Die Praxisklasse an der Anton-Kliegl-Mittelschule ist die einzige ihrer Art im gesamten Landkreis. Selbst in schwierigen Zeiten kamen die meisten Absolventen unter, heuer haben sieben von acht ihre Lehrstelle schon sicher.
Für Stéphan und Anthony Cailloux (beide 16) war Schule lange Zeit eine Tortur: "Wir waren zunächst zwei Jahre in Bad Bocklet, das lief nicht so gut", erinnert sich Anthony. Danach wechselten die Zwillingsbrüder aus Großenbrach an die Montessori-Schule nach Sandberg. Die ersten drei Jahre waren gut, dann ging's aber bergab - mit den Leistungen und der Motivation. "Wir haben von einem Kumpel von der Praxisklasse gehört", erinnert sich Stéphan.
Das war für beide ein Glücksfall: Heute haben beide einen Ausbildungsvertrag in der Tasche, Stéphan hatte sogar die Auswahl aus drei Stellen und entschied sich für den Traumberuf vieler Jungs: Kfz-Mechatroniker.
Bewerber und Betrieb kennen sich Stéphans Bruder Anthony freut sich auf seine Ausbildungsstelle als Hochbaufacharbeiter bei "Hofmann Bau" in Haard. "Das war damals mein erstes Praktikum in der 8.
Klasse erinnert er sich. Zwischendurch lernte der 16-Jährige dann viele andere Berufe kennen, aber am Ende kehrte er zur Arbeit mit Beton und Mörtel zurück.
Auf dem Bau könnte er in Zukunft seinen jetzigen Mitschüler Thorben Reifenberg treffen: Er hat sich für eine Dachdecker-Lehre entschieden. "Ich bin gerne draußen an der frischen Luft", begründet er seine Entscheidung.
Der 15-jährige Bad Kissinger und sein zukünftiger Lehrherr kennen sich schon gut: Thorben absolvierte in diesem Schuljahr zehn Wochen Praktikum bei der Firma "Wiedamann", zusätzlich jeden Mittwoch. Auch Alexander Schmidtke (15) aus Bad Kissingen ist über die Praxisklasse zu seinem Ausbildungsplatz als Maler und Verputzer gekommen.
"Der Betrieb muss nicht die Katze im Sack nehmen, sondern kennt den Bewerber", nennt Lehrer André Prechtl einen der Vorteile der
Praxisklasse an der Anton-Kliegl-Schule. Er und Diplompädagogin Hilda Wischnewski leiten die P 8/9, die im Schulamtsbezirk einzigartig ist. Deshalb kommen die Schüler auch aus dem gesamten Landkreis: von Thundorf bis Hammelburg und von Bad Kissingen bis Oberwildflecken. "Die Eltern entscheiden, wer zu uns kommt, natürlich in Abstimmung mit den Schülern", sagt Prechtl über das Verfahren.
Oft nach langem
Leidensweg "Zu uns kommen Schüler, die Zeit ihres Lebens eine auf den Deckel bekommen haben", berichtet Prechtl. Schlechte Noten in der Schule würden oft auch zu Ärger in der ganzen Familie führen. In der P-Klasse laufe es dann meistens besser: "Mit den Noten aus der Regelklasse hätte ich den Abschluss nicht bestanden, hier lief es dann viel besser", berichtet etwa Thorben, dass er in der Praxisklasse zum ersten Mal Zweier oder Dreier schrieb.
"Herr Prechtl erzählt das eben nicht nur einmal, sondern bis wir es verstehen", ergänzt Stéphan. Die besseren Leistungen liegen aber natürlich nicht nur am Lehrer, sondern auch an einem entrümpelten Lehrplan: Wegen der vielen Praktika fallen die Praxisfächer in der Schule weitgehend aus, Englisch ist ganz gestrichen und bei allen anderen Fächern könne er sich auf "ausgesuchte Inhalte" konzentrieren, berichtet Prechtl.
Für Schulleiter Harald Bötsch ist die Erfahrung immer wieder erstaunlich: "Die Schüler glauben wieder an sich und merken, dass sie was können", berichtet er von mehr Selbstbewusstsein und Selbstsicherheit.
Die Praxisklasse gibt es bereits seit mehr als zehn Jahren an der Schule - zunächst als Pilotprojekt, mit Einführung der Mittelschule wurde die Klasse dann fest installiert (siehe auch Info-Kasten). Die Schülerzahl ist begrenzt auf 15.
Aktuell sind neun Neuntklässer und sechs Achtklässer aufgenommen. Ein Neuntklässer wiederholt die Klasse, einer geht ins Berufsgrundschuljahr, die sieben anderen haben alle eine Lehrstelle in der Tasche. Für das kommende Schuljahr gebe es bereits Neu-Anmeldungen, aber fünf Plätze seien noch frei, berichtet Harald Bötsch.
Sehr gut sei auch die Zusammenarbeit mit den Betrieben in der Region, berichtet Diplompädagogin Hilda Wisch newski von der
Gesellschaft zur Förderung beruflicher und sozialer Integration (gfi). Mehr als 200 Firmen würden Plätze zur Verfügung stellen, weitere könnten sich aber gerne melden. Wisch newski hat ihr Büro direkt neben dem Klassenzimmer der P-Klasse. Gemeinsam mit Prechtl besucht sie die Schüler während der Praktika im Betrieb, spricht mit den Schülern über Sorgen und Perspektiven, schreibt Bewerbungen oder hält Kontakt zu den Eltern.
"Das ist
rundum ein Erfolgskonzept", ist Bötsch froh über die P-Klasse an seiner Schule. Das zeige auch die Quote der Schüler, die eine Lehrstelle bekommen, die trotz schwieriger Jahre in der Vergangenheit bei rund 75 Prozent lag.
Rund um die Praxisklasse Beratung P-Klassenlehrer André Prechtl und Diplompädagogin Hilda Wisch newski stehen interessierten Schülern und Eltern
für Auskünfte in Sachen P-Klasse jederzeit zur Verfügung. Eine Terminvereinbarung ist möglich über das Sekretariat der Anton-Kliegl-Mittelschule, Tel.: 0971/ 7854 910, per E-Mail an
wischnewski.hilda@sw.gfi-ggmbh.de oder über die Homepage der Schule.
Förderung Das Projekt Praxisklasse wird unter anderem über den
Europäischen Sozialfonds mit rund 30 000 Euro pro Jahr unterstützt. Gefördert wird die Praxisklasse zudem vom Landkreis und der Stadt Bad Kissingen sowie dem Staatlichen Schulamt. Weitere Informationen zum Projekt gibt es unter
www.esf.bayern.de oder wwwsozialministerium.bayern.de/esf/bayern