Cecilia Bartoli stellte mit dem Originalklanganemble "I Barocchisti" ihre neueste Ausgrabung vor: Arien aus Opern des Italieners Agostino Steffani - und versetzte den Großen Saal in Spannung.
Dass Cecilia Bartoli eine herausragende Sängerin ist, hat sich herumgesprochen. Und auch, dass ihre Fans immer wieder in ihre Konzerte strömen, um sich dieser Tatsache zu versichern. Aber es gibt noch einen anderen Grund, ihre Galaabende zu besuchen: Wer in der alten Musik etwas Neues hören will, sollte sie sich nicht entgehen lassen. Denn Cecilia Bartoli ist eine Sängerin, die es sich erlauben kann, nicht das übliche Primadonnengold von A bis Z herunterzuträllern, das manche Operngalas so beliebig macht. Was sie singt, sind in den meisten Fällen Wiedererstaufführungen, die sie bei ihrer Wühlarbeit in den Archiven ausgegraben hat. Und da sie sich nicht mit zu Recht vergessenen Kleinmeistern einlässt, sind für das Publikum großartige Entdeckungen möglich.
Wie jetzt Agostino Steffani, der komponierende Diplomat und Kirchenmann, der katholische Stachel des Vatikan im protestantischen Fleisch der norddeutschen Tiefebenen.Cecilia Bartoli hat ihn einmal als "Händels Großvater" bezeichnet, womit sie ihhm ein bisschen unrecht tut. Klar, mit 41 Jahren hätte Steffani auch sein Vater werden können. Aber Händel bezieht sich ohne Zwischengeneration direkt auf ihn, nimmt seine Einflüsse ungefiltert auf. Und dann hat Steffanis Musik so überhaupt nichts Großväterliches, Opaeskes an sich. Natürlich bleibt Steffani innerhalb des gültigen Formenkanons. Aber stilistisch und thematisch hat er sehr viel Frisches, Ungewöhnliches, Unabgenutztes in seiner Musik, die nie den Eindruck des Floskelhaften vermittelt, wie das bei Vivaldi öfters der Fall ist.
Doppelte Tugenden Man muss allerdings auch sagen, dass das Ensemble "I Barocchisti" für diese Musik die absolute Idealbesetzung war. In dieser Truppe von Diego Fasolis - er musste sich an diesem Abend von Andrea Marchiol vertreten lassen - spielen natürlich nicht nur Tessiner. Aber die Verortung im südschweizerischen Lugano verbindet zwei Tugenden, die sich auch in Steffanis Musik widerspiegeln: "I Barocchisti" spielen mit dem energischen, rhythmusbetonten Zugriff der Italiener bei gleichzeitiger schweizerischer Kontrolliertheit. Das ergibt unterm Strich eine Musik mit einer außerordentlichen Animiertheit, die allerdings nie in Richtung Derbheit rutscht, sondern die das Ohr auf sehr viele Zwischenschichten, -töne und Farben lenkt, auf starke kommentierende Aspekte, die außerordentlich dicht am Text entlang komponiert sind. Da hat ein Italiener für ein deutsches Publikum geschrieben.
Es war natürlich eine gewollte, aber für das Publikum überraschende Idee von Cecilia Bartoli, ihre vier Zugaben aus Arien von Vivaldi und Händel auszuwählen. Da hatte man plötzlich einen direkten Vergleich. Da merkte man, dass Vivaldi im Vergleich zu Steffani etwas dünn in der Faktur und auch etwas floskelhaft und wohl auch humorlos war. Da merkte man aber auch, wie sehr sich Händel vor allem an Steffanis Emotionalität orientiert hat und sie weiterentwickelt hat unter Reduzierung und Konzentration der Mittel.
"Unitalienische" Szenarien Aber vor allem sang Cecilia Bartoli natürlich Steffani. Es war ein geschickt ausgesuchtes und arrangiertes Programm, das die ganze Bandbreite zeigte. Und zwar sowohl, was die Sujets angeht: Da begegnete man Alarich dem Balten oder Heinrich dem Löwen oder dem Bayernherzog Tassilo, der sich Karl dem Großen widersetzte - alles völlig neue Tableaux, auch wenn es letztlich immer um Liebe und Treue geht.
Bandbreite aber auch in sängerischer Hinsicht. Man weiß, wie sich Cecilia Bartoli genüsslich den schwierigsten Koloraturen widmet, und es war hinreißend, wie sie sich der auskomponierten Konkurrenz von Naturtrompete und Oboe stellte und natürlich gewann. Und man weiß, wie sie mit ganz langem Atem die Innigkeit in die Bereiche des kaum noch Hörbaren, aber Erfahrbaren treiben kann, wie sie mit Extremen spielt. Das war gewohnt sensationell. Neu sensationell waren die Inhalte.