Im Bad Kissinger Kurtheater gab der Volksliedarrangeur Ludwig van Beethoven seine Visitenkarte ab.
Natürlich kennt jeder Beethovens Neunte oder die Klavierkonzerte - oder "Für Elise". Aber dass er auch Volkslieder bearbeitet hat, indem er die Melodien zu Trios für Violine, Violoncello und Klavier umgearbeitet und arrangiert hat, ist so gut wie überhaupt nicht bekannt. Für Beethoven war das eine gute Gelegenheit, schnelles Geld zu verdienen, auch wenn er sich einigen Ärger einhandelte. Denn sein Verleger George Thomson warf ihm vor, seine angepeilten Käufer, die bürgerlichen Musikamateure, technisch zu überfordern. Da hatte er nicht ganz unrecht. Denn Beethoven hatte keinen engen Bezug zur Volksmusik und ihrer Wirkungsweise. Und das Klaviertrio war für ihn nicht unbedingt eine Heimstätte des Humors - des derben schon gleich gar nicht.
Musik quer durch Europa Die Spannungen zwischen dem gesungenen Text und der Begleitung, die Thomson befürchtet hatte - die relativ geringen Verkaufszahlen gaben ihm Recht - zeigten sich auch jetzt auf der etwas gespenstisch ausgeleuchteten Bühne des Kurtheaters: "Beethoven - der Europäer" hieß das Konzert mit Felicitas Fuchs (Sopran), Luzian Krasznec (Tenor), Wolfgang Holzmair (Bariton), Feng Ning (Violine), Kian Soltani (Violoncello) und Semion Skigin (Klavier). 23 Lieder aus Beethovens Sammlung "Aus den Liedern verschiedener Völker" WoO 158 und vier der schottischen, irischen und walisischen Lieder standen auf dem Programm.
Eine interessante Sammlung aus aller Herren Länder Europas von Schweden über Russland bis Portugal. Die Tiroler Abteilung hätte man vielleicht ein bisschen strafffen können, weil die Lieder sich doch sehr ähneln. Andererseits waren aber gerade sie so schön, weil Felicitas Fuchs und Wolfgang Holzmair mehr oder weniger Muttersprachler sind und wissen, wie boshaft und brutal der alpenländische Charme sein kann. Das zeigte Felicitas Fuchs bei "Wann i in der Früh aufsteh", das sie köstlich falsch und überdreht sang, oder bei "I mag di nit nehma, du töppeter Hecht", in dem sie mit aggressiven Spitzentönen den Liebhaber in die Wüste prügelt. Auch Wolfgang Holzmair ist ein stark spielender Interpret, wenn er etwa in "A Madel, ja, a Madel" den Trottel Anton singt, der von sich selbst immer nur in der dritten Person spricht.
Luzian Krasznec - bei sei-nem Kissinger-Sommer-Debüt machte er große Lust auf mehr - wusste auch als Nicht-Muttersprachler genau, worum es ging, auch wenn er etwas zurückhaltender agierte. Aber bei "I bin a Tyroler Bua" platzte er fast vor hohlem Selbstbewusstsein: "Tyroler san halt immer klug."
Die anderen Lieder, etwa das schwedische Schlaflied "Lilla Carl, sov sött i frid", das russische "Ach ihr Bächlein, kühlen Wasser", das ungarische Trinklied "Edes kinos mlékezet" oder das spanische "La paloma blanca" waren ruhiger, fast möchte man sagen gesitteter, hatten zwar viel Ausdruckskraft, aber keine Derbheit, und das Trio sang sie mit viel Schwung und Engagement.
Zu viel Respekt vor Beethoven Das Problem der Kombination lag an der Begleitung. Nicht so sehr, weil Semion Skigin durchaus laut und leise - spätestens, als der Bayerische Rundfunk ihm den Flügeldeckel tiefer stellte - spielte, aber mit einem ständigen Staccato, das die Sätze austauschbar machte. Sondern weil es ihm nicht ganz gelungen war, seinen beiden Streichern zu vermitteln, was da vor sich geht. Feng Ning und Kian Soltani wirkten irritiert, weil sie sich scheuten, Beethoven'sche Kammermusik mit Schnaderhüpferln in Verbindung zu bringen. Und um nichts falsch zu machen, begannen sie so leise und vorsichtig, dass sie kaum zu hören waren. Dabei verträgt die Musik durchaus einen schenkelklopfenden Zugriff - oder muss ihn zumindest aushalten. Sie sollte das Lebensgefühl in den Texten selbstbewusst kommentieren. Im zweiten Teil hatten sich die beiden ein Herz gefasst und spielten kräftig mit.
Vielleicht sollte man aber auch einmal überlegen, Beethoven zu "korrigieren" und das Klavier durch eine Harfe zu ersetzen. Sie ist als Instrument und von ihrem Klang her näher an der Volksmusik und würde die Verbindung von Gesang und Begleitung leichter herstellen.