Im August hielt ein psychisch kranker Mensch die Bewohner von Haus Betro in Atem. Und nicht nur die Bewohner, auch Nachbarn beschwerten sich. Der unausgesprochene Vorwurf: Die Betreuer machen ja nichts. Genau, weil sie es nicht dürfen.
"Ich möchte um Verständnis werben", wendet sich Hilmer Ott, der Leiter der Betreuungsdienste für psychisch kranke Menschen (Betro) an die Saale-Zeitung. "Wir können unsere Bewohner nicht einfach in die Psychiatrie einweisen. Das ist ein komplizierter Prozess", erklärte Ott. Ohne richterliche Anweisung gehe da gar nichts. Und dann beschreibt Ott genau, was Anfang August geschah.
Ein psychisch kranker Bewohner - nennen wir ihn Henri K.
- hatte seine Medikamente abgesetzt, und zwar heimlich. "Die Bewohner richten ihre Medikamente selbst, wir schauen nur in Einzelfällen darauf, denn wir sind ja kein Heim", erklärt Ott. Der Mann, der an einer manisch-depressiven Erkrankung leidet, steigerte sich in seinen Wahn hinein. Das merkten die Betreuer vom Haus Betro dann schnell, "da ist der Zug aber schon fast durch", sagt Ott. Henri K.
zerschmeißt Geschirr auf der Straße, leert Essensreste über einem Auto aus, macht nachts kein Auge zu. "Aber es ist nichts passiert", schildert Ott. Und genau da liegt der Hase begraben.
Eine Zwangseinweisung ist streng geregelt Die Unterbringung von psychisch kranken Menschen in einer "geschützt geführten", also geschlossenen Abteilung, ist ein langwieriger Prozess.
Zuständig sind zunächst die vom Gericht bestimmten Betreuer. Ott informiert den Betreuer, der auch kommt. Er kann aber nur an Henri K. appellieren. "Solange der Mann nichts angestellt hat, also sich oder andere gefährdet, können wir nichts machen", erklärt Ott die schwierige Situation. Selbst die Polizei kommt nach Wildflecken. Und zieht unverrichteter Dinge wieder ab.
Dass Zwangseinweisungen so streng geregelt werden, hat einen guten Grund: Der Eingriff gegen ihren Willen wird für viele Patienten zum Trauma. Eine junge Frau, die auch bei Betro ist, hat das schon erlebt: Als sie 17 Jahre alt war, kam ein Psychologe zu ihr nach Hause. Alle erklärten ihr, sie müsse in die Klinik. "Ich dachte, ich bin die einzige Normale", erinnert sie sich. Dann steigt sie in den Krankenwagen, als nächstes wacht sie in einem Saal auf. In Werneck.
Noch Jahre plagen sie Alpträume.
Warten, bis etwas passiert Bei Henri K. gehen zwei Wochen ins Land. Es passiert ... nichts. Oder eben nichts, das gravierend genug wäre, um eine richterliche Anordnung zu rechtfertigen. Dann sagt sich Ott: "Das Vorspiel war lang genug!" und beantragt die ärztliche Unterbringung beim Gericht. Der positive Bescheid kommt auch - an einem Freitag, als alle Ämter zumachen.
Noch ein Wochenende, noch einmal Radau. Am Montag kommt der Krankenwagen für Henri K. Er wehrt sich nicht. Später, als er in Werneck wieder seine Medikamente nimmt, sieht er es ein. Endlich.
Nicht immer muss erst eine Zwangseinweisung angeleiert werden. "Wenn ich einen Rückfall gebaut habe", erzählt eine andere Frau, Mutter von drei Kindern. "Wenn ich einen Rückfall gebaut habe, dann bin ich aggressiv geworden." Gegen die Kinder.
Gegen den Mann, der damals noch ihr Mann war. "Aber irgendwie habe ich immer Einsicht gehabt", erzählt sie weiter und ihre Stimme wird dunkler. Mehr als 20 Mal war sie in der Klinik. Freiwillig.
Es gibt keine Garantie Im persönlichen Gespräch versucht Ott, die Bewohner zu überzeugen, sich rechtzeitig helfen zu lassen. "In 90 Prozent der Fälle funktioniert das auch", berichtet er.
Dann brauche es keinen Richter, die Dauer des Aufenthaltes in der Klinik sei nicht begrenzt. Es bleiben aber die zehn Prozent, bei denen alles Reden nichts nützt. Seit der Gründung von Betro im Jahr 2008 war es heuer das zweite Mal, dass ein Fall so eskaliert.
Für die Zukunft kann Ott solche Zwischenfälle nicht ausschließen: "Ich kann nur auf Beziehungsarbeit aufbauen, damit das nicht wieder vorkommt", sagt er. Garantieren kann er es nicht.