Nach einem Motorradunfall, bei dem er beinahe ums Leben gekommen wäre, ist ein heute 30-jähriger Mann wieder zurück im Leben. Das verdankt er dem Sport, sagt Thomas Gensler über sich, und radelt - täglich.
Sport ist die beste Therapie: Dass ich mich bewegen kann, motiviert mich heute immer wieder aufs Neue." Vor elf Jahren gaben die Ärzte dem damals 19-jährigen Thomas Gensler aus Arnshausen nach einem Motorradunfall kaum eine Über lebenschance. Jetzt, Ende August, startet er auf seinem Liegedreirad bereits zum zweiten Mal zu einer Bäder- und Rehatour des baden-württembergischen Krebsverbandes. Sein Ziel: Knapp 900 Kilometer durch Deutschland radeln. Am 3.
September werden er und seine Mitradler beim Zwischenstopp in der Lebenshilfe Werkstatt in Nüdlingen empfangen.
Kurzeitig schon hirntot
"Es war mein Leichtsinn", erinnert sich Gensler an seinen schweren Unfall zwischen Oerlenbach und Ebenhausen. Er wäre fast an den Folgen gestorben. "Die Ärzte hatten kurzzeitigen Hirntod festgestellt und machten meiner Mutter keine Hoffnung.
Maximal 20 Prozent." Fünf Wochen lag Gensler im Koma. Nur seiner Jugend habe er sein Leben zu verdanken, meinten die Ärzte später.
Frust und Aggressivität
Ein halbes Jahr Reha folgte, "ich war am Leben, aber ein Schwerstpflegefall und an den Rollstuhl gefesselt." Wieder zuhause gab es für den Jungkoch keine Aussicht auf einen Job. Frust kam hoch. Schließlich Aggressivität.
Früher stark übergewichtig, hatte man Gensler in der Reha auf 86 Kilo heruntergebracht. Doch daheim war der Weg zum Kühlschrank frei. "Ich fraß mir wieder 112 Kilo an."
Die Wende
Dann kam die Umschulung zum Bürokaufmann und die Erkenntnis, für das neu gewonnene Leben etwas tun zu müssen.
"2007 ging ich regelmäßig ins Fitnessstudio und nahm 30 Kilo ab." Nach Ende der dreijährigen Umschulung kaufte sich der inzwischen 24-Jährige, der damals beim Laufen noch große Probleme mit dem Gleichgewicht hatte, ein Liegedreirad und nutzte die Zeit der Arbeitslosigkeit für Trainingsfahrten. "Jeden Tag 30 bis 50 Kilometer, egal wohin, Hauptsache Fahrrad." Vor drei Jahren fand Thomas Gensler endlich Arbeit in der Nüdlinger Behindertenwerkstatt der
Lebenshilfe. Dort steht er seitdem an einer computergesteuerten CNC-Fräsmaschine und fertigt Teile für die Industrie.
Training, sooft es nur geht
Seine Freizeit gehört dem Fahrrad. Neuerdings fährt Gensler sogar wieder mit einem Elektro-Zweirad und schaffte kürzlich die knapp 90 Kilometer hin und zurück zum Kreuzberg.
"Den Motor brauche ich eigentlich nicht mehr, höchstens wenn's stark bergauf geht." Solche Touren sind das einzige Training für die Bäder- und Rehatour vom 28. August bis 5. September, die ihn und seine Sportkameraden mit oder ohne Behinderung von Bad Rappenau über acht Kurorte wieder an den Startpunkt führen wird.
Veranstalter ist der Krebsverband Baden-Württemberg mit Unterstützung der Landesrentenversicherung.
die eine solche Radtour heuer schon zum achten Mal für chronisch kranke, behinderte und gesunde Radfahrer als Inklusionsfahrt organisieren. "Zeigen, was möglich ist", ist das Motiv. Gensler ist nach seinem Erstversuch 2014 heuer zum zweiten Mal dabei.
Lebensfreude und Tatendrang
"Sport ist die beste Therapie", wiederholt der 30-Jährige.
"Ich wäre ohne den Sport sowohl neurologisch als auch physiologisch weit weg von meinem jetzigen Stand." Gensler strahlt heute Lebensfreude, Tatendrang und Zuversicht aus. In quälend langen Jahren hat er gelernt: "Medikamente sind das Eine, Familie und Umfeld das Andere. Den Rest macht der Sport." Seitdem er täglich Rad fährt, ins Fitnessstudio geht und beim Krafttraining an der Beinpresse bis zu 160 Kilogramm drückt, hat er eine "Wahnsinnsentwicklung" gemacht.
Vor allem seine erste Bädertour "war ein richtiger Booster für mich, körperlich und geistig."
Ein besonderer Augenblick
Täglich 100 Kilometer Radfahren hatte er oft besser weggesteckt als seine Kameraden. Besonderes Training braucht er für die kommende Tour nicht. "Es gibt kein besseres Training für eine Radtour als Radfahren.
Jeder Kilometer ist für mich Gold wert." Diesmal ist die Rhönüberquerung eine Herausforderung für ihn. Am meisten freut er sich auf den Empfang der Radler am 3. September in seiner Nüdlinger Werkstatt: "Das macht mich stolz." Zurecht.
100 Prozent schwerbehindert
Vor zehn Jahren saß Gensler monatelang nur im Rollstuhl. Seitdem ist ihm 100-prozentige Schwerbehinderung bescheinigt.
"Heute habe ich dafür 100 Prozent mehr Lebensqualität", erinnert er sich an eine "langweilige Ausbildung zum Koch und massive Unsportlichkeit". "Der Radsport ist heute mein Leben." Mit seiner Lebensgefährtin aus der Nüdlinger Werkstatt plant er künftig Urlaubsreisen mit dem Rad. Seine unbändige Motivation hat einen Grund: "Ich habe wieder Puls. Ich bin am Leben. Ich kann mich bewegen."