Hans-Josef Fell: "Ich glaube, dieser Winter wird hart"

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Im Garten von Hans-Josef Fell in Hammelburg scheinen die Krisen dieser Welt weit weg. Aber natürlich steckt der ehemalige Bundestagsabgeordnete als Experte für erneuerbare Energien mittendrin im Geschehen. Uns hat er erklärt, warum die Merkel-Regi...
Im Garten von Hans-Josef Fell in Hammelburg scheinen die Krisen dieser Welt weit weg. Aber natürlich steckt der ehemalige Bundestagsabgeordnete als Experte für erneuerbare Energien mittendrin im ...
Im Garten von Hans-Josef Fell in Hammelburg scheinen die Krisen dieser Welt weit weg. Aber natürlich steckt der ehemalige Bundestagsabgeordnete als Experte für erneuerbare Energien mittendrin im Geschehen. Uns hat er erklärt, warum die Merkel-Regi...
Susanne Will/Archiv

Schon seit Jahren setzt sich der ehemalige Bundestagsabgeordnete Hans-Josef Fell für den Umstieg auf 100 Prozent erneuerbare Energien ein. Seine Meinung zur Energiekrise ist eindeutig. An eine Blackout-Situation glaubt er aber nicht.

Der ehemalige Hammelburger Bundestagsabgeordnete Hans-Josef Fell (Grüne) setzt sich schon seit Jahren für den Ausbau der erneuerbaren Energien ein. Seiner Meinung nach seien die Versäumnisse der Regierung unter Kanzlerin Merkel schuld an der jetzigen Krise und auch wir im Landkreis Bad Kissingen hätten die Chance verpasst.

Die Bundesnetzagentur warnt uns dringlichst, Gas zu sparen, Kanzler Olaf Scholz sagt, wir müssten uns keine Sorgen machen. Wie schätzen Sie die Situation auf dem Energiemarkt ein? Kommen wir sicher durch den Winter?

Hans-Josef Fell: Wir werden durch den Winter kommen. Ich sehe eine große Solidarität und Bereitschaft bei vielen Menschen, jetzt auch tatsächlich Energie zu sparen. Es geht dabei nicht nur um Erdgas, es geht auch um Strom, Erdöl und Kohle in der Stromerzeugung. Ich glaube, dass dieser Winter hart wird, aber dass wir es schaffen, nicht in eine sogenannte Blackout-Situation zu kommen. Allerdings nur mit der Bereitschaft der Bürgerinnen und Bürger und gleichzeitig einer schnellen Forcierung des Ausbaus der erneuerbaren Energien.

Hätten wir durch einen früheren Ausbau der erneuerbaren Energien eine solch große Abhängigkeit von Russland verhindern können?

Es wurde unter den Regierungen von Kanzlerin Merkel das Schreckgespenst aufgebaut, die erneuerbaren Energien wären zu teuer. Minister Altmaier hat 2013 eine Billionen Euro als Kosten in den Raum gestellt. Heute zahlen wir mit den Energiepreissteigerungen von Erdgas, Erdöl, Kohle und Uran plus die steuerlichen Unterstützungen des Zweihundert-Milliarden-Paktes, allein nur um die Energiepreise zu senken, in der Summe wesentlich mehr. Das zahlen wir, weil mit diesem Argument von Altmaier der Ausbau der erneuerbaren Energien massiv zurückgedrängt wurde. Die Erneuerbaren sind frei von Erdgas, frei von Kohle, frei von Erdöl, frei von Uran und damit frei von den Preissteigerungen der Energierohstoffe.

Können wir mit 100 Prozent erneuerbaren Energien ganz Deutschland sicher versorgen?

Wir haben mit der Energy Watch Group (siehe Kasten rechts) bereits verschiedene Studien gemacht. Dort haben wir aufgezeigt, dass eine Vollversorgung für Strom, Wärme, Industrie und Verkehr bis 2030 rein mit erneuerbaren Energien machbar ist und dass dies wesentlich günstiger wäre. Wir haben ebenfalls nachgewiesen, dass sich auch der Landkreis Bad Kissingen mit 100 Prozent erneuerbaren Energien bis 2030 versorgen könnte. Außer der grünen Kreistagsfraktion, die dies bereits mehrfach im Kreistag angesprochen hat, hat sich bisher niemand dafür interessiert, auch Landrat Thomas Bold nicht. Er lehnt es ab, darüber zu diskutieren. Mit der jahrelangen Verhinderungspolitik eines starken Ausbaus der Erneuerbare Energien ist er damit auch einer der Verursacher, dass wir jetzt solche großen Probleme haben. Die Verhinderung des Windkraftausbaus in unserer Region, beispielsweise in der Rhön, oder die Forderung, die Leitungen nicht auszubauen, wobei er ja an der Speerspitze der Aktivitäten stand, fällt uns jetzt auf die Füße und schafft diese hohen Energiepreise. Wir müssen nun endlich den Ausbau der heimischen erneuerbaren Energien mit allen Möglichkeiten aktiv und passiv auch im Landkreis befördern. Dann brauchen wir in zwei Jahren keine Angst mehr zu haben, ob wir noch genügend Energie aus Russland oder anderswoher bekommen.

Wie sieht es mit der Energiegewinnung aus Wasserstoff aus?

Wasserstoff ist ein Speicher, keine Energiequelle. Wir sollten allerdings unbedingt mehr mit Wasserstoff arbeiten, da wir die Schwankungen von Solar und Windenergie ausgleichen müssen. Dabei ist allerdings neben der Nutzung von Bioenergie und Wasserkraft die gesamte Speicherthematik wichtig. Das sind die Batteriespeicher, die den Tagesstrom aus der Sonne in die Nacht bringen, das sind die Wärmespeicher, die in Nahwärmesystemen den sommerlichen hohen Solareintrag in den Winter und mit Wärmepumpen in die Heizungen bringen, das sind die Pumpspeicherkraftwerke und viele andere. Großbardorf hat uns schon vor zwölf Jahren gezeigt, wie es funktionieren kann. Sie haben die Wärmeversorgung vollständig auf erneuerbare Energien umgestellt, produzieren mit Sonne, Wind und Biogas dreimal mehr Strom, als sie selbst brauchen. Das ist ein Beispiel, wie wir alle es längst hätten machen müssen.

Wirkt sich die Energiekrise womöglich sogar "positiv" auf die Klimakrise aus?

Ich finde diese Krise keinesfalls gut. Sie schafft soziale und wirtschaftliche Probleme, vor allem im Mittelstand. Wir hätten diese Krise nicht haben müssen, in der Tat gibt es jetzt allerdings ein Erwachen. Das ist der einzig positive Aspekt, den ich an dieser Krise finden kann. Viele Menschen investieren nun in erneuerbare Energien, sie hätten dies allerdings bereits viel früher tun sollen. Wer vor fünf Jahren eine Erdgasheizung gebaut hat und gesagt hat, das ist billiger als eine Solarstromanlage und eine Wärmepumpe auf dem Dach, der ist heute selbst schuld, wenn er hohe Gaspreise zahlen muss. Schon damals waren die Techniken alle vorhanden und es wäre günstiger gewesen, auf erneuerbare Energien zu setzen. Wer sich heute noch ein großes Erdölauto anschafft statt ein E-Mobil, ist selbst schuld, wenn er dann die hohen Spritpreise an den Tankstellen zahlen muss. Wir sehen, wie Lieferengpässe und die Abhängigkeit von China uns nun große Probleme bereiten, den Ausbau der erneuerbaren Energien zu beschleunigen. Die Wartelisten bei den Solarunternehmen in unsere Region sind extrem lang. Im Umkehrschluss heißt das aber auch, dass es jetzt endlich vorangeht. Das ist der "gute" Effekt an der schlimmen Krise, die wir jetzt haben.

Nun steigt auch die Inflation. Wenn wir jetzt noch die erneuerbaren Energien ausbauen und die ganzen Entlastungspakete finanzieren, stellt sich schnell auch die Frage nach der Finanzierung.

Die jetzigen Krisen, vor allem auch Gesundheits- und Inflationskrise, sind verbundene Krisen und im tieferen Kern ist auch dafür die Energiekrise mitverantwortlich. Sieben Millionen sterben jährlich weltweit wegen der Luftverschmutzung, verursacht durch Kohlekraftwerke, Erdgaskraftwerke, Dieselautos, also durch das alte Energiesystem. Das heißt im Umkehrschluss, dass die Umstellung auf erneuerbare Energien ebenfalls ein entscheidender Schlüssel in der Gesundheitspolitik ist. Setzten wir mehr auf erneuerbare Energien, könnten wir uns immens viele Krankheitskosten sparen. Bei der Inflationskrise ist es ähnlich. Wir benutzen das Erdöl sowie das Erdgas als Basis für Unmengen von Stoffen, wie Kunststoffe oder Kleidung. Lebensmittel werden mit Düngemittel hergestellt, was aus Erdöl und Erdgas stammt und mit fossiler Energie produziert wird. Der Rohstoff wird im Moment teurer und die Verknappung nimmt zu. Im Kern ist das alles auf das verfehlte Energiesystem mit Erdöl, Erdgas, Kohle und Atomenergie zurückzuführen. Deswegen würde eine schnelle Umstellung auf die erneuerbaren Energien ebenfalls die Gesundheit befördern und die Inflation bremsen. Das Gespräch führte Milena Meder.

Zur Info: Was ist die EWG? Die Energy Watch Group (Abkürzung: EWG) ist ein internationales Netzwerk von Wissenschaftlern und Parlamentariern zur Untersuchung der Verfügbarkeit und Verknappung fossiler und atomarer Energieressourcen sowie der Ausbaumöglichkeiten erneuerbarer Energien. Präsident der 2006 gegründeten Organisation ist Gründer Hans-Josef Fell. Ab 2020 wurde die Trägerschaft von der Global Eco Transition gGmbH (Berlin) übernommen.wikipedia.de

Vortrag Bei einem abendlichen Schoppen im Hammelburger Europa-Haus hält Hans-Josef Fell am Freitag, 7. Oktober, einen Vortrag. Die Europa-Union Hammelburg lädt dazu Mitglieder und Gäste um 19.30 Uhr ein. Fell, ehemaliges Mitglied im Deutschen Bundestag, spricht dabei über die neuesten Erkenntnisse und politischen Entwicklungen. red