Briefwechsel mit Mördern

5 Min
Jeder Brief wird feinsäuberlich abgeheftet: Monika und Henry Toedt kommunizieren mit Strafgefangenen in aller Welt. Das Paar aus Hammelburg hat derzeit 15 Briefpartner - von Nordamerika über Europa bis nach Asien. Foto: Wolfgang Dünnebier
Jeder Brief wird feinsäuberlich abgeheftet: Monika und Henry Toedt kommunizieren mit Strafgefangenen in aller Welt. Das Paar aus Hammelburg hat derzeit 15 Briefpartner - von Nordamerika über Europa bis nach Asien. Foto: Wolfgang Dünnebier
 

Monika und Henry Toedt aus Hammelburg haben einen Sinn für ihr Leben gefunden: Sie schreiben mit Verbrechern in Gefängnissen in aller Welt.

Von Wolfgang Dünnebier


"Ich habe eine schlechte Nachricht für euch. Am 21. Juni nach 18 Uhr wollen sie mich hinrichten." - Diese Botschaft im Briefkasten von Monika und Henry Toedt stellt alle bisherigen Hiobsbotschaften in den Schatten. Seit fünf Jahren schreibt das Hammelburger Ehepaar mit Strafgefangenen aus aller Welt. Darunter auch Gefangene in der Todeszelle.

Gerade in der sentimental aufgeladenen Weihnachtszeit fühlen sich Gefangene oft mutterseelenallein. "Wenn sich Familie und Freunde zurück gezogen haben, beginnt die Einsamkeit", erzählt Henry Toedt. Er schreibt seit 2012 mit seiner Frau Briefe an jene Menschen, die von der Gesellschaft gerne vergessen werden. Monika Toedt sucht Karten mit schönen Bildern aus und verziert sie liebvoll.
Ein Ziel der beiden 66-Jährigen ist es, Gleichgesinnte zu finden, die auch Kontakt mit Gefangenen aufnehmen wollen. Dahinter steht eine christliche Grundhaltung: "Wir sind auf der Welt, um andere aufzurichten, nicht um zu richten", sagt der Briefautor. "Brücke ins Leben", nennen beide denn auch den Kontakt zu jenen Einsitzenden, die unter Abgeschiedenheit leiden.

Das ungewöhnliche Engagement des Ehepaares kommt nicht von ungefähr. Aus eigener Erfahrung wissen die beiden, wie es sich anfühlt, von der Gesellschaft ausgegrenzt zu werden. An ihrem norddeutschen Dialekt hört man, dass sie erst wenige Jahre in Hammelburg wohnen. Nie hätten sie es sich träumen lassen, einmal bescheiden in der Wohnung eines Mehrfamilien-blocks unterzukommen. Die beiden waren in Hamburg in der Immobilienbranche zu Reichtum gekommen. Sie lebten im Luxus mit Zweithaus am Meer. Als die Geschäfte nicht mehr so gut laufen, realisieren sie zu spät, dass sie sich übernommen haben. Es folgt der Absturz auf Hartz-IV-Niveau. Diese Wendung sehen sie heute als Wink des Himmels.

Bei einer Auszeit im Kloster Ettal beschlossen die beiden 2010, ihrem Leben einen neuen Sinn zu geben. Dabei hilft der zufällige Kontakt mit Edwin Erhart, dem ehemaligen Gefängnisseelsorger der Justizvollzugsanstalt Würzburg. Auf seinen Rat hin beginnen sie die erste Korrespondenz mit einem Gefangenen. Auf der Suche nach einem neuen Wohnort folgen sie Erhart an die Saale.

Heute wirken die beiden glücklich, haben ihren Humor wieder gefunden. "Die Gefangenen sind unser Leben", bekräftigt Monika Toedt. Ob Kleinkriminelle, Mörder, Schläger und Betrüger: "Wir sehen den Menschen dahinter", fügt Henry Toedt an. Bei aller Strafe sei wichtig, den Verurteilten ihre Würde zu belassen. Dazu müsse man sich mit ihnen auseinandersetzen, sie aber auch annehmen. Das komme weltweit zu kurz. Nach ihren Erfahrungen werben die Toedts dafür, mit Strafgefangenen zu schreiben. "Am Anfang habe ich geschluckt", gesteht Monika Toedt, als sie zum ersten Mal mit einem verurteilten Mörder schrieben. Doch die Schwellenangst verschwinde.
Beschönigen wollen die Toedts nichts. Die menschlichen Abgründe sind tief. Manchmal braucht es länger, bis die Gefangenen ihr Herz ausschütten. Aber man merke, dass es ihnen gut tut. Nach Schuld und Straftaten fragen die beiden nicht von sich aus. Sie überlassen es den Briefpartnern hinter Gittern, ob sie mehr von sich erzählen wollen. Viele seien da sehr offen.

Mehrere Aktenordner voller Briefe haben Monika und Henry Toedt mittlerweile im Regal stehen. Ihr Netzwerk reicht von Nordamerika über Europa bis nach Asien. Sauber vermerken sie das Eingangsdatum und heften die Korrespondenz ab. 15 Briefpartner haben sie aktuell. Um angemessen zu antworten, sitzen sie fast täglich an dem, was sie jetzt ihr Lebenswerk nennen. "Häufig geht fast der ganze Sonntag drauf."

Manchmal findet das Ehepaar lange keine Ruhe, nachdem es bewegende Post erhalten hat. Sie sprechen stundenlang miteinander über das Schicksal der Menschen. "Wir haben keinen Fernseher", sagt Henry Toedt. Dafür lebe man intensiver, genießt dankbar die Freiheit, die gar nicht so selbstverständlich ist. "Stehen wir nicht alle mit einem halben Bein im Gefängnis?", fragt Toedt und verweist provokant auf Justizirrtümer, die es immer wieder gebe.
Auch jener eingangs zitierte Brief von Robert Roberson aus der Todeszelle in den Vereinigten Staaten sorgte für schlaflose Nächte im Hause Toedt. Wie könnten einen die Schilderungen eines Todeskandidaten auch kalt lassen? Fassungslos geht der Verurteilte nach zwölf Jahren in der Todeszelle des Gefängnisses von Huntsville, Texas, seiner Hinrichtung im Sommer 2016 entgegen. Er soll seine kleine Tochter tot geschüttelt haben. Bewegt schauen Henry und Monika Toedt auf ein Bild von Roberson, das sie sorgsam in einer Klarsichthülle aufbewahren. Der Horrorbotschaft aus Übersee wollten sie sich im vergangen Jahr nicht tatenlos ergeben. Sie beteten, zündeten Kerzen an.
Doch dabei blieb es nicht: Sie starteten wie andere Gegner der Todesstrafe eine Briefaktion für Roberson und schrieben Prominente wie Kanzlerin Angelika Merkel und den damaligen US-Präsidenten Barack Obama an.
Das Wunder passierte: Tatsachlich wurde die Hinrichtung abgesetzt, demnächst wird der Fall wohl neu aufgerollt. Es gebe neue Erkenntnisse: Hat es sich bei dem dramatischen Vorfall doch um einen Unfall gehandelt? Noch heute kämpft Henry Toedt mit den Tränen, wenn er das erzählt. Viele Todesurteile in den USA seien Fehlurteile, ist er überzeugt.

Dramatisch lesen sich auch die Briefe von Shawna Forde. Die von der Justiz dem Tod geweihte Frau soll als Angehörige einer Bürgerwehr das Haus eines Drogendealers gekapert und ihn samt seiner zwölfjährigen Tochter erschossen haben. Acht Jahre saß sie in Isolationshaft ohne große Kontakte zu Mitgefangenen. Dabei sei sie nach eigener Aussage nicht in der Nähe des Tatorts gewesen.
Von ihr weiß das Paar inzwischen viel. Auch von der Achterbahn der Gefühle im Knast. Mitinsassin Debra Milke kam 2013 nach 23 Jahren in der Todeszelle frei. Sie war zu Unrecht verurteilt worden, ihren Sohn ermordet zu haben. In mehrseitigen Briefen nach Hammelburg schreibt sich Shawna Forde inzwischen vieles von der Seele, was sie bewegt. "Man spürt die Unsicherheit", schildert Monika Toedt die Qualen, die mit dem Aufenthalt in der Todeszelle verbunden sind.
Die handgeschriebenen Antworten aus der rauen Gefängniswelt sind oft liebevoll mit Stickern und Zeichnungen gestaltet. So auch die Briefe von Martha, die in Bangkok einsitzt. Die Afrikanerin ist dort wegen ihrer Rolle als Drogenkurierin zu lebenslänglicher Haft verurteilt. "Das heißt mindestens 20 Jahre." Die gelernte Krankenschwester fügt ihren emotionalen Briefen an "Mama und Papa" in Hammelburg auch schon mal Bilder ihrer Familie und ihres früheren Lebens bei. Elternersatz, glaubt Toedt. Das Leben von Straftätern hat oft traurige Parallelen. Keine Geborgenheit in der Kindheit, Liebesentzug, ein Aufwachsen in sozial kaputten Verhältnissen oder Missbrauch sind Nährboden für schwierige Lebenswege.

Manchmal fährt das Ehepaar trotz knapper Haushaltskasse zu einsitzenden Straftätern in Deutschland, um die Kontakte zu vertiefen. Wenige Kontakte sind von Dauer. Bei der Freilassung brechen sie oft ab. Anders war es bei Denis. Zu dem 25-Jährigen haben die Toedts weiter Verbindung. Denis verbrachte seine Jugend in einem Heim und saß sechs Jahre wegen eines Raubüberfalls ein.
In schwungvoller Schrift verkündet Christine aus Ostdeutschland ihre Vorfreude auf eine Begegnung mit den Briefpartnern aus Hammelburg. Sie sitzt zwei Jahre ein und hofft auf eine vorzeitige Freilassung 2018, um ihre Kinder wieder zu sehen. Die Ex-Prostituierte war in eine Schlägerei verwickelt. "Die Adventszeit verdränge ich", schreibt die 38-Jährige. "Ich umarme euch lieb. Es ist auch schön, dass es euch gibt", beendet sie den Brief mit einem schwungvoll gemalten Herz.


INFO: Briefkontakte zu Straftätern vermittelt der Verein Tabor e.V. in Moosach. Sozialpädagoge Norbert Trischler gibt das Tabor-Magazin heraus, das in einer Auflage von 1500 Exemplaren in den Gefängnissen im Freistaat verteilt wird. Darin kann man inserieren, wenn man mit Insassen schreiben möchte. Infos und Kontakt: info@tabor-ev.de