Eine Achterbahn der Gefühle beim Kissinger Sommer

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Cecilia und Diego Fasolis, der mit seinem Ensemble "I Barocchisti" die Mezzosopranistin begleitete. Foto: Ahnert
Cecilia und Diego Fasolis, der mit seinem Ensemble "I Barocchisti" die Mezzosopranistin begleitete. Foto: Ahnert

In ihrem Programm "Von Venedig nach Sankt Petersburg" mit dem Schweizer Ensemble "I Barocchisti" sang Cecilia Bartoli zum ersten Mal auch eine russische Arie.

Es ist eine Beobachtung, die man schon immer machen konnte und die die ganze Sache so menschlich macht: Cecilia Bartoli, die Primadonna assoluta des Mezzosoprans, die schon überall in der Welt alles gesungen hat, kennt das Lampenfieber. Zu Beginn ihrer Konzerte ist sie immer ein bisschen nervös, weil sie immer 100 Prozent geben will. Und etwas merkt man das auch, weil sie eine so delikate Stimme hat.

Taktisch geschickter Einstieg

An ihren Partnern auf der Bühne lag es jedenfalls nicht. Cecilia Bartoli hat mit Diego Fasolis und seinem Ensemble "I Barocchisti" aus Lugano bereits mehrmals zusammengearbeitet. Aber sie ist natürlich eine gewiefte Taktikerin: Mit einer schnellen Arie und dramatischem Tremolo lassen sich derartige Einstiegsprobleme schnell und unauffällig in den Griff bekommen. Und es dauert immer auch nur ein paar Takte, bis die Freude am Tun die Oberhand über die Selbstzweifel gewinnt. Jetzt hatte Vivaldis "Gelosia, tu già rende l'alma mia" diese Funktion.

Dann saß die Stimme wie gewohnt perfekt, und Cecilia zog in ihrer mitreißenden Art, ihrer Virtuosität und ihrer Bühnenpräsenz das Publikum wieder in ihren Bann. Bravos gab es schon einige nach der ersten Arie, und dann waren die Zuhörer nur noch schwer zu halten. Diego Fasolis musste manchen Auftakt in den Beifall hinein dirigieren - eher ungewöhnlich für eine Operngala im Großen Saal.

Es war aber auch wieder eine geschickter Auswahl, bei der Cecilia Bartoli ihre großen Stärken zeigen konnte. Da ist die hochdramatische Koloratur, die sich hochvirtuos wie ein Instrument singt wie in Vivaldis "Se lento ancora il fulmine" - wenn schon der Blitz nicht nachkommt! - oder Nicola Porporas "Nobil onda" - immerwenn's um Wellen und Meer geht, neigt die Sängerin dazu ihre Orchester zu scheuchen und absolut präzise zu bleiben.

Und da ist die Fähigkeit von Cecilia Bartoli, unglaublich langsam und unglaublich leise zu singen. Sie kennt die Akustik des Großen Saals und weiß, wie weit sie ihre Stimme nach innen zurückziehen kann. Vivaldis Arie von der verachteten Braut, "Sposa don disprezzata" oder Hasses "Se mai senti spirarti sul volto" waren herausragende und berührende Beispiele.

"Von Venedig nach Sankt Petersburg" hieß ihr Programm, das sie unter anderem aus Teilen ihrer letzten Aufnahme zusammengestellt hat. Da widmet sie sich der Musik, die am Zarenhof von Katharina der Großen und Peter III. gepflegt wurde. Da blieb es auch nicht aus, dass Cecilia Bartoli eine Arie auf Russisch sang. "Idu na smert" hieß sie und stammte aus der Feder des Stralsunders Hermann Raupach, der nicht nur mit "Altsesta" von 1758 als Begründer der russischen Nationaloper gilt.

Was der Text heißt? Eigentlich egal, denn es kommt auch hier vor allem auf den Umgang mit den Vokalen an, und die Emotionen verraten sich in der Gestaltung. Eigentlich kann Cecilia Bartoli singen, was sie will. Die Leute kommen nicht wegen der Texte, sondern wegen der singulären Gestaltung.

Der Abend wäre natürlich nur halb so schön gewesen ohne das Orchester. "I Barocchisti" sind ein Ensemble, das außerordentlich virtuos engagiert und mit starkem Drang nach vorne musiziert, dessen Streicher sehr stark perkussiv wirken können - bei Vivaldi gab's noch keine Pauken - aber trotzdem einen farbenreichen Klang erzeugen, der nicht dazu neigt, strohig zu werden. Das zeigte sich nicht nur bei den eingestreuten Ouvertüren, sondern auch bei Konzerten wie dem Flötenkonzert "La tempesta di mare", in dem die barocke Traversflöte allerdings an ihre dynamischen Grenzen geriet und der Sturm in bisschen "abgeflaut" werden musste. Ober bei Francesco Araias köstlichem "Pastor che a notte ombrosa", bei der die Musiker Vogelstimmen und Geräusche des nächtlichen Waldes produzierten.

Drei Zugaben

Cecilia Bartoli und I Barocchisti spendierten drei Zugaben: aus Agostino Steffanis Oper "Tassilone" die Arie "A facile vittoria", "Voi che sapete", das Cherubino in Mozarts "Le nozze di Figaro" singt, und das "Alleluja" aus dessen Motette "Exsultate, jubilate".