Zwölf Tage auf dem Mittelmeer

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Ein Stück Normalität in der Flüchtlingsunterkunft in Volkers: Mohamed Shaker Safeyah, Sohn Yasser (vier Jahre alt, links) und Tochter Farah (zwei Jahre alt, rechts) malen zusammen. Foto: Ulrike Müller
Ein Stück Normalität in der Flüchtlingsunterkunft in Volkers: Mohamed Shaker Safeyah, Sohn Yasser (vier Jahre alt, links) und Tochter Farah (zwei Jahre alt, rechts) malen zusammen. Foto: Ulrike Müller
Die Flüchtlingsroute der Familie Safeyah von Syrien nach Deutschland. Grafik: Michael Beetz
Die Flüchtlingsroute der Familie Safeyah von Syrien nach Deutschland. Grafik: Michael Beetz
 
 
 
Übers Handy hält Mohamed Shaker Safeyah Kontakt zu seinen Eltern und seiner Schwester, die immer noch in Kairo sind. Foto: Ulrike Müller
Übers Handy hält Mohamed Shaker Safeyah Kontakt zu seinen Eltern und seiner Schwester, die immer noch in Kairo sind. Foto: Ulrike Müller
 
Die kleine Farah malt ein Bild. Als die Familie aus ihrer Heimat floh, war sie gerade einmal zwei Monate alt. Foto: Ulrike Müller
Die kleine Farah malt ein Bild. Als die Familie aus ihrer Heimat floh, war sie gerade einmal zwei Monate alt. Foto: Ulrike Müller
 

Mohamed Shaker Safeyah hat sich mit seiner Familie von Syrien nach Deutschland aufgemacht. Inzwischen lebt die Familie in der Gemeinschaftsunterkunft in Volkers. Die dramatische Überfahrt wird Safeyah sein Leben lang nicht vergessen.

Die Wände sind schmucklos, der Teppich rot und fleckig. Vom ehemaligen Hotel "Berghof Rhön" ist nicht viel übrig geblieben. Deshalb hat ein Privatmann das Anwesen gekauft und zu einer Unterkunft für Flüchtlinge gemacht. Seit Juni vergangenen Jahres leben hier Menschen aus Äthiopien, Syrien und Eritrea, dem Kosovo und einigen anderen Ländern. Bis zu 100 Leute wohnen in der Gemeinschaftsunterkunft der Regierung von Unterfranken.

Mohamed Shaker Safeyah ist im Juli gekommen. Der 28-Jährige öffnet die Tür zum kleinen Appartement, das die Familie bewohnt. Zwei Zimmer, eigenes Bad, gekocht wird in der Gemeinschaftsküche nebenan. "here very good [hier sehr gut; Anm. d. Red.]", sagt Safeyah in gebrochenem Englisch. Seine Augen sind freundlich und offen. Er bietet dem Gast etwas zu Trinken an. Man bittet um Wasser, die Frau bringt Saft.

5000 Dollar für die Überfahrt

Die Familie stammt aus Syrien, sie lebten im Umland der Hauptstadt Damaskus. "Not a city like this [nicht so eine Stadt wie hier]", sagt Safeyah und zeigt auf die Rhöner Berge. Er habe in Syrien einen Imbiss gehabt, Milchshakes, Hamburger und Sandwiches verkauft. Dann holt er sein Handy und zeigt die völlig zerstörte Fassade eines mehrstöckigen Gebäudes. Das Foto ist offensichtlich von einem Bildschirm abfotografiert worden. "Alles kaputt..." sagt der Familienvater, diesmal auf deutsch. Safeyah besucht den Deutschunterricht in der Gemeinschaftsunterkunft.

In der Ecke sitzt Maryam Alorfali, Safeyas Frau, und hört zu. Sie trägt westliche Kleidung, die Haare sind mit einer Spange hochgesteckt. Sie ist erst 19 Jahre alt, hat aber schon zwei Kinder zur Welt gebracht: Yasser ist vier Jahre alt und geht in Volkers in den Kindergarten. Seine Schwester Farah ist drei Jahre alt. Als die Kämpfe ihre Heimatstadt erreichten, floh die Familie nach Ägypten. Die kleine Farah war damals erst zwei Monate alt.

In Ägypten habe die Familie nicht bleiben können, erzählt Safeya. Mit Schneiderarbeiten verdiente er viel zu wenig, um seine Familie in der Hauptstadt Kairo durchzubringen. Sein Bruder, der bereits seit zehn Jahren in Deutschland lebt, schickt Geld - erst zum Überleben, später für die Überfahrt. 5000 Dollar zahlt Safeyah für sich und seine Frau. Die Kinder fahren kostenlos mit. An Bord seien etwa 450 Flüchtlinge gewesen, erinnert er sich.

Über die Überfahrt übers Mittelmeer von Ägypten nach Italien redet Safeya nicht viel. Ihm fehlen schlicht die Vokabeln. Zwölf Tage sei das Schiff unterwegs gewesen, der Wassercontainer leer, das Gepäck längst über Bord geworfen. Toiletten? "Keine Toiletten", sagt Safeyah. "Wenn du nicht isst und nicht trinkst..."

Nachts nimmt er seinen Sohn in die Arme. Das Kind fragt nach Kuchen, will Schokolade. "Es war kalt, unsere Kleidung war ganz nass. Wir wären gestorben", sagt er. Dann endlich greift die Küstenwache die Flüchtlinge auf. "Unser Gott hat uns geholfen", sagt Safeya. Er meint Allah.

Bleiberecht für drei Jahre

"Das ist glaubwürdig, das ist nicht erfunden und das ist kein Einzelfall", sagt Daniela Schad. Dann erklärt die Flüchtlingsbetreuerin des Caritasverbandes für den Landkreis Bad Kissingen, warum die Familie in Deutschland ein Asylverfahren durchläuft, obwohl sie über Italien eingereist ist. Laut EU-Recht müssen Flüchtlinge in dem Land Asyl beantragen, in dem sie erstmals europäischen Boden betraten. "Viele Flüchtlinge werden gar nicht mehr zurückgeschickt, weil eine menschenwürdige Unterbringung nicht garantiert werden kann."

Die Safeyahs hatten Glück. Sie haben eine Aufenthaltserlaubnis für drei Jahre bekommen. Stolz zeigt Safeyah das blaue Papier. "Die Familie hat einen der besten Aufenthaltstatus erwischt", sagt Schad. Nach drei Jahren werde in der Regel ein unbefristeter Aufenthalt gewährt. Die Familie wird wohl nach Bonn ziehen. Der Bruder suche schon eine Wohnung, erzählt Safeyah.

Bevor die Kinder fotografiert werden, wischt die Mutter ihnen mit einem Taschentuch übers Gesicht. Sie selbst will nicht aufs Bild, sie ist nicht verschleiert. Irgendwann möchte Safeyah seine Eltern und seine Schwester aus Ägypten nachholen. Sein Vater ist 70 Jahre alt, die Mutter hat Schmerzen im Knie, die Schwester vier Kinder. Sie hatten Angst vor der Überfahrt.

Was er sich für seine Kinder wünscht? Safeyah lacht, dann schließt er die Augen. "Lernen, kein Krieg, Sicherheit..." Unwillkürlich legt er seine Hand auf das Bein der Jüngsten. "No problem in Leben", sagt er. Seinen Koran hat Safeyah nicht über Bord geworfen. Das Buch zeigt deutliche Gebrauchsspuren. Es sind Muslime, die vor Muslimen fliehen. Es sind Menschen, die vor dem Krieg fliehen. Menschen wie Mohamed Shaker Safeyah und seine Familie.