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Grippe: Das lange Warten auf den Pieks


Autor: Sabine Memmel

Bad Kissingen, Montag, 29. Oktober 2012

Nicht nur Doktor Schlereth muss Patienten zur Zeit nach Hause schicken. In vielen Arztpraxen wird der Grippe-Impfstoff knapp.
Nur ein kleiner Pieks: Viele Patienten und Ärzte warten zur Zeit sehnlichst auf den Grippe-Impfstoff. Foto: Ralf Hirschberger (dpa)


250 Injektionen. Das ist nicht viel. Eigentlich wären es zu dieser Jahreszeit schon 700. Doch zurzeit bleibt Ewald Schlereth nichts anderes übrig, als alle Patienten, die eine Grippeimpfung wollen, wieder nach Hause zu schicken. Ohne Pieks. Ohne Grippeschutz. Und auf vorerst unbestimmte Zeit. Denn wann dem Hausarzt aus Oberthulba der Grippe-Impfstoff endlich wieder zur Verfügung steht, kann er momentan nur vermuten. "Ich denke Anfang Dezember, wenn Novartis wieder liefern kann. Aber bis dahin gibt es vielleicht schon die ersten Grippekranken", sagt Schlereth.

Krankenkassen in Bayern schlossen heuer zum ersten Mal einen Exklusiv-Vertrag mit dem Pharmakonzern Novartis. Doch zuerst verzögerten sich immer wieder die Lieferungen, und nun hat das Paul-Ehrlich-Institut wegen Ausflockungen auch noch die Freigabe für zwei von drei Novartis-Impfstoffen vom Markt genommen. In Bayern fehlt der Impfstoff damit für die Hälfte der Leute, die sich normalerweise gegen die saisonale Grippe schützen lassen.

Und auch Schlereth bekommt den Mangel deutlich zu spüren. Vor allem um schwer kranke Patienten, die durch eine Influenza gesundheitlich stark gefährdet sind, macht er sich Sorgen. "Wenn die dann wegen Grippe stationär aufgenommen werden müssen, kostet das die Kassen viel mehr Geld", ärgert er sich. Rabattverträge wie die mit Novartis könnten dagegen gar nicht eingehalten werden und würden den Markt kaputt machen.

Doch für Schlereth am schlimmsten: "Die sparen auf dem Rücken der Patienten."


Betriebswirtschaftliche Denke ist keine medizinische Denke


Inzwischen haben die gesetzlichen Krankenkassen die exklusive Bindung zu Novartis zwar aufgehoben, Kassenärzte können ihren Grippe-Impfstoff damit auch bei anderen Pharmaherstellern bestellen. Allerdings hat das bisher nicht viel gebracht. Zumindest bei Schlereth. Die Konkurrenz könne zwar liefern, ist den Kassen aber zu teuer. Die Kosten wollten sie nicht übernehmen. Schlereth bleibt ohne Impfstoff.

Auch andere Ärzte im Landkreis sind über den akuten Impfstoff-Mangel "nicht gerade erfreut", weiß Herbert Schulze, Vorsitzender des Ärztlichen Kreisverbandes Bad Kissingen. "Im Landkreis sieht es dürftig aus. Es sind lange nicht so viele Impfstoff-Chargen da, wie Impfbedarf ist", sagt er. Und selbst wenn Ärzte den Impfstoff haben, würden sie ihn seit den Vorwürfen gegen Novartis kaum noch losbekommen. "Die Patienten sind völlig verunsichert. Die Nachfrage hat deutlich nachgelassen", sagt Schulze.

"Die betriebswirtschaftliche Denke ist eben keine medizinische Denke", findet der Vorsitzende. "Man kann sich nicht auf einen einzelnen Hersteller verlassen. Aber die Kassen werden schon ihre Konsequenz daraus ziehen", glaubt Schulze. Momentan können aber weder er noch Schlereth sich etwas davon kaufen. Und am allerwenigsten die Patienten.