In Florian Zellers Komödie "Die Wahrheit" verirrt sich Helmut Zierl in einem Lügenlabyrinth und nimmt den Zuschauer mit.
"Was ist Wahrheit?" Die berühmte Frage des Pontius Pilatus wurde auch am Samstagabend im Kurtheater nicht beantwortet, obwohl die Klärung eigentlich angeboten war: "Die Wahrheit" heißt die Komödie, die der Pariser Florian Zeller 2011 am Théâtre Montparnasse in seiner Heimatstadt herausgebracht hat. Aber schon der Untertitel verrät, dass es da um eine ziemlich komplizierte Sache geht: "Von den Vorteilen, sie zu verschweigen, und den Nachteilen, sie zu sagen."
Der 33-jährige Florian Zeller ist der Shooting Star der französischen Theaterszene, und wenn man das Stück gesehen hat, weiß man warum. In dieser Komödie in sieben Szenen wird ein Ehebrecher, die heimliche Identifikationsfigur nicht nur der französischen Männer, der heimliche Sympathieträger, in einer derart gnadenlosen Weise demontiert, wie man das zumindest in Frankreich bisher noch nicht gekannt hat.
Realistisches Dialogstück Zum anderen ist "Die Wahrheit" ein realistisches Dialogstück, in dem eigentlich außer Reden nichts passiert, das auch mit einem sparsamen, aber modern-wirkungsvollen Bühnenbild auskommt, das aber trotzdem außerordentlich spannend und fesselnd ist, weil die Gespräche nicht nur höchst geistreich und witzig sind. Sondern auch, weil nicht nur der Ehebrecher, sondern auch der voraus wissende Zuschauer demontiert wird: Am Anfang weiß man ja genau, wie es ausgehen wird - am Ende weiß man gar nichts mehr.
Florian Zeller nutzt eine ganz realistische Ausgangssituation und auch Sprache. Der Auftakt passiert jeden Tag tausende Male: Michel, ein etwas älterer Mann und Alice, eine jüngere Frau treffen sich in einem Hotelzimmer - mehr oder weniger regelmäßig seit acht Monaten.
Beide sind verheiratet, aber nicht miteinander: der Geschäftsmann Michel (Helmut Zierl) mit der Lehrerin Laurence (Karin Boyd), die Ärztin Alice (Susanne Beckhemer) mit dem seit wenigen Wochen arbeitslosen Finanzmanager Paul (Uwe Neumann), dem erklärtermaßen besten Freund von Michel. Die Eingangsmusik suggeriert den Tatort Paris, aber er könnte überall sein.
Es beginnt wie fast immer Den Beginn kennt man: Alice möchte die Beziehung beenden, weil sie Paul gegenüber allmählich ein schlechtes Gewissen hat. Paul möchte weiter machen. Dass vor allem der sich allmählich in ein Lügengebäude verstrickt, aus dem er nicht mehr herauskommt, ist zu erwarten. Aber Paul steigert sich durch die Verdrehung des Blickwinkels auch immer mehr in die Opferrolle, weil außer ihm jeder alles gewusst, aber nie mit ihm geredet hat.
Von seinem besten Freund, den er seit acht Monaten betrogen hat, ist er am allermeisten enttäuscht. Und der bringt das Fass zum Überlaufen, als er Michel erklärt, dass er mit Laurence schon viel länger ein Verhältnis hat.
Aber so, wie er es sagt, weiß man als Zuschauer nicht so genau, ob es wirklich stimmt, zumal es Laurence Michel gegenüber mit Vehemenz abstreitet. Aber als er ihr am Ende erklärt, dass Paul in Kürze eine neue Stelle in Stockholm antritt, reagiert sie, kaum sichtbar, erschrocken und enttäuscht. Aber man weiß wieder nicht, ob Michel das nur erfunden hat, um sie auf die Probe zu stellen oder einfach nur zu verletzen. Das Ende erinnert an den Scherbenhaufen von "Così fan tutte" - nur ist der wesentlich übersichtlicher.
Florian Zeller hat sich ja die Gemeinheit geleistet, immer nur zwei Personen zusammenzuführen.
Eine Aussprache aller Beteiligten, die man zumindest am Ende erwartet hätte, findet ja nie statt. Die wachsende Atemlosigkeit, mit der Michel zwischen seinen drei "Gegnern" hin und her hechelt, um Risse zu kitten, Löcher zu stopfen und seine Ehre zu retten, überträgt sich auf den Zuschauer.
Hohes Tempo bis zum Schluss Und Peter Lotschak, der die Komödie für das Euro-Studio Landgraf inszeniert hat, nutzt diese Schwungkraft aus, indem er die Handlung mit hohem Tempo verdichtet. Indem er andererseits aber das Tempo umso spürbarer macht, als er die Brüche und Stopps deutlich herausarbeitet: die 1000 Gegenfragen, die vor allem Michel immer wieder stellt, um sein Gegenüber aus dem Konzept zu bringen, um nicht auf den Punkt kommen zu müssen, die Räusperer und Ablenkungsmanöver aller Art.
Dem Schauspielerquartett schien die Sache großen Spaß zu machen. Die vier spielten den alles andere als einfachen Text mit größter Konzentration und Präzision. Und sie genossen es, das Publikum zu verunsichern. Schließlich konnten sie ja selbst nicht wissen, ob sie gerade Wahrheiten oder Lügen erzählten. Der Text verriet auch ihnen das nicht. Und so mussten sie ihr Spiel oft im Sowohl-als-auch halten. "Ich möchte, dass der Zuschauer es schwer hat, sich für eine Wahrheit zu entscheiden", schreibt Florian Zeller. Das ist ihm unter großem Beifall bestens gelungen.