Bad Kissingen: Such-Frust statt Kitaplatz

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Die Kinder Sadil (von links), Sham, Mohammed und Maxim bauen im Turnraum des Kliegl-Kindergartens am liebsten Matratzenburgen. Kita-Leiterin Manuela Sauer hilft.
Die Kinder Sadil (von links), Sham, Mohammed und Maxim bauen im Turnraum des Kliegl-Kindergartens am liebsten Matratzenburgen. Kita-Leiterin Manuela Sauer hilft.
Benedikt Borst
Pfarrer Gerd Greier (von links), Manuela Sauer, Peter Kaidel (katholische Kirchenstiftung), Michaela Atzler (Verwalterin Theresienspital- und Kirchenstiftung), Stefanie Kaufmann (Referat Schulen) und OB Dirk Vogel wollen die Interimskita.
Pfarrer Gerd Greier (von links), Manuela Sauer,  Peter Kaidel (katholische Kirchenstiftung), Michaela Atzler (Verwalterin  Theresienspital- und Kirchenstiftung), Stefanie Kaufmann (Referat Schulen) und OB Dirk Vogel  wollen die Interimskita.
T. Hack

Eltern müssen monate-, teils jahrelang auf einen Kitaplatz für ihre Kinder warten. Rückkehrer Julian Werner kann ein Lied davon singen. Er hätte den Rechtsanspruch durchsetzen können, hat aber einen anderen Weg gewählt.

Julian Werner war beruflich längere Zeit im Ausland unterwegs. In Mexiko lernte er seine Frau Barbara kennen, inzwischen ist das Paar fest nach Bad Kissingen gezogen - hier in seiner Heimatstadt gründen sie ihre Familie. Eigentlich läuft alles hervorragend: Beide haben gut bezahlte Jobs in der Industrie in Bad Neustadt, den Traum vom eigenen Haus haben sie in Reiterswiesen verwirklicht, der gemeinsame Sohn kam im September 2020 zur Welt. In einem Punkt ist der Frust allerdings riesig: Bei der Platznot in den Bad Kissinger Kitas. "Wir überlegen nach dem ganzen Gezerre ernsthaft, ob wir noch ein zweites Kind wollen", sagt Julian Werner.

Er habe umgehend nach der Geburt versucht, das Kind in einer Kita anzumelden. Das Kind sollte mit einem Jahr in die Krippe gegeben werden, damit Barbara Werner wieder in den Beruf einsteigen kann. Nachdem die Anmeldung über das Elternportal der Stadt Little Bird nichts brachte, telefonierte er die Kindergärten in der Stadt ab. Jedoch hagelte es nur Absagen. "Wir haben uns für jeden Kindergarten angemeldet, Hauptsache wir kommen irgendwo unter", erzählt er.

Bis heute hat die Familie keine Zusage. Im Gegenteil: Erst für September 2023 - also drei Jahre nach der Geburt - haben die Werners einen Platz in einer Kissinger Kita in Aussicht. "Das ist nicht attraktiv, was die Stadt jungen Menschen anbietet. Wenn der Arbeitgeber nicht mitgespielt hätte, die Elternzeit in Teilzeit zu verlängern, hätte meine Frau ihre Arbeit aufgeben müssen", klagt Julian Werner. Mit der Teilzeitregelung, der Möglichkeit im Home-Office zu arbeiten und mit der Hilfe einer Tagesmutter, die den Sohn ein paar Stunden betreut, hangelt sich die Familie seitdem durch.

Rechtsanspruch und Klageweg

Seit dem 1. August 2013 besteht bundesweit ein Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für Kinder unter drei Jahren. Eltern, die einen Betreuungsplatz für ihr Kind wünschen, müssen einen Antrag beim Jugendamt stellen, bestätigt Rechtsanwalt Florian Arand von der Kanzlei Arand und Höfler Bad Kissingen im Gespräch mit dieser Redaktion. Wenn drei Monate nichts passiert, haben die Eltern die Möglichkeit einer Untätigkeitsklage. Bei einem Ablehnungsbescheid, oder wenn aus Sicht der Eltern eine unzumutbarer Betreuungsplatz zugewiesen wurde, können die Eltern Widerspruch einlegen, oder vor dem Verwaltungsgericht Klage einreichen.

Komplette Ablehnungsbescheide seien selten, ergänzt Arand. Aber es komme vor, dass zugewiesene Betreuungsplätze mit zu weiten Fahrten einhergehen oder die Situation von Geschwisterkindern nicht berücksichtigt wurde. Parallel zur eigentlichen Klage gibt es auch das Eilverfahren. Hier wird der Bescheid nur grob geprüft und welche Folgen die Entscheidung für beide Seiten hätte. Ein Eilverfahren ersetzt nicht die Entscheidung im eigentlichen Gerichtsverfahren.

Arand sagt: "Es ist definitiv ratsam, sich rechtlichen Beistand zu holen", wenn es darum geht, den Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz durchzusetzen. Ein Anwalt unterstützt nicht nur dabei, den Klageweg zu bestreiten. Es können auch andere Probleme aufkommen. Etwa wenn es um Schadensansprüche geht, weil wegen der unzureichenden Betreuungssituation eine Arbeitsstelle nicht angetreten werden konnte. Oder um die Frage, welches Rechtsmittel gerade das richtige ist. Ein weiterer Aspekt ist es, angemessenen Kontakt zur zuständigen Behörde zu halten.

Ein Platz im Nachbarlandkreis

Familie Wehner ist ohne den Klageweg ausgekommen. Vor kurzem haben sie die Suche nach einem Kitaplatz auf Bad Neustadt ausgedehnt. "Da hatten wir nach zwei Wochen die Rückmeldung, dass wir ab März einen bekommen", freut Julian Werner sich. Endlich.

Die Stadtverwaltung Bad Kissingen indes weiß um das enorme Problem: Die Versorgungsquote liegt bei 63 Prozent - das heißt, mehr als jedes Dritte Kind ist nicht versorgt. Bis Familien ihr Kind in einer Kita unterbringen, dauert es oft Monate, mitunter Jahre (siehe Infobox). Bis zum Beginn des neuen Kindergartenjahres im September sind nach Einschätzung des Rathauses 135 Kinder unversorgt. "Wir haben ein ganz grundsätzliches Problem", sagt Oberbürgermeister Dirk Vogel. Deshalb habe er die fehlenden Kitaplätze zur Chefsache erklärt. "Das Problem werde ich in dieser Amtszeit lösen", verspricht er.

Interimskita soll Entlastung bringen

Um mehr Betreuungsplätze zu schaffen, will die Stadt die Kita Poppenroth für eine Millionen Euro erweitern sowie mit der Theresienspitalstiftung für 5,3 Millionen Euro eine zweite Kliegl-Kindertagesstätte errichten. "Diese Projekte sind im Fluss", sagt Vogel. Jedoch helfen sie den Familien in der jetzigen Situation nicht weiter.

Eine Interims-Kita soll daher in Kürze Entlastung bringen. Die Theresienspitalstiftung, die katholische Kirchenstiftung und die Stadt Bad Kissingen wollen auf befristete Zeit im ehemaligen Dialysezentrum in der Steinstraße eine Kita öffnen, mit zwei Krippengruppen sowie einer Kindergartengruppe. Die 53 Plätze sollen später in dem 168 Plätze großen Neubau aufgehen. Die Interims-Kita wird nach Angaben der Stadt gegen Ende diesen Jahres bis Anfang nächsten Jahres den Betrieb aufnehmen. Voraussetzung ist, dass dort die baulichen Anforderungen erfüllt werden und das Jugendamt die Betriebserlaubnjs erteilt. Die Fachaufsicht habe sich bereits positiv geäußert und Zustimmung signalisiert.

Aktuell prüfe laut der Stadt ein Fachplaner das Gebäude. Geplant ist die Krippenkinder im Erd- und die Regelkinder im Obergeschoss unterzubringen. Für den Betrieb sind Umbauarbeiten nötig. Es entstehen sanitäre Anlagen, Garderoben, ein Speiseraum mit Küche, ein Lager-, Verwaltungs- und Personalbereich sowie die Gruppenräume. Die Nutzfläche beträgt 370 Quadratmeter, plus Außenspielbereich.

Die pädagogische Leitung übernimmt der Kliegl-Kindergarten. Leiterin Manuela Sauer bringe sich bereits in den Umbau ein. Die Finanzierung werde zwischen der Stadt und der Theresienspitalstiftung geklärt. Das Rathaus betont, dass Eltern derzeit noch keine Kinder für die Interims-kita anmelden können. Erst müssten die Vorarbeiten abgeschlossen und das erforderliche Personal gewonnen werden.

Die Zwischenlösung kommt für Familie Werner etwas zu spät. Julian Werner bemühe sich jedoch weiter, den Sohn in einer Bad Kissinger Kita unterzubringen. Der Junge soll dort Freunde finden, mit denen er später in Bad Kissingen zur Schule geht. Die Betreuung in Bad Neustadt bedeutet für die Familie aber bereits eine große Entlastung.

Kinderbetreuung in Bad Kissingen in Zahlen

Plätze In Bad Kissingen gibt es 13 Kindertageseinrichtungen mit 772 Betreuungsplätzen, darunter 102 Krippen-, 628 Kindergarten- sowie 42 Hortplätze (Alter: ein bis drei Jahre, drei bis sechs Jahre sowie Grundschulalter).

Warteliste 75 Kinder sind aktuell unversorgt, bis zu Beginn des neuen Kindergartenjahres 2022/23 im September kommen 60 weitere hinzu. 37 Prozent und damit mehr als jedes dritte Kind hat keinen Platz bekommen.

Wartezeit Im Kindergartenjahr 2020/21 haben 60 Prozent der Eltern innerhalb von sieben Monaten einen Betreuungsplatz für ihr Kind bekommen. Die Wartezeit kann allerdings auch bis zu zwei Jahre betragen. (Quelle: Stadt Bad Kissingen)

Ausbau In der Kindertagesstätte Poppenroth entstehen 25 neue Plätze, der Neubau Kliegl II sieht 168 Plätze vor (48 Krippen-, 70 Kindergarten- sowie 50 Hortpplätze).