Zerbrechende Parteien und "unterjochte" Thüringer? Sieben Lehren aus der Wahl in Thüringen
Autor: Robert Wagner
Erfurt, Montag, 10. Februar 2020
Die Wellen nach der Ministerpräsidenten-Wahl in Thüringen, sie werden nicht kleiner. Am Montag muss Annegret Kramp-Karrenbauer ihren Hut nehmen. Welche Folgen hat die Wahl, welche Punkte fielen auf? Ein Kommentar.
Es ist erst wenige Tage her, da wurde Thomas Kemmerich (FDP) in Thüringen mit den Stimmen der AfD zum Ministerpräsidenten gewählt. Er war damit nicht nur der zweite FDP-Ministerpräsident überhaupt, er wird zudem als der Ministerpräsident mit der kürzesten Amtszeit in die Geschichte eingehen - vorausgesetzt er bleibt nicht mehr all zu lange als geschäftsführender Ministerpräsident im Amt.
In Thüringen war schnell klar: Eigentlich gibt es nur einen Ausweg. Die Ministerpräsidentenwahl des Thüringer Landtags hat jedoch vor allem ein politisches Beben ausgelöst, dass weit über die Landesgrenzen hinaus für Aufregung gesorgt hat - und noch immer politische Opfer fordert: Am Montag verkündete Annegret Kramp-Karrenbauer ihren Verzicht auf die Kanzlerkandidatur und den Rückzug vom Parteivorsitz.
Doch die Wahl hat noch mehr gezeigt: Welche Schlüsse kann man aus der Wahl in Thüringen ziehen? Welchen Einfluss hat die Wahl auf Franken und den Rest Deutschlands? Wir haben sieben Punkte gesammelt, die im Umgang mit Thüringen aufgefallen sind:
1. Die politische Elite ist erstaunlich unprofessionell - oder unsensibel
Die Wahl Kemmerichs lag nur wenige Minuten zurück - da ließ sich die Fränkin Dorothee Bär zu einem Glückwunsch-Tweet hinreißen. Es folgte ein Shitstorm, wenig später löschte Bär den Tweet. Markus Söder meldete sich wiederum wenige Minuten später zu Wort - und bezeichnete die Wahl Kemmerichs als großen Fehler.
Dorothee Bär reiht sich ein in einen ganzen Reigen namhafter Politiker, die jegliches politisches Fingerspitzengefühl vermissen lassen. Auch Merkels Ostbeauftragter Christian Hirte (CDU) muss nach seinem Lob für die Wahl in Thüringen seinen Platz räumen. Der Fall Wolfgang Kubicki (FDP) zeigt: Derzeit müssen viele Politiker (zurück-) rudern, um nicht politisch unterzugehen. Auch Kubicki hatte sich zunächst über den Wahlausgang in Thüringen gefreut.
2. Medienschelte und Ost-West-Probleme
Was für Politiker gilt, gilt auch für die Medien: Auch hier gab es einige Beispiele von Medienhäusern, die zunächst die Tragweite der Entwicklungen in Erfurt nicht erkannten - oder völlig verquer einschätzten. Ein besonders eklatantes Beispiel dafür ist Helmut Markwort: Der Mitherausgeber des Focus sitzt für die FDP im Bayerischen Landtag und wuchs zumindest zeitweise in Coburg - also unweit der thüringischen Grenze - auf. Markwort fiel am Wochenende mit der These auf, die Linke (als Weiterführung der SED) habe Thüringen "unterjocht".