Ein erster Kompromiss ist geplatzt, die Fronten im Koalitionsstreit über den Wehrdienst sind verhärtet. Trotzdem beginnen die parlamentarischen Beratungen. Ausgang: ziemlich offen.
Die schwarz-rote Koalition geht am Donnerstag ohne ein gemeinsames Konzept in die parlamentarischen Beratungen über einen neuen Wehrdienst. Nach dem überraschenden Platzen einer Einigung der Unterhändler von Union und SPD am Dienstag pocht die Union weiter auf deutliche Nachbesserungen am Gesetzentwurf von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) - inklusive eines umstrittenen Losverfahrens. «Gesetze werden in Deutschland immer noch vom Parlament verhandelt und beschlossen, nicht von Ministern», betonte CDU/CSU-Fraktionschef Jens Spahn.
Die Union wirft Pistorius vor, das Platzen des Kompromisses in der SPD-Fraktionssitzung herbeigeführt zu haben. Der Verteidigungsminister versuchte am Tag danach die Wogen zu glätten. «Ich finde das alles weit weniger dramatisch, als es gerade gemacht wird», sagte er am Rande einer Sitzung des Verteidigungsausschusses. Man habe lediglich eine Woche Zeit verloren.
Kompromiss scheiterte in SPD-Fraktion
Die Fachpolitiker beider Koalitionsfraktionen hatten sich am Montagabend nach tagelangen Verhandlungen auf Eckpunkte für ein Wehrdienstmodell auf der Grundlage eines Gesetzentwurfs von Pistorius verständigt. In der SPD-Fraktion gab es am Dienstag aber keine Zustimmung dafür. In der Union wird das vor allem darauf zurückgeführt, dass Pistorius Stimmung gegen den Kompromiss gemacht habe, der federführend von seiner früheren parlamentarischen Staatssekretärin Siemtje Möller ausgehandelt wurde. Eine bereits angekündigte Pressekonferenz zu den Details der Einigung der Unterhändler wurde schließlich kurzfristig wieder abgesagt.
Gesetzentwurf kommt in Pistorius-Fassung in den Bundestag
Nun soll der Gesetzentwurf am Donnerstag zunächst in der im August vom Kabinett beschlossenen Fassung in den Bundestag eingebracht werden. Pistorius setzt auf einen Wehrdienst, der zunächst auf Freiwilligkeit beruht. Hintergrund ist, dass er die Bundeswehr um rund 80.000 auf 260.000 Soldaten vergrößern will. Die Union bezweifelt, dass über Freiwilligkeit genug Wehrdienstleistende angeworben werden können, fordert klare Zielmarken für die Anwerbung und konkrete Mechanismen, falls diese nicht erreicht werden.
Söder für Alternativen zum Losverfahren offen
In diesem Fall soll automatisch eine «Bedarfswehrpflicht» eingeführt werden. Das bedeutet, das nur ein Teil eines Jahrgangs gemustert und eingezogen werden soll. Die Verteidigungsexperten der Union sind der Meinung, dass ein Losverfahren für Musterung und Verpflichtung die gerechteste Lösung ist, die bei möglichen Klagen auch vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand haben könnte.
Ganz einig scheint sich die Union dabei aber nicht zu sein. CSU-Chef Markus Söder zeigte sich offen für Alternativen. Ein Losverfahren als alleiniges verpflichtendes Element sehe er «noch etwas zurückhaltend, vielleicht lassen sich noch andere nachvollziehbare Elemente finden», sagte er.
Wie bei der Richterwahl - mit vertauschten Rollen
Mit dem Streit um den Wehrdienst fällt die Koalition zurück in die holprige Zeit vor der Sommerpause, die sie eigentlich überwunden glaubte. Die Eskalation am Dienstag erinnert an die geplatzte Richterwahl im Juli. Damals führte wachsender Widerstand in der Unions-Fraktion gegen eine SPD-Kandidatin dazu, dass der Punkt kurzfristig von der Tagesordnung des Bundestags genommen wurde. Diesmal war es die SPD-Fraktion, die getroffene Absprachen durchkreuzte, obwohl Fraktionschef Matthias Miersch schon öffentlich von einer Verständigung auf Eckpunkte gesprochen hatte.