Jüdischem Leben aus mehreren Jahrhunderten auf der Spur: Die Universität Wien interessierte sich für Bad Brückenau.
Eine Gruppe von Dozenten und Studenten der Universität Wien hatte die Stadt und das Staatsbad Brückenau als Studienziel auserkoren. Es ging dabei um das Thema "Juden im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation und in den Nachfolgestaaten".
Kreisheimatpflegerin Cornelia Mence begrüßte die Wissenschaftler unter der Führung von Dr. Stephan Wendehorst. Die gingen auf ihrer zweiwöchigen Studienreise das Thema "Juden" aus den Blickwinkeln verschiedener Fakultäten an, nämlich aus Sicht der Historiker, Juristen, Sprachwissenschaftler, insbesondere Germanisten. Zu Fuß marschierten sie zu ehemals jüdischen Einrichtungen und Gebäuden und ließen sich von Cornelia Mence die geschichtlichen Hintergründe erläutern.
"Anlass für diesen Rundgang durch Staatsbad und Stadt Brückenau ist der Roman ,Zwischen zwei Städten‘ des hebräischen Schriftstellers Josef Samuel Agnon (1888 bis 1970), den der aus Galizien (heute Ukraine) stammende Autor in Bad Brückenau spielen ließ", erinnerte Mence. In diesem Roman wurde das jüdische Leben in der Bäderstadt von Agnon beleuchtet, der in der Zeit des Ersten Weltkrieges in Bad Brückenau weilte.
Heute ein Therapiezentrum
So zum Beispiel die ehemaligen Kurhäuser der Familien Kaufmann und Strauß. Auch die ehemalige Bäckerei Siegmund Stern (bis vor wenigen Jahren Redaktionssitz der Saale-Zeitung) war ein Anlaufpunkt des Rundgangs. Ebenso die Steuerbehörde und das Gerichtsgebäude. Zum Schluss machte die Besichtigungstour vor dem ehemaligen jüdischen Zentralhotel Schuster halt, in dem heute ein Therapiezentrum beheimatet ist. "Die Familie Julius Schuster war von Sterbfritz nach Brückenau gekommen und hatte ab 1923 das Hotel bis etwa 1938 betrieben", erklärte Mence. Sohn David Schuster war nach dem Krieg lange Jahre Vorsitzender der jüdischen Gemeinde in Würzburg. Die alte Brückenauer Synagoge ist heute ein Fitnesscenter. Eine Teilnehmerin der Studentengruppe schlug vor, dort zusätzlich zu der metallenen Gedenktafel eine Fotografie der Synagoge anzubringen, damit man sich das Ausmaß und die Schönheit des Gebäudes vorstellen kann.
Zu dem angekündigten Vortrag "Jüdische Besucher frühneuzeitlicher Heilbäder" von Wendehorst in der Georgi-Kurhalle waren ausdrücklich auch interessierte Außenstehende eingeladen. Wendehorst gab in seinem Vortrag interessante Einblicke in die europäischen Bäderlandschaften, die mit der beginnenden Neuzeit (um 1500) ihren Anfang nahmen. Bäder zwischen Spa (Belgien), Pyrmont, Lauchstädt, Langenschwalbach und Baden bei Wien gerieten ins Blickfeld, wenn es um Besuche der Juden in diesen Orten ging.
Geregelte Rechtsbereiche
Anhand eines etwa 400 Jahre alten Stiches von Bad Langenschwalbach zeigte Wendehorst, wie der Umgang mit den Juden geregelt war. An dem Heilbrunnen war deutlich der "Judenbereich" zu erkennen. "Es gab einen friedlich geregelten Rechtsbereich als temporäre Rechtsgemeinschaft", so Wendehorst. Damals habe es auch im Bereich von Höfen Sonderrechte und so genannte hofbefreite Rechte für Tätigkeiten der Juden gegeben. Einen gemeinsamen Rechtsraum habe es für Christen und Juden bei Märkten, Messen und Börsen mit einer temporären Messegerichtsbarkeit gegeben. Freien Zugang hätten Juden des 17. Jahrhunderts an den Universitäten zum Studium gehabt.
Anhand von Badelisten aus Spa und Langenschwalbach des 19. Jahrhunderts zeigte Wendehorst, wie mit den Namen prominenter Gäste für den Badeort geworben wurde. "Solche Listen gab es auch für Bad Brückenau", sagte er. Auch die Kurtaxe sei zu dieser Zeit schon ein Thema gewesen. Und die Sammelbüchsen für die Armen, die man mit solchen Maßnahmen auf Distanz zu den wohlhabenden Gästen halten wollte. "Gebadet wurde ganz individuell - lieber in 40 Einzelwannen statt in einem gemeinsamen Pool", erklärte Wendehorst. Einige Gasthöfe hatten sich speziell auf koschere Kost für jüdische Gäste eingestellt.
Beschauliche Spaziergänge zwischen Katznau-Bad und Katznau-StadtIn seinem Roman "Zwischen zwei Städten" hat Joseph Samuel Agnon Bad Brückenau zur Zeit des Ersten Weltkriegs aus jüdischer Sicht beschrieben. Bei ihm heißt der Ort allerdings "Katznau-Bad, wo Heilquellen aus der Erde sprudeln". Weiter schreibt er: "Aus dem ganzen Lande kommt man dorthin, um sein Wasser zu trinken und Bäder zu nehmen. Die Grundstücksbesitzer bauten sich Villen, um sie an Kurgäste zu vermieten, pflanzten Kurgärten an und brachten Musiker, um den Gästen vorzuspielen. Als der alte Herr Gundersheimer und der Fleischermeister Niedermeyer in Katznau-Bad eröffneten, kamen auch Leute, die nur koscher essen."
Über den zweiteiligen oder doppelten Badeort schrieb Agnon: "Als also Katznau-Bad zu einem Badeort wurde und Heilungssuchende - darunter auch Juden - dorthin zu kommen begannen, fingen auch Leute aus Katznau-Stadt an, dorthin zu kommen. Und da sie die sechs Wochentage über mit ihren Geschäften in Anspruch genommen sind und keine freie Zeit finden, und da der Sabbat lang und nichts an ihm zu tun ist, so nimmt man seine Frau und seine Söhne und Töchter, geht und macht zusammen einen Spaziergang zwischen Bäumen und Gärten, Blumen und Badegästen, erblickt neue Gesichter und vernimmt hörenswerte Dinge."
Den Weg zwischen Stadt und Staatsbad beschreibt Agnon als angenehm: "Von Katznau nach Katznau ist es kein weiter Weg. Ein großer Tannenwald spendet Schatten, und nicht einmal für Frauen, Greise oder kleine Kinder gehört eine Anstrengung dazu, von einer Stadt zur anderen zu gelangen. Wenn sie so im Wald dahinziehen, wo die Bäume duften und Schatten spenden, wo Vögel und Schmetterlinge um sie her spielen, dann dehnt sich eines Menschen Herz, und seine Zunge wird beredt. Auch der Körper, der von der Warenlast und den Verbeugungen vor den Kunden gekrümmt ist, streckt sich ein wenig. Gewiss auch, wenn sie aus dem Badeort heimkehren und sich an etwas Schönes erinnern, das sie dort von einem Badegast gehört haben."
Bei seinen Gängen gelangte Isidor Schaltjahr nach Katznau-Stadt. "Er spürte den Duft von frischem Brot. Er ging dem Geruch nach und kam zu einem jüdischen Bäcker. Er klopfte an die Tür und trat ein. Man merkte, dass das ein feiner Mensch war und empfing ihn mit großer Liebenswürdigkeit. Als man hörte, dass er Lehrer und dazu noch aus Frankfurt sei, war man doppelt ehrerbietig zu ihm. Man brachte ihm ein Glas kalte Milch, Gebäck, Brot, Butter, Käse. Er aß und trank, genoss es sehr, und seufzte über seine Frau und seine zarten Küchelchen (Kinder), die, während er frisches Brot mit Butter und Käse esse (...), nicht einmal trocken Brot zum Satt essen hätten."