem Roman ein schlüssiges Theaterstück gemacht, das allerdings ein wenig Anlauf braucht. Gut, dass da Regisseur Friedrich Bremer viele Möglichkeiten des Theaters ausspielt. Die Dialoge werden in kurze Intervalle geteilt, die Hintergrundmusik tut ihr übriges, um Stimmung zu erzeugen.
Dazu leuchtet Stefan Schoder mit ständig veränderten Lichteinstellungen die Bühne wirkungsvoll aus, liefert mal drohende Schatten, düsteren Dämmer oder auch lichte Momente als Spiegelbild der Stimmungen des ungleichen Paares. Heitert im ersten Teil noch ausgespielte Ironie die Szenerie dann und wann auf, setzt die Inszenierung nach der Pause ganz auf den fesselnden äußeren und inneren Kampf durch psychische Grausamkeit und physische Brutalität bis zum unerwarteten Ende.
Die Rolle der Annie scheint auf den ersten Blick dankbar. Weit über zwei Stunden Bühnenpräsenz, ein vielschichtiger Charakter, wechselnde Stimmungen, emotionale Ausbrüche. Aber es ist nicht so einfach, die innere Zerrissenheit glaubhaft darzustellen, aber ohne auf der anderen Seite zu überzeichnen Das erfordert eine Mimin wie die restlos überzeugende Sanda Lava. Ihre Wandlung von der betulich, fürsorglichen Krankenschwester über die tief getroffene verletzte Seele, bis hin zur grausamen Psychopatin mit dem Beil in der Hand, ist in jeder Szene ausdrucksstark vermittelt, Gänsehaut inbegriffen.


Packender Schlussmonolog

Mit Ingo Pfeiffer hat sie einen Charakterdarsteller an ihrer Seite, mit dem sie schon in "Endlich allein" prächtig harmonierte, und der die Zuschauer mit hoch sensiblem Spiel auch dieses Mal restlos überzeugte. Als Schriftsteller Paul Sheldon gelingt es ihm, die Zuschauer von Minute zu Minute intensiver in das Stück geradezu hineinzuziehen. Obwohl er ans Bett oder später an den Rollstuhl gefesselt ist, also die Bühne als Darstellungsraum nur wenig nutzen kann, gelingt es ihm durch pointierte Sprechweise und kleine wirkungsvolle Gesten seine zerrissene Gefühlwelt auszudrücken. Das macht Pfeiffer großartig. Sein Schlussmonolog als ..., (aber das wollen wir an dieser Stelle noch nicht verraten) geht so unter die Haut, dass einige Sekunden Schweigen herrscht, bevor Riesenapplaus die Schauspieler samt Ensemble zigmal auf die Bühne holt.