Vor 100 Jahren saßen die Menschen wie heute auch in den Kirchen des Landes. Gepredigt wurde freilich etwas anderes. Ein Auszug aus der Kriegschronik der Pfarrei Zeitlofs.
Als der Krieg kam, da war es wie vor einem Gewitter. Die "einsetzende politische Gewitterschwuele hatte einen solchen Grad erreicht, dass sie nur in einer Katastrophe sich ausloesen konnte", schrieb Oskar Daumiller in der Kirchlichen Kriegschronik der Pfarrei Zeitlofs. Daumiller war damals Pfarrer in Zeitlofs. Er hat seine Erinnerungen - mitsamt Auszügen aus seinen Predigten - aufgeschrieben.
Und die Katastrophe kam. Als Anfang August die Mobilmachung des Heeres angeordnet wurde, entschied sich Daumiller spontan, einen feierlichen Abschiedsgottesdienst für die Soldaten auf die Beine zu stellen. "Nie", so schreibt der Pfarrer, "habe ich die Maenner und Frauen meiner Gemeinde so ergriffen gesehen wie in dieser Stunde." Das Bibelwort, über das Daumiller spricht, lautet: "Er aber, der Gott des Friedens, heilige euch durch und durch..." Der Pfarrer liest es - und dann spricht er über den Krieg.
Folgen bis heute spürbar "Wir stehen in einer Pruefungsstunde", sagt Pfarrer Daumiller. "... unser Heer?! Gewiss tuechtig. Wer selbst drin gedient hat, weiss es. Guter Geist steckt drin. Unsere Heerfuehrer. Achtung der Welt. Unsere Fuersten, Koenig und Kaiser, voller Vertrauen." Doch damit nicht genug. "Gott muss euch ruesten", sagt der Geistliche in seiner Predigt, "mit Wort, mit Kraft, mit heiliger Begeisterung."
"Im Ersten Weltkrieg hat die Kirche völlig versagt!" Joachim Weichert entfährt dieser Satz, dabei ist er selbst ein Kirchenmann. Seine Frau Barbara ist Pfarrerin in Zeitlofs. Beide stehen vor der Gedenktafel, die in der Kirche in Zeitlofs rechts vom Altarraum angebracht ist. Die Namen der gefallenen oder vermissten Soldaten stehen darauf - allein für Zeitlofs sind es 23. Auch die toten Gemeindemitglieder aus Eckarts, Rupboden, Rossbach und Brückenau sind auf der Tafel notiert.
"Bis heute spüren wir die Folgen der beiden Weltkriege in der Seelsorgearbeit", sagt Barbara Weichert, etwas bedächtiger als ihr Mann, doch genauso klar. "Wenn die Generation unserer Eltern als Kinder in den Bombennächten in den Kellern saß, dann machte das ja etwas mit ihnen", sagt die Pfarrerin. Eine Generation davor sei es der Erste Weltkrieg gewesen, der die Menschen traumatisiert habe. "Ängste überträgt man oft unbewusst an seine Kinder", sagt Joachim Weichert. Oft wüssten die Leute gar nicht, wo diese Ängste überhaupt herkommen.
Zeitsprung. Die Männer, die 1914 in derselben Kirche in den Krieg geschickt wurden, bekamen ein Neues Testament - das ist ein Teil der Bibel - in die Hand gedrückt. "In diesen Testamenten hatte die von Thuengen'schen Damen die Perlen der heiligen Schrift, die in dieser schweren Zeit besonders Trost, Kraft und Weisung zu bieten vermochten, rot unterstrichen damit sie die Soldaten leichter finden konnten", berichtet Oskar Daumiller.
Der Lehrer springt ein Eines muss man dem Pfarrer lassen: Trotz aller Kriegshetze ließ er das Menschliche nicht außen vor. "Wenn ihr Maedchen und Frauen im Feindesland begegnet, vergesst mir das nicht, dass auch daheim Schwestern, Frauen und Muetter sitzen, um die ihr bangt und die ihr nimmer in wollusstiger Feinde Hand wissen moechtet", predigt er seiner Gemeinde.
Doch bald greift der Krieg auch nach der Kirche. Daumiller wird am 1. Oktober 1914 als Divisionsgeistlicher zur 6. bayerischen Reserve Division einberufen. Die "Kriegsbetstunde", die anfangs sehr gut besucht ist, übernimmt Hauptlehrer Kern. Ein Nachfolger für den Pfarrer kommt erst im November 1917. Pfarrer Franz Woeckel führt die Kriegschronik seines Vorgängers fort. Er berichtet von der Gedenktafel, die heute in der Kirche hängt.
Denn als der Krieg zu Ende ist, feiert die Gemeinde wieder einen Gottesdienst. "Nicht der Glaube sei in diesem Kriege bankrott geworden", sagt der Pfarrer in seiner Predigt, "vielmehr sei dieser in Kampf und Not und Trauer der einzige Halt gewesen." Und dann wird für die Gedenktafel gesammelt. Hauptlehrer Kern nimmt nicht am Gottesdienst teil, bedauert Pfarrer Woeckel. Er verlor im Frühjahr 1918 seinen Sohn "durch den Heldentod". Auch sein Name steht auf der Tafel.