Dreieinhalb Stunden Harry Rowohlt im Rossini-Saal - das erforderte einiges an Sitzfleisch und Geduld. Denn viel, aber nicht alles war flüchtiger Effekt. Deshalb lohnte sich das Aussitzen.
"Ich saufe nicht mehr." Für Harry Rowohlt war das die Topnachricht, die musste er gleich zu Beginn seiner Session im Rossini-Saal los werden. Na gut. Schön. So neu ist das auch nicht mehr. Und das Publikum sollte doch erwarten dürfen, dass auch ein Kleinkünstler einigermaßen nüchtern ist, wenn er die Bühne betritt.
Wenn er sie dann besoffen verlässt, sollte dieser Rausch allerdings auch nur inszeniert sein.
Aber was konnten man von Harry Rowohlt, dem Enfant terrible der verlegenden High Society denn erwarten? Schwierig. Bei Wikipedia firmiert er als deutscher Schriftsteller, Kolumnist, Übersetzer, Rezitator und Schauspieler, der seine Auftritte früher "Schausaufen mit Betonung" nannte, "da er während der Lesung geistige Getränke zu sich nahm." Seit er seit 2009 wieder liest und dabei nur Wasser verbraucht, heißen sie "Betonung ohne Schausaufen." Jetzt muss halt die Erinnerung helfen.
Was man ohne Widerspruch sagen kann, ist: Harry Rowohlt ist ein glänzender Übersetzer von englischer und amerikanischer Literatur für Kinder und Erwachsene. Er hat mit der Sprache immer wieder kreative Raufereien angezettelt und wunderbare Siege davon getragen. Und er kann auch sehr pointiert mit der deutschen Sprache als Quelle umgehen, wie seine freilich immer seltener werdenden Veröffentlichungen zeigen. Ob er ein guter Schauspieler ist? Für eine Rolle in der "Lindenstraße" muss man nicht das Max-Reinhardt-Seminar absolviert haben.
Aber als Kleinkünstler spaltet er die Menschen - nicht in Ablehner und Befürworter, sondern jeden einzeln. Für einen Kabarettisten ist er zu unpolitisch. Seine Frage, warum bei der Hamburger Elbphilharmonie nicht der Hartmut Mehdorn mitgemacht hat, das sei doch seine Handschrift, war der einzige politaktuelle Beitrag.
Bewährte Scherzmodule
Wie er überhaupt kein Anhänger der Aktualität oder des Spontanen zu sein scheint. Er hat seine Scherzmodule, die er schon seit Jahren an den richtigen Stellen einsteckt, etwa seine Aussagen über die "Anschleimphase" oder seine Angewohnheit, sich vor der Veranstaltung vor die Türe zu stellen, um die Leute reinzutreiben. Das kommt alles sehr routiniert. Und man merkt es.
Dass Harry Rowohlts Lesungen keine Lesungen sind, dass er Bücher eigentlich nur zum Festhalten braucht, weiß man vorher - in dem Fall die alten Kolumnen "Pooh's Corner", von denen die letzten 2009 in der "Zeit" erschienen sind, und Andy Stantons Kinderbuch "Sie sind ein schlechter Mensch, Mister Gum", das er übersetzt hat. Aber es ist ja seine Masche, sofort vom Hundertsten ins Tausendste zu kommen. "Sie sind ein Paganini der Abschweifungen" hat einmal ein Kritiker gesagt. Im bundesweiten Abschreibekarussell mutierte das dann zum "Papageno der Abschweifungen". Auch nicht schlecht. Irgendwie hat Harry Rowohlt sowieso mehr mit einem Vogelfänger zu tun als mit einem Teufelsgeiger
Das große Problem ist halt, dass man als Zuhörer nicht wirklich gefordert wird. Harry Rowohlt hat keinen roten Faden, an dem der Zuhörer seine vorauseilende Fantasie erproben könnte. Er hat durchaus gute Pointen - natürlich nicht alle - aber er entwickelt sie nicht weiter. Damit macht er sich's leicht, aber nicht dem Publikum. Freilich, man kann mit seinen Gedanken leicht abschweifen, und wenn man wieder einsteigt, hat man wenigstens nicht Wesentliches versäumt - wie bei der Filmmusik.
Andererseits hat Rowohlt lange Anläufe zu seinen Pointen, die er geschickt hinter Stimmimitationen verbirgt. Die Pointe kann man nicht verpassen, denn dann schaut Rowohlt wie ein grimmiger Triumphator, und das Publikum weiß, dass es jetzt lachen darf oder soll. Und da Rowohlt auch zwischen den Pointen immer mal grimmig schaut, wird auch viel gelacht. "Eine Stunde hätte genügt", zitiert Rowohlt einen Kritiker, natürlich aus dem sparsamen Schwabenland ("Schwaben lachen alles bis zum letzten Pfennig ab"). Der Mann hat Unrecht: Die dreieinhalb Stunden im Rossini-Saal sind schon recht. Sie könnten nur substanzieller sein. Aber dann gehen dreieinhalb Stunden auch an die Substanz. Kürzlich, bei Martin Buchholz im Kurtheater, hat man das gemerkt.
Trommeln für den Büchertisch
Vielleicht ist das Problem, dass Harry Rowohlt zu allererst ein Selbstvermarkter ist, der immer mitgedacht werden muss, der sich gerne vor seine Pointen stellt, der sich am liebsten selbst auf die Schulter klopft. Wobei man das mit dem Selbstvermarkter durchaus wörtlich nehmen kann. Jeder sechste Satz ist ein undiskreter Hinweis auf den gut bestückten Büchertisch vor dem Saal, "wo ich auch schon in der Pause signieren werde." Und er droht gerne: "Ich bin ein Verkaufsgenie."
Aber es gibt durchaus Momente, in denen man weiß, dass man etwas verpasst hätte, wenn man nicht gekommen wäre: insbesondere dann, wenn sich Harry Rowohlt Texten von Kollegen widmet. Etwa dem Gedicht "It's All the Same to the Clam" von Shel Silverstein, das er kongenial übersetzt hat: "Das ist doch der Auster so wurscht" und das er mit Verve vorträgt. Oder ganz zum Schluss dem grotesken Kurzmonolog "Knolls Katzen" von Jan Neumann, in dem ein Mann kurz vor Vorstellungsbeginn im Theater am Handy in eine organisatorische Katastrophe getrieben wird. Da merkt man, dass Harry Rowohlt sich auch mal zurücknehmen kann, dass er in seinem Humor auch sehr ernsthaft sein kann.