Der Mindestlohn ist in der Gastronomie ein Problem, das zumindest teilweise an die Gäste weitergegeben werden kann. Die neue und lückenlose Dokumentationspflicht stößt allerdings auf scharfe und einmütige Kritik.
Noch spüren es die Gäste wohl nicht. Doch hinter den Kulissen brodelt es im deutschen Gastgewerbe gewaltig: Der seit Januar gesetzlich vorgeschriebene Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde und besonders die damit verbundene Dokumentationspflicht bringen die Gastronomen zum Kochen. Hierbei müssen die genauen Arbeitszeiten eines jeden Mitarbeiters einzeln und minutiös auf einem Formblatt notiert werden.
Auf Zuwiderhandlung stehen hohe Geldstrafen.
"Der Regierung geht es doch nur um ihre steuerlichen Mehreinnahmen und um zusätzliche Überwachung und Drangsalierung unserer Branche", schimpft Gastwirt Bernd Vogler vom gleichnamigen Gasthof in Albertshausen. Schon seit Jahren kämpft der Küchenmeister um das Überleben seines 165 Jahre alten Familienbetriebs.
Zu besonderen Stoßzeiten und bei Veranstaltungen in seinem Festsaal ist er auf Unterstützung von bis zu acht Aushilfen aus dem Dorf angewiesen. Früher waren sie mit sechs Euro pro Stunde eigentlich zufrieden. Ihnen ging es mehr um das Taschengeld.
Nicht nur Eigenkosten steigen Jetzt muss Vogler ohne Not seinen Aushilfen 40 Prozent mehr zahlen.
"Das ist eine enorme finanzielle Belastung für meinen Betrieb." Denn nicht nur seine eigenen Personalkosten steigen, sondern auch die seiner Zulieferer wie Gemüsebauern und Bäcker. Im Januar hat Vogler wegen des teureren Materialeinkaufs schon mal die Preise auf der Speisekarte um fünf Prozent erhöht. "Irgendwann werde ich wohl um weitere zehn Prozent erhöhen müssen."
Absolut unnötig findet Bernd Vogler die neue gesetzliche Dokumentationspflicht.
Am Anfang hat er dies noch selbst gemacht. Jetzt legt er seinen Aushilfen einfach die Mappe zum Ausfüllen hin. Für diese "unnütze Arbeit" hat er keine Zeit: "Ich habe als Wirt an Tresen und Herd genug zu tun."
Wo kommt die Motivation her? Ähnlich sieht es Johanna Büttner, Wirtin im Landgasthof "Ruine Aura". Früher hat sie ihren zehn Aushilfen aus dem Dorf, die sie übers Jahr immer nur kurzfristig
und unregelmäßig einsetzt, nur sieben Euro gezahlt. Sie wird ihre Speisekarte wohl um fünf bis zehn Prozent verteuern müssen, meint sie. Wenn jede Aushilfe, ob einsatzfreudig oder nicht, ob gelernt oder nicht, jetzt pauschal 8,50 Euro bekommt, fehlt ihr jeder Motivationsspielraum durch Lohnsteigerungen. "Denn mehr als 8,50 Euro können wir gar nicht zahlen."
Die Dokumentationspflicht hält Büttner für "Bürokratie ohne Ende". Die verantwortlichen
Politiker hätten sich überhaupt keine Gedanken darüber gemacht, was diese Mehrarbeit für Gastwirte bedeutet. Büttner hofft auf die CSU im Bundestag. Diese hatte kürzlich gefordert, die Dokumentationspflicht nur bis 1900 Euro Monatslohn vorzuschreiben, nicht wie bisher bis knapp 3 000 Euro.
Diese Lockerung wäre vor allem für jene Restaurant- und Hotelbetriebe sinnvoll, die ohne Aushilfen arbeiten und ihren Festangestellten schon heute mehr als den
Mindestlohn zahlen. So ärgert sich beispielsweise Christian Hippler, Inhaber des Restaurants "Schuberts Wein & Wirtschaft" in Bad Kissingen, nur über den bürokratischen Mehraufwand, nicht aber über die Einführung des Mindestlohns. Seine sieben Mitarbeiter bekommen schon immer mehr als die jetzt vorgeschriebenen 8,50 Euro.
"Sonst würde ich gar keine Fachkräfte bekommen und sie auch nicht dauerhaft halten können." Es sei doch ohnehin "schwierig genug, anständige Mitarbeiter zu bekommen". Deshalb sei auch die Dokumentationspflicht in seinem Fall völlig überflüssig.
An die Mitarbeiter delegiert Für Hotels sei der Mindestlohn "überhaupt kein Thema", ergänzt Bernd Stempfle, Inhaber des Bad Kissinger
Westpark-Hotels. Selbst seinen Spülkräften in der Küche zahlt er mehr. "Das Schlimme ist die Dokumentation." Wenn man wie in Stempfles Familienbetrieb 16 Mitarbeiter hat, "kann man nicht den ganzen Tag dokumentieren". Deshalb überlässt er seinen Angestellten diese Pflicht. Auch Stempfle hofft, dass sich die CSU mit ihrem Vorschlag in der Koalition durchsetzen wird.
Beim Hauptzollamt in Schweinfurt, das am anderen Ende der Röhre sitzt und für die Kontrolle
der Mindestlohneinhaltung und der Dokumentationen zuständig ist, gibt man sich - noch - gelassen. "Es ist noch zu früh, um über gesicherte Erfahrungen mit den neuen Vorschriften zu sprechen", sagt Pressesprecher Stefan Schramm. "Wir haben gerade erst mit den Kontrollen begonnen und schreiten im Fall von Verstößen noch nicht mit aller Härte ein." Im Moment müsse durch Aufklärung noch sehr viel Unsicherheit bei den Arbeitgebern und -nehmern der Branche
aufgefangen und ausgeräumt werden.
Eigentlich nichts Neues Im Schweinfurter Hauptzollamt misst man der Kritik an dem neuen Gesetz nicht so viel Gewicht bei. Es werde ja gar nicht so viel verlangt: eine relativ formlose Erfassung der Arbeitszeiten mit Pausen. Das seien Angaben, die die Wirte für ihre eigene Buchhaltung auch benötigen.
"Die Einhaltung des Mindestlohns, wo er bisher tariflich festgelegt war, haben wir schon immer kontrolliert", sagt Schramm. Jetzt gehe es darum, auch mit Hilfe der Arbeitszeit-Dokumentationen im Ernstfall Umgehungstatbestände festzustellen. Schramm: "Wir machen das im Interesse der Arbeitnehmer, damit die auch wirklich den Mindestlohn bekommen."
Stechkarten wären eine Lösung Heinz Stempfle, Vorsitzender des Hotel- und
Gaststättenverbandes Bad Kissingen, ist weniger unglücklich mit dem Mindestlohn von 8,50 Euro, obwohl er zu bedenken gibt, dass das für den Arbeitgeber 11,05 Euro an Bruttolohnkosten bedeutet. "Die Schreiberei ist das große Problem." Analoge oder digitale Stechkarten wären eine Lösung, die es in großen Häusern schon gibt.
"Aber wer macht das von den Kleinen mit, wer kann sich das leisten?" Und schließlich müssten die Dokumentationen ja auch überprüft werden: "Für einen Controller, den ich einstellen müsste, kommen schnell mal 50 000 Euro Lohnkosten im Jahr zusammen."
Für Stempfle ist die ganze Sache ein eigentlich vermeidbares Ärgernis: "Warum hat das die Politik nicht vorher mal durchdacht?"