Auch wenn sich der Kissinger Winterzauber programmatisch vom Kissinger Sommer absetzen soll, was sicher eine richtige Entscheidung ist, hat er sich ausgerechnet mit der Reihe "Junge Streichquartette", einer der klassischsten aller Gattungen, einen Magneten geschaffen, der in zunehmendem Maße ein ganz eigenes Publikum anzieht.
Man kann den Umzug der Reihe aus dem Weißen Saal in den Rossini-Saal aus akustischen und atmosphärischen Gründen bedauern, denn ersterer ist für Streicher-Kammermusik schlechterdings ideal. Aber es entschädigt natürlich die Beobachtung, dass er für das Konzert mit dem Minetti-Quartett aus Österreich einfach zu klein gewesen wäre.
Sie waren dieses Mal die ersten, die in den Ring stiegen: Maria Ehmer (1. Violine), Anna Knopp (2. Violine), Milan Milojicic (Viola) und Leonhard Ro czek (Violoncello) schlossen sich 2003 zusammen und waren schon sehr schnell und sehr erfolgreich international unterwegs. Heute sind sie angekommen, etabliert, gefragt, obwohl sie beispielsweise bei der Produktion von Tonträgern ungewöhnlich zurückhaltend waren.
Und doch ist es spannend zu beobachten, dass in diesem Ensemble immer noch Bewegung, immer noch Entwicklung ist.
Das zeigt sich schon an der kleinen Trennlinie, die zwischen den Männern und den Frauen des Quartetts verläuft: Milan Milojicic und Leonhard Ro czek sind die beiden Extrovertierten - ersterer in seiner Spielgestik, die sich immer auch ein bisschen an das Publikum wendet, letzterer in seinem pointierten Zugriff und in seinen leicht distanzierten, ironischen Phrasenschlüssen, die in Mozarts "Jagdquartett" KV 458 ja auch nicht der schlechteste Interpretationsansatz sind.
Hochdemokratisches Ergebnis Sie fielen vor allem deshalb auf, weil Maria Ehmer und Anna Knopp sehr stark auf die Musik und ihren Gesamtklang orientiert waren, weil sie sich sozusagen ganz in den Dienst der Musik stellten und als Individuen zurücktraten. Das Ergebnis war dadurch hochdemokratisch, weil sich Maria Ehmer nicht als Primaria in den Vordergrund drängte.
Aber insgesamt war die Musik zwar perfekt musiziert, aber auch ein bisschen zu sehr zurückgenommen, ein bisschen zu glatt, ein bisschen zu konventionell. Vor allem im letzten Satz hätten von der 1. Violine ein paar befeuernde Impulse ausgehen können. Obwohl: Im langsamen Satz, in dem eigentlich nichts passiert, derart die Spannung zu halten, wie das die Minettis schafften, da gehört schon viel dazu.
Ganz anders war der Gesamteindruck bei Mendelssohns Streichquartett f-moll op. 80. Da merkte man die intensive Beschäftigung des Quartetts mit dem Werk bis zur CD-Reife. Da wurde wirklich mit Leidenschaft musiziert, das war entschlackte Romantik pur im Sinne einer emotionalen Auseinandersetzung. Da wurde deutlich, dass sich Mendelssohn in diesem Werk mit dem Tod seiner Schwester Fanny auseinandergesetzt hat, der er mehr verdankte als allen Zelters zusammen.
Diesen Zorn gegenüber dem Schicksal, aber auch diese Resignation, in die der immer wieder abtauchte, waren hochdramatisch und außerordentlich differenziert gestaltet. Da legten sich die vier Musiker miteinander an, spielten gegeneinander und trotzdem aufeinander zu. Da ging es nicht mehr um einen runden Gesamtklang oder schönen Ton, sondern um emotionale Wirkung. Der Kontrast zur Zugabe, dem langsamen Satz aus Mendelssohns 1. Streichquartett, hätte nicht größer sein können: Die verstörte naive Verliebtheit des damals 20-Jährigen klang aus jedem Akkord.
Ein Satz als Höhepunkt Den Mittelpunkt (und für manchen auch Höhepunkt) des Konzerts bildete ein einzelner Quartettsatz: Wolfgang Rihms "Grave", dem 2005 verstorbenen Bratscher des Alban-Berg-Quartetts, Thomas Kakuska, gewidmet. Ein bewegendes Stück Musik, das mit fernen Totenglockenakkorden beginnt.
Dann schweigt die Bratsche, wird wahrnehmbar durch ihr Fehlen, bis sie sich leise wieder hineinschleicht und sich zunächst noch im Hintergrund hält, mehr Farbe als Klang. Rihm ist hier nicht der Gefahr erlegen, die Bratsche auf einen Denkmalsockel zu stellen, sondern er macht sie nur schlaglichtartig zur Stimmführerin in einer gelegentlich ins Tonale geratenden Auseinandersetzung, in der die Musik oft nur noch Geräusch ist. Die Minettis spielten dieses kleine, sehr persönliche Requiem mit geradezu andächtiger Konzentration und Präzision, zwangen das Publikum zum Zuhören und nahmen es mit in eine schwierige Welt.