Wir haben mit der Energy Watch Group (siehe Kasten rechts) bereits verschiedene Studien gemacht. Dort haben wir aufgezeigt, dass eine Vollversorgung für Strom, Wärme, Industrie und Verkehr bis 2030 rein mit erneuerbaren Energien machbar ist und dass dies wesentlich günstiger wäre. Wir haben ebenfalls nachgewiesen, dass sich auch der Landkreis Bad Kissingen mit 100 Prozent erneuerbaren Energien bis 2030 versorgen könnte. Außer der grünen Kreistagsfraktion, die dies bereits mehrfach im Kreistag angesprochen hat, hat sich bisher niemand dafür interessiert, auch Landrat Thomas Bold nicht. Er lehnt es ab, darüber zu diskutieren. Mit der jahrelangen Verhinderungspolitik eines starken Ausbaus der Erneuerbare Energien ist er damit auch einer der Verursacher, dass wir jetzt solche großen Probleme haben. Die Verhinderung des Windkraftausbaus in unserer Region, beispielsweise in der Rhön, oder die Forderung, die Leitungen nicht auszubauen, wobei er ja an der Speerspitze der Aktivitäten stand, fällt uns jetzt auf die Füße und schafft diese hohen Energiepreise. Wir müssen nun endlich den Ausbau der heimischen erneuerbaren Energien mit allen Möglichkeiten aktiv und passiv auch im Landkreis befördern. Dann brauchen wir in zwei Jahren keine Angst mehr zu haben, ob wir noch genügend Energie aus Russland oder anderswoher bekommen.
Wie sieht es mit der Energiegewinnung aus Wasserstoff aus?
Wasserstoff ist ein Speicher, keine Energiequelle. Wir sollten allerdings unbedingt mehr mit Wasserstoff arbeiten, da wir die Schwankungen von Solar und Windenergie ausgleichen müssen. Dabei ist allerdings neben der Nutzung von Bioenergie und Wasserkraft die gesamte Speicherthematik wichtig. Das sind die Batteriespeicher, die den Tagesstrom aus der Sonne in die Nacht bringen, das sind die Wärmespeicher, die in Nahwärmesystemen den sommerlichen hohen Solareintrag in den Winter und mit Wärmepumpen in die Heizungen bringen, das sind die Pumpspeicherkraftwerke und viele andere. Großbardorf hat uns schon vor zwölf Jahren gezeigt, wie es funktionieren kann. Sie haben die Wärmeversorgung vollständig auf erneuerbare Energien umgestellt, produzieren mit Sonne, Wind und Biogas dreimal mehr Strom, als sie selbst brauchen. Das ist ein Beispiel, wie wir alle es längst hätten machen müssen.
Wirkt sich die Energiekrise womöglich sogar "positiv" auf die Klimakrise aus?
Ich finde diese Krise keinesfalls gut. Sie schafft soziale und wirtschaftliche Probleme, vor allem im Mittelstand. Wir hätten diese Krise nicht haben müssen, in der Tat gibt es jetzt allerdings ein Erwachen. Das ist der einzig positive Aspekt, den ich an dieser Krise finden kann. Viele Menschen investieren nun in erneuerbare Energien, sie hätten dies allerdings bereits viel früher tun sollen. Wer vor fünf Jahren eine Erdgasheizung gebaut hat und gesagt hat, das ist billiger als eine Solarstromanlage und eine Wärmepumpe auf dem Dach, der ist heute selbst schuld, wenn er hohe Gaspreise zahlen muss. Schon damals waren die Techniken alle vorhanden und es wäre günstiger gewesen, auf erneuerbare Energien zu setzen. Wer sich heute noch ein großes Erdölauto anschafft statt ein E-Mobil, ist selbst schuld, wenn er dann die hohen Spritpreise an den Tankstellen zahlen muss. Wir sehen, wie Lieferengpässe und die Abhängigkeit von China uns nun große Probleme bereiten, den Ausbau der erneuerbaren Energien zu beschleunigen. Die Wartelisten bei den Solarunternehmen in unsere Region sind extrem lang. Im Umkehrschluss heißt das aber auch, dass es jetzt endlich vorangeht. Das ist der "gute" Effekt an der schlimmen Krise, die wir jetzt haben.
Nun steigt auch die Inflation. Wenn wir jetzt noch die erneuerbaren Energien ausbauen und die ganzen Entlastungspakete finanzieren, stellt sich schnell auch die Frage nach der Finanzierung.
Die jetzigen Krisen, vor allem auch Gesundheits- und Inflationskrise, sind verbundene Krisen und im tieferen Kern ist auch dafür die Energiekrise mitverantwortlich. Sieben Millionen sterben jährlich weltweit wegen der Luftverschmutzung, verursacht durch Kohlekraftwerke, Erdgaskraftwerke, Dieselautos, also durch das alte Energiesystem. Das heißt im Umkehrschluss, dass die Umstellung auf erneuerbare Energien ebenfalls ein entscheidender Schlüssel in der Gesundheitspolitik ist. Setzten wir mehr auf erneuerbare Energien, könnten wir uns immens viele Krankheitskosten sparen. Bei der Inflationskrise ist es ähnlich. Wir benutzen das Erdöl sowie das Erdgas als Basis für Unmengen von Stoffen, wie Kunststoffe oder Kleidung. Lebensmittel werden mit Düngemittel hergestellt, was aus Erdöl und Erdgas stammt und mit fossiler Energie produziert wird. Der Rohstoff wird im Moment teurer und die Verknappung nimmt zu. Im Kern ist das alles auf das verfehlte Energiesystem mit Erdöl, Erdgas, Kohle und Atomenergie zurückzuführen. Deswegen würde eine schnelle Umstellung auf die erneuerbaren Energien ebenfalls die Gesundheit befördern und die Inflation bremsen.
Das Gespräch führte Milena Meder. Zur Info: Was ist die EWG? Die Energy Watch Group (Abkürzung: EWG) ist ein internationales Netzwerk von Wissenschaftlern und Parlamentariern zur Untersuchung der Verfügbarkeit und Verknappung fossiler und atomarer Energieressourcen sowie der Ausbaumöglichkeiten erneuerbarer Energien. Präsident der 2006 gegründeten Organisation ist Gründer Hans-Josef Fell. Ab 2020 wurde die Trägerschaft von der Global Eco Transition gGmbH (Berlin) übernommen.wikipedia.de
Vortrag Bei einem abendlichen Schoppen im Hammelburger Europa-Haus hält Hans-Josef Fell am Freitag, 7. Oktober, einen Vortrag. Die Europa-Union Hammelburg lädt dazu Mitglieder und Gäste um 19.30 Uhr ein. Fell, ehemaliges Mitglied im Deutschen Bundestag, spricht dabei über die neuesten Erkenntnisse und politischen Entwicklungen. red