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Weichmacher im Urin entdeckt - Zusammenhang mit Kosmetikprodukt?


Autor: Agentur dpa

Dessau-Roßlau, Freitag, 09. Februar 2024

Eine besorgniserregende Konzentration eines gesundheitsschädlichen Weichmachers wurde kürzlich in Urinproben von Kindern und Erwachsenen nachgewiesen. Forscher des Umweltbundesamts haben eine erste Vermutung zur Ursache.
Martin Kraft, Leiter des Fachbereichs Umweltmedizin, Toxikologie und Epidemiologie des Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (Lanuv) Nordrhein-Westfalen nimmt tiefgefrorene Urinproben aus einem Gefrierschrank in einem Labor.


Update vom 9. Februar 2024: Gefährlicher Weichmacher in Urin entdeckt: Forscher haben erste Vermutung

Ein in Urinproben entdeckter Schadstoff könnte nach Angaben aus dem Umweltbundesamt möglicherweise aus Sonnenschutzmitteln stammen. Das Phthalat MnHexP (Mono-n-hexyl-Phthalat) war kürzlich im Urin zahlreicher Menschen gefunden worden.

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"In unseren ersten, sondierenden Analysen sehen wir einen Zusammenhang zwischen der Belastung mit MnHexP und Kosmetika, darunter insbesondere Sonnenschutzmitteln", sagte Kolossa vom Umweltbundesamt am Donnerstag.

Auch viele Cremes, darunter Nachtcremes, enthalten laut Kolossa Sonnenschutzmittel. "Man sollte nun aber auf gar keinen Fall auf Sonnenschutzmittel verzichten", warnte sie zugleich. Die Krebsgefahr durch Sonnenstrahlen sei zu hoch. "Unsere Erkenntnisse reichen zu diesem Zeitpunkt nicht für eine Maßnahmenempfehlung", sagte sie. Zuvor hatte der Spiegel darüber berichtet.

Verbotener Weichmacher entdeckt: Gesamtwirkung auf Gesundheit noch unklar

Das Uba habe in einer noch laufenden Umweltstudie zur Gesundheit nach neuesten Daten in etwa 37 Prozent der Proben den Metabolit MnHexP entdeckt, sagte Kolossa. Er ist nach Uba-Angaben ein Abbauprodukt des nicht zugelassenen Weichmachers DnHexP (Di-n-hexyl-Phthalat).

Der fortpflanzungsschädigende Stoff MnHexP sei erstmals 2023 entdeckt worden. Das Uba hatte ihn im Urin Erwachsender nachgewiesen, eine Behörde in Nordrhein-Westfalen in dem von Kindergartenkindern.

Nicht auszuschließen sei, dass er in Altlasten oder DnHexP-haltigen Importerzeugnissen stecke. Schon seit vielen Jahren ist DnHexP in der EU stark beschränkt beziehungsweise verboten. Die Gesundheitsschädlichkeit sei zudem additiv mit anderen Phthalaten, das heißt die Wirkungen einzelner Phthalate addieren sich zu einer Gesamtwirkung, betonte Kolossa. Endergebnisse der aktuellen deutschlandweiten Studie erwartet sie im nächsten Jahr.

Erstmeldung vom 4. Februar 2024: Massenhaft Weichmacher im Urin von Kindern entdeckt

Ein beunruhigender Fund beschäftigt aktuell Experten in Deutschland: Das Umweltbundesamt (Uba) hat im Urin vieler Menschen im Land Hinweise auf einen gefährlichen Weichmacher entdeckt, der seit Jahren streng reglementiert und größtenteils verboten ist. In der aktuell noch laufenden 6. Deutschen Umweltstudie zur Gesundheit sei bislang in 28 Prozent der Proben der Metabolit MnHexP entdeckt worden, sagte Uba-Toxikologin Marika Kolossa.

Er ist ein Abbauprodukt des Weichmachers Di-n-hexyl-Phthalat (DnHexP). Der fortpflanzungsschädigende Metabolit sei erstmals 2023 in Proben entdeckt worden. "So einen Stoff dürfte man nicht im Körper finden und wir finden ihn", sagte Kolossa. Kürzlich waren Ergebnisse einer Untersuchung zu Proben in Nordrhein-Westfalen bekannt geworden. "Es ist ein Problem größeren Ausmaßes", sagte Kolossa nun. Die Herkunft des Weichmachers sei bisher unbekannt.

Fortpflanzungsschädigender Stoff im Urin vieler Deutscher - erhöhtes Risiko für Diabetes, Fettleibigkeit und Herzinfarkt

"Das ist eine richtige Detektivgeschichte. Wir suchen jetzt auf voller Ebene in Deutschland." Das Umweltbundesamt arbeite auch eng mit EU-Behörden zusammen, um die Quelle ausfindig zu machen. Der Metabolit sei nach Ergebnissen von Tierversuchen ein fortpflanzungsschädigender Stoff, sagte Kolossa.

Er wirke vor allem auf die Fortpflanzungsorgane männlicher Föten im Mutterleib. Er könne aber auch für Erwachsene schädlich sein und das Risiko für Diabetes, Bluthochdruck und Fettleibigkeit erhöhen, was aus weiteren Tierversuchen hervorgehe. 

In einzelnen Menschen seien Konzentrationen entdeckt worden, "die so hoch sind, dass eine Gesundheitsgefährdung nicht auszuschließen ist". DnHexP ist in der EU seit vielen Jahren stark beschränkt beziehungsweise verboten. Unter bestimmten Umständen könne die Substanz dennoch in der EU auftreten, etwa in Importerzeugnissen, die den Stoff enthalten, sagte Chemikalienexperte Lars Tietjen vom Uba.

Proben von Kindergartenkindern mit alarmierenden Ergebnissen - teils verzehnfacht

Er könne auch in alten, in der EU produzierten Produkten erhalten sein. "Hinweise auf größere verarbeitete Mengen liegen mir nicht vor, aber ausschließen kann man es nicht." In Nordrhein-Westfalen hatten Experten des Landesamtes für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (Lanuv) rückwirkend alte Urinproben von Kindergartenkindern untersucht.

Ergebnis: Im Untersuchungszeitraum habe sich der Anteil der mit MnHeP belasteten Proben von 26 Prozent (2017/18) auf 61 Prozent (2020/21) erhöht, heißt es einer Mitteilung des Lanuv  vom 31. Januar.  Die Konzentration bei hochbelasteten Kindern habe sich in etwa verzehnfacht. Die Ursache dafür sei völlig unklar. 

Die Ergebnisse hingen nicht mit den Wohnorten der Kinder zusammen, sagte eine Lanuv-Sprecherin. Deutlich erhöhte Werte gebe es im ganzen Bundesland. Seit dem Jahr 2013 steht der Weichmacher DnHexP in der Europäischen Union laut Lanuv auf der Liste der besonders besorgniserregenden Stoffe. Als Weichmacher sei dieses Phthalat in kosmetischen Mitteln, Lebensmittelkontaktmaterialien und in Spielzeug deshalb nicht mehr zugelassen. Neben Weichmachern ist auch Mikroplastik ein zunehmendes Problem - wir atmen es sogar ein, wie eine neue Studie zeigt.