Mehr wäre möglich
Autor: Thomas Ahnert
Bad Kissingen, Donnerstag, 09. Juli 2015
Trotz eines internationalen Staraufgebots bei der Operngala hatte es die Musik schwer, das Publikum von den Stühlen zu holen.
Eine Operngala ist ja eigentlich eine Veranstaltung, die es gar nicht geben dürfte: Da werden Arien und Szenen aus ihrem Zusammenhang innerhalb einer durchkomponierten Handlung gerissen und ausgestellt. Und immer kommt die Frage auf: "Was passiert jetzt eigentlich?" Aber die Entschädigung kann groß sein: Arien, mit denen die großen und kleinen Stars sich im positiven Sinn produzieren können, wo sie zeigen können, was sie können.
Und wo sie das Publikum aufmischen können.
Probleme mit dem Aufmischen
Und genau damit, mit diesem Aufmischen hat der Kissinger Sommer immer wieder Probleme gehabt. Und das lag nicht zu allererst an den Sängern, die immer ihr Bestes gaben, auch nicht jetzt an Vesselina Kasarova (Mezzosopran), Genia Kühmeier (Sopran) und Dmitry Korchak (Tenor). Das Grundübel sind meistens die Programme, die möglichst frei gehalten werden von musikalischem Übermut und mitreißenden Stoffen. Natürlich fragt man bei den Solisten ab, was sie gerade drauf haben, aber das ist ja nicht alles. Johan Arnell am Pult des Budapest Philharmonic Orchestra dirigierte ein bisschen Mozart zu Beginn, weil man das so macht, meistens die Figaro-Ouvertüre wie auch jetzt. Dann ein bisschen Verdi, weil man an dem bei einer Operngala einfach nicht vorbei kommt. Aber ansonsten war das Programm ausschließlich auf die französische Oper des 19. Jahrhunderts fokussiert, also auf eine ziemliche Spaßbremse.
Nichts gegen Franzosen! Es gibt wunderbare französische Lieder. Aber für die Oper ist die Sprache schon problematisch: Der Sänger oder die Sängerin sind noch nicht gebacken, die einen nasalierten Vokal halten können. Ganz abgesehen davon, dass sogar die Franzosen ihre eigenen Opern, nicht nur die pompöse Grand Opéra, schon bald nicht mehr modern fanden.
Ungünstige Dramaturgie
Aber es lag auch an der Programmdramaturgie: Gerade hatte Dmity Korchak das Publikum zu den ersten lauteren Bravorufen animiert, als die Pause kam. Und nach dem letzten Gong musste er erst einmal als Herzog von Mantua seine verlorene Liebe beklagen.Außerdem: Werthers (Jules Massenet) Frage: "Pourquoi me réveiller?" ("Warum weckt ihr mich?") - fast - am Ende der Gala ist kein Nährboden für den frenetischen Schlussbeifall und höchst pikant platziert.
Vielleicht wäre alles besser gewesen, wenn Johann Arnell nicht ständig gebremst hätte. Die überflüssigerweise eingeschobene Carmen-Suite war so gedehnt, dass sie dem Orchester sichtlich keinen Spaß mehr machte. Und die Solisten mussten sich immer wieder eine Portion Extraluft suchen.
Auf Vesselina Kasarova konnte man gespannt sein - und auch ein bisschen erschrocken. Denn die Mezzosopranistin hatte zu Beginn als Hélèna la blonde (Offenbach) mit ihrer Stimme und deren Sitz zu kämpfen. Aber Technikfuchs, der sie ist, sicherte sie die einzelnen Töne ab und gab sie dann frei mit ihrer immer noch wunderbaren, auch in der Tiefe enorm substanziellen Stimme. Die Löcher, die dabei entstanden und in die sie auch einmal selber fiel, verdeckte sie mit ihrer enormen Bühnenpräsenz und ihrer Ansprache des Publikums. Als Dalila und Carmen war sie dann die große Dramatikerin, die man erwarten durfte. Kleine Beckmesserei: Zu Massenets Charlotte passte ihre Stimme nicht.
Was Vesselina Kasarova an Expressivität zuviel hatte, hatte Genia Kühmeier zuviel an Zurückgenommenheit. Man hatte beinahe Angst, ihr zu nahe zu treten, wenn man ihr zuhörte. Aber die langsamen Arnellschen Tempi kamen ihrer Gestaltung des Leisen natürlich enorm zugute. Und wer seine Angst überwand, hörte trotz gewisser rhythmischer Probleme außerordentlich innige und schlüssige Darbietungen der Gräfin Almaviva, der Antonia (Offenbach) und der Micaéla (Bizet).
Am Dirigenten vorbei
Dmitry Korchak war mal wieder gut drauf, ihm gelang eigentlich alles. Er zeigte, dass ihm seine Arbeit Spaß macht. Und er zog alle Register der sängerischen Verblüffung, schmetterte, verzierte, oktavierte als Don Ottavio, Alfredo Germont, Herzog von Mantua, Nadir und Werther. Und manchmal gelang es ihm sogar, im charmanten Blickkontakt mit der Konzertmeisterin das Tempo an Johan Arnell vorbei ein bisschen anzuziehen. Vier Zugaben waren vorbereitet: Genia Kühmeier sang als Rusalka den Mond an, Dmitry Korchak beklagte sich über die trügerischen Frauenherzen, Vesselina Kasarova kam noch einmal als Carmen auf die Bühne. Und schließlich spielte das Orchester, gleichsam als Symbol für die deutsch-ungarische Beziehung, wie Johan Arnell meinte, den Ungarischen Tanz Nr. 56 von Johannes Brahms.
Das Publikum feierte die Solisten und das Orchester, das sich ein bisschen unter Wert verkaufen musste. Und auch Johan Arnell, der bekannt gab, dass er gerade seine letzte Operngala dirigiert hatte.