Zittern und Bangen am Wahlabend: FDP nach Debakel - Lindner kündigt Konsequenzen an
Autor: Strahinja Bućan, Agentur dpa
Deutschland, Sonntag, 23. Februar 2025
Für die FDP dürfte es eng werden - bei jeder Hochrechnung rückt die 5-Prozent-Hürde etwas weiter weg. Parteichef Christian Lindner denkt bereits laut über seine politische Zukunft nach.
Bittere Niederlage für die FDP bei der Bundestagswahl: Es ist ein Abend des Zitterns und Bangens für sie und ihren Parteichef Christian Lindner. Der versucht nach den ersten Hochrechnungen gar nicht erst, die Lage schönzureden. «Wir sind im letzten Herbst in das volle politische Risiko gegangen für unser Land. Wir zahlen selbst heute einen hohen Preis dafür. Für Deutschland war diese Entscheidung aber wichtig», sagt Lindner, der mit dem Präsidium auf die Bühne tritt.
Es sei eine Niederlage für die freien Demokraten, sagt Lindner. Jetzt müsse man bewerten und sortieren und eine lange Nacht durchstehen. «Eines jedenfalls ist sicher: Die Freien Demokraten, sie sind nicht endgültig besiegt», sagt Lindner. Und: «So oder so. Ab Morgen wird die Fahne der Freien Demokraten wieder aufgerichtet.» Die Hoffnung aber, dass die FDP mit der Unterstützung unentschlossener Wähler deutlich über die Fünf-Prozent-Hürde kommen könnte, hat sich nicht erfüllt.
FDP erlebt Debakel bei Bundestagswahl - tritt Lindner zurück?
Später zieht der FDP-Chef gegenüber der Bild-Zeitung noch einmal nach: "Ich bin Realist. Es ist natürlich denkbar, dass sich die FDP ab morgen vollständig personell und politisch aufstellen wird. Wenn die FDP aus dem Bundestag ausscheiden wird, ist es völlig klar, dass ich dann auch aus der Politik ausscheide." In den ersten Stunden nach Schließung der Wahllokale geht es um die Stellen hinter dem Komma, die zwischen einem Absturz der Partei oder aber dem Einzug in den Bundestag mit einem Zittererfolg stehen. Die Hoffnung: Mit fünf Prozent wäre sogar eine Rolle möglich, bei der die FDP von Union und SPD einmal mehr für eine Regierungsbildung gebraucht werden könnte.
Als erster FDP-Spitzenmann tritt Parteivize Wolfgang Kubicki vor ein Mikrofon und bringt die FDP-Gäste des Wahlabends schon zum Jubeln. Er gesteht aber auch ein: «Die Mehrheit unserer Wählerinnen und Wähler hat mit der Ampel und mit der Rolle der FDP in der Ampel gefremdelt und wir haben es nicht geschafft, nach dem Aus der Ampel vom 06. 11. dieses Vertrauen ausreichend zurückzugewinnen.» Mit größtem Selbstvertrauen sind die Liberalen in diese Wahl gegangen. Beim Wahlparteitag in Potsdam wurde der Vorsitzende begeistert bejubelt. Großer Optimismus wurde demonstriert.
Mit deutlichen Ambitionen hatte sich Lindner im November - die Ampel-Koalition mit SPD und Grünen war da Geschichte - aus dem Amt des Bundesfinanzministers verabschiedet. «Dieses Haus leiten zu dürfen, war mir immer eine große Freude und Ehre. Deshalb verabschiede ich mich auch mit einem politischen Ziel und persönlichem Gruß zugleich: auf Wiedersehen!», schrieb er in einer Mail an die Mitarbeiter des Ressorts.
Trotz 100-Tage-Programm - Wahlversprechen fruchteten wohl nicht
Danach sah es lange gar nicht aus. Wie einbetoniert stand die FDP bei Zustimmungswerten von um die vier Prozent. Lindner wirkte angefasst, aber hartnäckig. Er schaue da hin, wo er hin wolle, wie beim Autofahren, wenn man nicht in die Leitplanken geraten wolle, sagte er. Noch eine Woche vor der Wahl beschloss das Präsidium der FDP ein 100-Tage-Programm mit den wichtigsten Punkten für den Fall einer Regierungsbeteiligung. Es sieht vor, Bürger und Betriebe sofort um 15 Milliarden Euro zu entlasten, etwa durch die Erhöhung des Grundfreibetrags bei der Einkommensteuer um 500 Euro monatlich oder durch die Steuerfreiheit von Überstundenzuschlägen bei einem Vollzeitjob. Als zweiten Punkt fordert die FDP, das Bundesrecht zu entrümpeln und Bürokratie abzubauen.
Um Energie wieder bezahlbarer zu machen, will die FDP unter anderem die Stromsteuer drastisch reduzieren. Deutschland soll zudem nicht schon 2045 klimaneutral werden, sondern - wie EU-weit angestrebt - erst 2050. Außerdem will die FDP digitale Innovationen stärken. Das Gründen von Start-up-Unternehmen soll innerhalb von 24 Stunden möglich werden. Eine Deutschland-App soll Dienstleistungen der Verwaltung auf das Smartphone bringen. Klar scheint, auch als kleinste Partei wäre die FDP kein einfacher Koalitionspartner.