Die Schergs sind eine etwas andere Familie, aber trotzdem ganz normal. Sieben Pflegekinder haben hier ihr Zuhause gefunden.
Drei eigene Kinder, sieben Pflegekinder, mehrere Tageskinder, 22 Enkelkinder. Eine Aufzählung, die nicht gerade jede Familie vorweisen kann. Petra und Bernd Scherg (Namen von der Redaktion geändert) dagegen schon. Zu zweit sitzen sie am großen Esstisch. Eine Seltenheit. Denn meistens ist bei den Hofmanns deutlich mehr los. "Es gab eine Zeit, da haben wir hier zu zehnt gesessen", sagt Petra Scherg.
Als das Ehepaar das erste Pflegekind zu sich nahm, gingen ihre Jungs alle drei schon zur Schule. "Mein Mann wollte unbedingt noch ein Mädchen", erzählt Petra Scherg - damit fing alles an. Ein Pfarrer hatte ihnen damals geraten, sich direkt ans Jugendamt zu wenden. Ein Jahr später war es so weit. "Früh bekamen wir den Anruf, dass sie ein Kind für uns hätten", erinnert sich Bernd Scherg. Das Ehepaar überlegte nicht lange - und entschied sich für das Kind.
Noch am selben Nachmittag brachten Mitarbeiter des Jugendamts das siebenjährige Mädchen in ihr neues Zuhause. Bis sie 22 Jahre war, lebte sie bei den Schergs, wuchs bei ihnen auf. Inzwischen hat sie selbst zwei Kinder, ist verheiratet. Ihre Pflegeeltern trifft sie regelmäßig.
Kein Kontakt zur Mutter Sechs Jahre später nahm das Ehepaar zusätzlich zwei neue Kinder auf: zwei und vier Jahre. Die leibliche Mutter der beiden Schwestern bekam zunächst eine Kontaktsperre, sie hatte ihre Kinder geschlagen. "Die Mädchen entwickelten sich in völlig unterschiedliche Richtungen", erläutert Petra Scherg. Während die ältere der beiden die Sonderschule besuchte und ihre zwei Kinder aus Überforderung zeitweise in die Obhut ihrer Pflegemutter gab, machte die jüngere Schwester Abitur und studiert derzeit Musik bei der Bundeswehr.
"Zu ihr haben wir von allen Pflegekindern am meisten Kontakt", sagt Bernd Scherg über die Pflegetochter, die inzwischen selbst verheiratet ist und ein Kind hat. Sie telefonieren jede Woche miteinander, besuchen sich häufig. "Wenn ich sie Pflegekind nenne, wird sie böse. Für sie bin ich ihre Mutter", freut sich Petra Scherg. Zur leiblichen Mutter hat keine der Schwestern Kontakt. "Sie haben sie nicht einmal zu ihren Hochzeiten eingeladen. Das hat mir für die Mutter dann schon leid getan."
Die eigenen Kinder der Schergs haben sich mit den Pflegekindern immer gut verstanden, haben sie sofort als Geschwister akzeptiert, mit ihnen gespielt und gelernt. "Wir haben ihnen die Situation der Kinder erklärt", sagt Petra Scherg. Auch mit den Pflegekindern hat das Ehepaar immer ehrlich über ihre leiblichen Eltern gesprochen.
"Keines der Kinder hatte eine wirkliche Bindung zur Mutter, das kann ich bis heute nicht begreifen."
Das vierte Pflegekind der Schergs ein paar Jahre später war wieder ein Mädchen, sieben Jahre. Ihr Vater war Dealer, die Mutter rauschgiftabhängig. "Ein Kind aus normalen Verhältnissen zu bekommen, ist fast unmöglich. Es kamen alle aus asozialen Familien", betont Petra Scherg. Mit 18 Jahren zog sie aus, Kontakt zu ihr haben die Schergs kaum noch. "Es sind eben nicht alle da, wo wir sie gerne gehabt hätten", bedauert die Pflegemutter.
"Gefühl, versagt zu haben" Das fünfte Pflegekind kam ebenfalls mit sieben Jahren zur Großfamilie. "Seine Mutter hat getrunken, versorgte ihn nicht", erzählt das Ehepaar. Mit ihm gab es viele Probleme: "Er war ein lieber Kerl, aber er klaute ständig." Lange brach der Kontakt zwischendurch ab.
"Da hatte man schon das Gefühl, versagt zu haben", sagt Petra Scherg. Inzwischen ist er erwachsen, hat selbst Familie, ist weg von der schiefen Bahn und hat wieder Kontakt zu seinen Pflegeeltern. Finanziell gab das Jugendamt immer was dazu - beim Führerschein, bei Klassenfahrten oder bei Urlauben. "Vom Jugendamt bekamen wir große Unterstützung." Auch der Kontakt zu anderen Pflegefamilien habe immer geholfen.
Das Ehepaar Scherg bereut jedenfalls nichts. Sie würden beide alles nochmal genauso wieder machen: "Die Kinder sind mein Leben. Ohne sie wäre es viel zu tot und viel zu leer", sagt Petra Scherg. Schon ihre eigenen Eltern hatten eine Pflegetochter aufgenommen, einen weiteren Pflegesohn aber abgelehnt.
"Das hat mir leid getan."
Immer wieder bekommen Petra und Bernd Scherg zu hören: "Wieso nehmt ihr diese Kinder auf? Die sind doch nichts wert." Doch sie sehen das anders: "Natürlich haben sie mehr Probleme als andere Kinder, aber es gibt auch schöne Zeiten." Vor zehn Jahren haben sie deswegen wieder zwei Pflegekinder aufgenommen.
Hintergrund: Wenn Kinder ein neues Zuhause bekommen
Emotionale Vernachlässigung, mangelnde Beaufsichtigung, Unterernährung, häusliche Gewalt, sexueller Missbrauch - das sind laut Rüdiger Heim vom Pflegekinderfachdienst im Jugendamt Bad Kissingen die häufigsten Ursachen für die Herausnahme eines Kindes aus seiner Familie. "Das Umgangsrecht für die leiblichen Eltern fällt bei Gefahr von Leib und Leben des Kindes aus", erläutert er.
Bei der Übergabe in eine Pflegefamilie ist der Pflegekinderfachdienst immer dabei.
Die intensive Betreuung und Begleitung ist seine zentrale Aufgabe. "Wir sind eine Art Brücke zwischen den leiblichen und den Pflegeeltern", sagt Heim. Die Herausnahme aus der Herkunftsfamilie kann freiwillig, also mit Zustimmung der Eltern passieren, aber auch unter einer einstweiligen gerichtlichen Anordnung. Die Übergabe ist für keinen der Beteiligten leicht. Vor allem die Kinder erleben sie sehr intensiv. Sie sehnen sich nach Liebe und Anerkennung ihrer leiblichen Eltern, fühlen sich ängstlich, sind abweisend. "Die Kinder geraten in einen Loyalitätskonflikt und fühlen sich schuldig." Innerhalb von drei bis vier Wochen passen sie sich aber allmählich ihrer neuen Umgebung an, fühlen sich sicher, geachtet und geliebt.
Bei der Herkunftsfamilie bleiben dagegen "tief sitzende Schuldgefühle, versteckte Wut und ein Konkurrenzdenken gegenüber der Pflegeeltern." Die Pflegefamilie soll sich derweil in die Rolle der Herkunftsfamilie einfinden. Eine Rückführung zu den leiblichen Eltern bleibt trotzdem oberstes Ziel. "Ein emotional schmerzlicher Prozess, den es aber anzustreben gilt."
Schwierige Situation Der Loslösungsprozess setzt gerade bei den Pflegeeltern einen hohen Reifegrad voraus, das Kind selbst hat das Gefühl, wieder nach Hause zu kommen. "Für die Herkunftsfamilie ist die Re-Integrierung des Kindes dagegen häufig mit Ängsten verbunden, zu versagen."
Ist keine Rückführung möglich, beispielsweise bei psychisch erkrankten Eltern, bleibt das Kind bis zu seinem 18. oder auch 21. Lebensjahr bei seiner Pflegefamilie.
Der Pflegekinderfachdienst steht ihr weiterhin immer zur Seite, berät und begleitet sie. Mit einem jährlichen Hilfeplan wird die Entwicklung des Kindes gemeinsam mit den Pflegeeltern dauerhaft beobachtet.
Intensive Vorbereitung Pflegeelternbewerber werden vom Kinderpflegefachdienst intensiv vorbereitet. In fünf bis acht Vorgesprächen werden sie auf Herz und Nieren geprüft und ihre erzieherischen Grundsätze sowie ihre Persönlichkeitsstrukturen genau unter die Lupe genommen. Heim motiviert: "Pflegeeltern sein, ist eine schöne Aufgabe die viel Freude bereiten kann, vor allem wenn sichtbar wird, wie Kinder sich positiv entwickeln können."