Emily aus Venezuela will Braumeisterin werden
Autor: Stephanie Elm
Speicherz, Sonntag, 28. August 2016
Emily Patricia Vegas Seijas aus Venezuela lebt ein Jahr in der Rhön. Die junge Frau möchte ihr Deutsch verbesssern - und Braumeisterin werden.
Seit April hat ist das kleine Rhöndorf die Heimat von Emily Patricia Vegas Seijas aus Venezuela. Als Au-Pair-Mädchen verbringt sie ein Jahr in Deutschland, weil sie für ihr berufliches Weiterkommen Deutsch lernen möchte - und des deutschen Biers wegen. Emily hat in Caracas bereits ein Biologiestudium abgeschlossen und in "Polar", Venezuelas größter Brauerei, gearbeitet. Braumeisterin möchte sie nun werden, dies gestaltet sich jedoch für eine Frau in Venezuela schwierig.
Hochgradig interessiert sich die 24-Jährige für die Wissenschaft der Mikroorganismen und wie diese für das Bier sorgen. "Bier wird völlig unterschätzt", erzählt Emily: "Der Bierbrauprozess beginnt schon beim Rohmaterial. Man muss alles abstimmen und immer kontrollieren. Ich liebe das, weil das jeden Tag eine Herausforderung ist und man immer dazulernt." Wenn sie ihre Ausbildung abgeschlossen hat, möchte sie einen Blog schreiben, in dem sie über "das beliebteste Getränk auf der Welt" umfassend informiert. Am liebsten hätte sie gerne ihre eigene Brauerei.
Erste Brauerei-Erfahrungen in Venezuela gesammelt
Noch während ihres Studiums hat sie erste Brauerei-Erfahrungen in einer "Craft-Brewery" gesammelt, wo das Bier auf handwerklich-traditionelle Weise hergestellt wird. Als Biertesterin hat sie auch schon gearbeitet und sagt: "Ich vertrage schon was." Allerdings ist der Alkoholgehalt des venezolanischen Biers mit zwei bis drei Prozent niedriger als beim deutschen. "Hier trinke ich nicht so viel Bier, aber besseres."Emily bezeichnet ihr "ganzes Leben wie ein Hobby". Fahrrad fahren, ausgehen, andere Kulturen kennenlernen, Bier trinken natürlich, aber auch ehrenamtliche Arbeit gehören zu ihren Freizeitbeschäftigungen. In Venezuela war sie Krankenhaus-Clown und in der Schulzeit verbrachte sie die Karwoche zusammen mit armen Kindern, hat mit ihnen gelebt und Sammlungen organisiert.
Kriminalität in der Heimat ist hoch
So einfach es in Venezuela ist, anderen zu helfen, so schwierig ist es, auszugehen, oder auch nur spazieren zu gehen. Sie selbst war bereits mit ihrer Familie entführt, bestohlen und im Nirgendwo ausgesetzt worden. "Ich liebe meine Heimat, aber Venezuela ist im Moment kein Ort, wo man leben möchte", erzählt Emily. "In der letzten Zeit ist es schlimmer geworden." Sogar tagsüber auf dem Weg zu ihrer Arbeitsstelle hatte sie immer Angst vor Übergriffen. Viele ihrer Bekannten sehen für sich in Venezuela keine Zukunft und sind ins Ausland gegangen. Zwei ihrer besten Freunde arbeiten in Berlin, ihr Freund Jan Carlo studiert in Rom. Was der größte Unterschied zwischen dem deutschen und dem venezolanischen Leben ist? Emily lacht und sagt: "Alles!" Hier kann sie unbeschwert und alleine fahrradfahren, die Straßen sind sauber, "es funktioniert einfach alles", die Leute sind "relaxed". Sehr genieße sie hier die Natur und die Stille. In Venezuela trifft man sich oft, redet, hört Musik, alles auf einmal. Vor dem Supermarkt muss sie hier keine zwei Stunden in der Schlange stehen, im Supermarkt hat sie für nahezu jedes Produkt eine ungeahnte Auswahl, die sie manchmal überfordert. Essen und auch Wasser stehen hier unbegrenzt zur Verfügung, in Venezuela ist beides rationiert.
Emily gibt ein Beispiel, das aufzeigt, wie groß die Unterschiede sind. Eine Tankfüllung Benzin kostet in Venezuela circa 200 Bolivares, 2000 Bolivares dagegen ein Apfel. Für Emily der pure Luxus! "Und das verfüttert man hier an die Pferde!", sagt sie und kann es immer noch nicht fassen. Mit dem deutschen Essen kommt sie gut klar. "Es gibt hier sehr viel Brot und Wurst - ich mag das." Als sie Ende April ankam, sah sie zum ersten Mal in ihrem Leben Schnee.
Kaum Vorurteile gespürt
Am Schwierigsten ist die deutsche Sprache. "Die habe ich völlig falsch eingeschätzt. Ich fühlte mich am Anfang wie ein Baby." Aber mit den Kindern in ihrer Gastfamilie klappt das Deutsch-Lernen jeden Tag besser: "Die Kinder sind die besten Lehrer." Das "Auf geht's" hört man sie schon fast akzentfrei rufen. Vorurteile hat sie in Deutschland keine erfahren müssen. "Nur einmal, aber ich glaube, das sollte ein Scherz gewesen sein, meinte ein Mann, er müsse mir erzählen, dass in Südamerika ja nur Indianer leben", sagt Emily. Die Deutschen hat sie bisher als "freundlich, aber distanziert" erlebt. Die Befürchtungen ihrer Familie, dass - besonders in Süddeutschland - ja nur "rohe und rassistische Menschen leben", kann sie keinesfalls bestätigen. "Hier sind alle sehr nett und neugierig."
Eigentlich kann man Venezuela und Deutschland nicht miteinander vergleichen, zu groß sind die politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Unterschiede. Welche Begriffe fallen Emily spontan für Venezuela und Deutschland ein? Da muss sie nicht lange überlegen: "hope" für Venezuela und "home" für Deutschland. Denn Emilys Herz schlägt mittlerweile für beide Heimaten und sie würde für sich am liebsten eine Mischung aus beiden wünschen.
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