Als das Rathaus noch ein Schloss war

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Eine Urkunde, gesiegelt am 16. Mai 1778 von Friedrich Lochner von Hüttenbach, überreichte Oberbürgermeister Kay Blankenburg (l.) an Eberhard Freiherr Lochner von Hüttenbach und Benno Dichtel. Foto: Thomas Ahnert
Eine Urkunde, gesiegelt am 16. Mai 1778 von Friedrich Lochner von Hüttenbach, überreichte Oberbürgermeister Kay Blankenburg  (l.) an Eberhard Freiherr Lochner von Hüttenbach und Benno Dichtel.  Foto: Thomas Ahnert

Vor 25 Jahren hielt Renate Dichtel einen Vortrag über ihre Familie, die 210 Jahre im heutigen Bad Kissinger Rathaus gelebt hat. Jetzt hat ihr Sohn Benno den Text mit vielen Bildern und Hintergrundinformationen herausgegeben. Die Bilder laden zum Vergleich.

Da hatte Alt-Oberbürgermeister Georg Straus vor 25 Jahren schon Recht: Nicht einmal alteingesessene Kissinger sind sich bewusst, dass ihr historisches Rathaus ja eigentlich das Neue Rathaus ist und, vor allem, dass es bis 1927 noch von der Familie Lochner von Hüttenbach bewohnt worden war. Also lud er damals Renate Dichtel zu einem Vortrag über das Leben im Schloss ein. Sie war die Tochter von Karl Lochner von Hüttenbach und hatte die ersten 13 Jahre ihres Lebens in dem Schloss verbracht. Dann starb der Vater, und die Familie verkaufte das Schloss an die Stadt und zog nach München.
Der Vortrag von Renate Dichtel im Sitzungssaal des Rathauses stieß damals auf großes Interesse und brachte sie auf die Idee, ihn auch in gedruckter Form zu veröffentlichen. Dazu ist es bis zu ihrem Tod 2007 aber nicht gekommen.
Jetzt hat ihr Sohn Benno Dichtel das nachgeholt und hat - mit familiärer Unterstützung - herausgebracht, angereichert mit vielen Bildern der Vorfahren und vom Innenleben des Schlosses und mit weiteren Hintergrundinformationen. "Es ging mir nicht um den Bau von Johann Dientzenhofer, der schon mehrfach beschrieben wurde, sondern um die Menschen, die darin gelebt haben", sagte er bei der Vorstellung der Publikation. Und das ist ihm gut gelungen.
Denn die Familiengeschichte war manchmal etwas kompliziert, drohte auch mal ganz zu verlöschen. 1707 gab Heinrich Christoph Heußlein von Eußenheim den Schlossbau bei dem Stararchitekten Johann Dientzenhofer in Auftrag.
Da dem der Dombau in Fulda wichtiger war, dauerte es über zehn Jahre bis zur Fertigstellung. Sein Enkel Adam Joseph Valentin Donat musste zum ersten Mal die Familie retten. Nachdem seine beiden jüngeren Brüder gestorben waren, musste er seine geistliche Laufbahn aufgeben und in Rom um Dispens vom Subdiakonat bitten, damit er heiraten konnte. Die Rechnung ging auf, wenn auch knapp: Der älteste Sohn Philipp Heinrich überlebte. Dessen Sohn Carl Leo heiratete nie und starb 32-jährig 1870.
Damit war die Linie Heußlein von Eußenheim eigentlich erloschen, denn Mathilde, Philipp Heinrichs Tochter, ehelichte 1860 den Christian Lochner von Hüttenbach. Damit der Name nicht gänzlich ausstarb, gestattete König Ludwig II. eine Ausnahme: Seitdem heißen alle einschlägig benamten Familienmitglieder "Lochner von Hüttenbach genannt Heußlein von Eußenheim".
Zwei Anhänge beschäftigen sich mit der Geschichte des Familiengrabes auf dem Kapellenfriedhof und dem Wappen der Familie. Zudem hat Benno Dichtel eine Stammtafel (mit Porträts) erstellt, die das Zurechtfinden in den familiären Verschlingungen durch sieben Generationen erleichtert.
Das Werk gibt nicht nur einen interessanten Einblick in eine Kissinger Familiengeschichte, sondern die Fotos vom Inneren des Hauses verleiten zu Vergleichen mit der heutigen - auffallend nüchternen Einrichtung.
Oberbürgermeister Kay Blankenburg (SPD), der den Erstdruck erhielt, revanchierte sich mit einer Urkunde an den Oberamtmann von Rothenfels/Main, am 15. Mai 1778 von Friedrich Ferdinand Lochner von Hüttenbach gesiegelt, einem Arbeitszeugnis für einen Jäger. Hilla Schütze hatte sie in einem Kissinger Nachlass gefunden.

Benno Dichtel: Als das Rathaus noch ein Schloss war. Ausder Geschichte eines fränkischen Adelsgeschlechts - ein Familienmitglied erinnert sich. 2012, Selbstverlag, 60 Seiten mit vielen Abbildungen, broschiert. Erhältlich im Stadtarchiv und in der Oberen Saline.