Bei der Eröffnungsveranstaltung des Kissinger Winterzaubers waren Renaud Garcia-Fons und das Deutsche Filmorchester Babelsberg e. V. zu hören.
Jetzt ist der Kissinger Winterzauber 2017/18 auch sinfonisch eröffnet. Der französische Kontrabassist Renaud Garcia-Fons und das Deutsche Filmorchester Babelsberg e. V. unter der Leitung von Lorenz Dangel hatten sich zusammengeschlossen, um den Regentenbau mit ungewöhnlichen Tönen zu füllen. Aber haben sie sich auch zusammengefunden?
Die Winterzauber-Besucher der ersten Jahre werden sich vielleicht erinnern: Renaud Garcia-Fons war schon einmal da, damals im Weißen Saal mit kleinem Ensemble, und er verblüffte das Publikum mit seiner keine Grenzen kennenden Virtuosität, und er demonstrierte, dass der Kontrabass, der ja schon von der Optik her immer etwas von einem Ungetüm hat, nicht nur das Streichinstrument mit dem größten Tonumfang ist, sondern dass er auch enorm beweglich gespielt werden kann.
Dieses Verkennen ist ja im Grunde genommen auch sein Problem und der Grund, warum er dazu übergegangen ist, selber Musik für sein Instrument zu komponieren. Denn der Kontrabass verschwindet entweder in einem Sinfonieorchester, obwohl er als Grundlage enorm wichtig ist, oder er steht hinten rechts neben dem Flügel, wenn es um Jazz geht. In der Kammermusik taucht er fast nur auf, wenn mal wieder das Forellenquintett auf dem Programm steht. Dafür gibt es gerade in diesem Bereich wunderbare Musik. Das ist vielleicht jetzt alles etwas überspitzt ausgedrückt, aber es begründet den Leidensdruck des Franzosen, sein Instrument aus dem Schatten der Bedeutung herauszuholen.
Und es war gut, dass in dem Eröffnungskonzert ausschließlich eigene Kompositionen und Arrangements zur Aufführung kamen. Nicht nur, weil alle zehn Sätze Kissinger Erstaufführungen waren, von denen man sich überraschen lassen konnte. Sondern vor allem, weil Renaud Garcia-Fons keinerlei Rücksicht auf vielleicht schwächere Kollegen nehmen musste, weil er die technischen Anforderungen bis an seine eigenen Grenzen ausreizen konnte. Und es war schön, dass er zunächst allein auf weiter (Bühnen-)Flur zwei Sätze alleine spielte: Bei "Aqa Jan" mit iranischen Einflüssen und "Bajo de Guia" mit Wurzeln im Flamenco konnte man den Bassisten mit seinem Fünf-Saiter erst einmal pur erleben. Man konnte sich an seine raffinierte Strich- und Bogentechnik gewöhnen, an seine enormen Klangfarben, an sein Rhythmusgefühl. Und man konnte nicht nur das Zusammenwirken verschiedener Einflüsse erkennen, sondern auch die enorme Bedeutung, die Johann Sebastian Bach mit seinen Streicher-Solosonaten gehabt hat. Denn der schimmerte vor allem mit seinen Arpeggien immer wieder durch.
Das Orchester konnte kommen: von seiner Besetzung her ein vollsinfonisches Kammerorchester, allerdings mit einer deutlich verstärkten und variablen Perkussionsabteilung. Acht Sätze vereinte das Programm bei seiner "Weltreise" - nicht zu wenige und nicht zu viele, die angenehmerweise ohne Pause durchmusiziert werden konnten. Und es begann nachdenklich, erinnernd, mit "Paris November 2015", also mit dem Tag des Terroranschlags auf die Pariser Konzerthalle Bataclan - ein Satz, der sich von einer harmlosen Morgenstimmung zu greller Dramatik steigert. Ein Satz, in dem sich nicht nur das Orchester enormen Druck aufbaut, sondern in dem auch der immer so gemütlich wirkende Kontrabass überraschende Schärfen und Verstörtheiten artikulierte. Renaud Garcia-Fons hatte keine Probleme, sich vor dem Orchester zu behaupten.
Natürlich gab es auch Heiteres: etwa "Tanguito para Astor", eine rhythmisch köstliche Hommage an Piazzolla. Oder "Pentapizzy", bei dem wohl Benjamin Brittens "Playful Pizzicato" Pate gestanden hat, und bei dem Renaud Garcia-Fons technisch zauberte: mit einem Pizzicato der linken Griffhand währen des Streichens der rechten Hand. Das kennt man von Paganinis Capricen, und das geht auch beim Kontrabass. Aber nur, wenn man sich traut und enorm viel Kraft in den Fingern hat. Es waren die vielen Effekte, die die Musik spannend machte, wie etwa mit dem mit einem Blatt Papier zwischen den Saiten präparierten Instrument bei "Indiblues", das eine schnarrende Begleitung erzeugte.
Es waren die weiten Klangräume, die der Solist mit seinem Instrument eröffnete und die das Orchester füllen konnte wie in "Out of the Mist" oder "Fortalezza". Und es waren die verblüffenden Klangfarben, mit denen Renaud Garcia-Fons spielte: Oft ertappte man sich dabei, wie man im Orchester - vor allem bei den Bläsern - nach dem Instrument suchte, das gerade seine typischen Klänge erzeugte, und dann landete man doch immer wieder bei dem Solisten: Spannung durch vermeintlich mühelose Effekte.
Und das Orchester? Man konnte sich den Eindrucks nicht erwehren, dass sich die Babelsberger unter Wert verkaufen mussten. Am Ende wirkten alle etwas unglücklich. Denn dass die Musik bei aller Begeisterung nicht so recht abheben wollte, lag vermutlich daran, dass nicht genügend Zeit für Proben zur Verfügung gestanden hatte. Nicht, dass die Musiker nicht gewusst hätten, was sie tun. Aber Lorenz Dangel dirigierte ausschließlich Rhythmus, nicht ein einziges Mal Gestaltung, und seine Musiker bewegten sich überwiegend im sicheren Mezzoforte. Da kann nichts passieren, und da passiert eben auch nichts. Es hätte freilich auch nicht viel genützt, wenn Dangel große interpretatorische Gesten gemacht hätte, denn seine Leute waren stark damit beschäftigt, in den Noten ihre Pausen auszuzählen. Schade, da hätte mehr an Pfiff und Kooperation mit dem Solisten drin sein können. Beim nächsten Mal ist das sicher schon anders.
Die Zugabe spielte Renaud Garcia-Fons allein: "Kurdish Mood", eine weitere Staion auf seiner musikalischen Weltreise.