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Wassernixe Rusalka kämpft mit der Ölpest


Autor: Monika Beer

Nürnberg, Mittwoch, 15. Mai 2013

Am Staatstheater Nürnberg hat Regisseur Dieter Kaegi die Hauptfiguren von Antonin Dvoraks Nixen-Oper "Rusalka" sträflich im Stich gelassen und sich mehr auf Nebensächliches konzentriert. Wasser gibt es immerhin reichlich.
Szene aus "Rusalka" mit Ekaterina Godovanets in der Titelrolle und Nikolai Karnolsky als Wassermann in seinem Tümpel Alle Szenenfotos: Jutta Missbach


Zu den heutigen Regietheatermoden, die keiner braucht, gehören unter anderem Puppenspieler und Statisten, welche neuerdings auch als Bewegungsensemble tituliert werden. Beide treten gerne an die Stelle von Sängerdarstellern, die damit zumindest zur Hälfte ihrer eigenen Funktion beraubt werden. Wie unsinnig das sein kann, führt die Neuinszenierung von Antonin Dvoraks Rusalka am Nürnberger Opernhaus beispielhaft vor.

Zwei Schlagworte genügen, um auf den Punkt zu bringen, was Regisseur Dieter Kaegi und sein Ausstatter Francis O'Connor (Bühne und Kostüme) bei dieser Koproduktion mit der Opéra de Monte Carlo falsch gemacht haben.

Erstens degradiert das eingangs geschilderte Stellvertretertum die Protagonisten zu leeren Nebenfiguren, zweitens werden in dieser Inszenierung, die als Kernidee offenbar anklagend die Umweltverschmutzung am Beispiel des Wassers vorführen will, Regieansätze recycelt, die auch schon andernorts in Leere gelaufen sind.

Die negativen Déjà-Vues häufen sich gleich zu Beginn. Erst umkreist ein junges heutiges Paar, das wohl gerade sein Motorrad mitten im Wald bzw. einer Industriebrache abgestellt hat, das zentrale Wasserrund, zieht sich seltsamerweise nur bis auf die Unterwäsche aus, springt in den Tümpel und will damit sagen, dass es an anderer Stelle garantiert wieder kommt. Anschließend treten die Puppenspieler mit ihren entwurzelten Figuren an die Scheibe, laufen mit ihnen herum, heben Arme und senken Füße, während die Sängerinnen der drei Waldnymphen reglos singend an den Rand verbannt bleiben.

Wie schwer es sein kann, auf der Opernbühne zeitgenossenschaftliche Parallelen herzustellen, ist mir noch aus Tankred Dorsts Bayreuther "Ring"-Inszenierung in Erinnerung. Sein Versuch, durch heutige Passanten und kleine Interaktionen die Brücke vom mythologischen Geschehen zum Publikum zu schlagen, funktionierte leider nicht. Ebenso bei Dieter Kaegi. Zwar übernimmt das Pärchen in der Ballsaalszene eine Tanznummer, aber es erschließt sich nicht warum.

Schlimmer noch soll das im 3. Akt halb im See versunkene Motorrad wohl dafür stehen, dass der Einbruch von Menschen in die märchenhafte Naturwelt nichts weniger als eine Ölpest verursacht. Ekaterina Godovanets als Rusalka muss den letzten Akt lang mit einem schwarz umrandeten Mund singen, was mitnichten Betroffenheit und Nachdenken auslöst, sondern nur insofern Mitleid, als man vor der traurigen Erkenntnis steht, dass das für die Titelfigur der einzige erkennbare Regieeinfall war.

Bei dieser Holzhammermethode versteht es sich von selbst, dass die im Stück vorgegebene Menschenwelt nur karikaturenhaft vorgeführt wird. Eine Ausnahme sind der Förster und der Küchenjunge, die zwar hier zu Hauselektronikern umgepolt sind, ansonsten aber normal und natürlich agieren dürfen. Absurd und plakativ bunt sind die Akteure am Hof des operettenhaften Prinzen, dem dadurch auch jegliche Fallhöhe für das tragische Ende abhanden kommt. Warum er sterben will, versteht niemand.

Während der Regisseur sich mehrheitlich auf die Randfiguren und Statisten konzentriert und die Hauptfiguren dafür sträflich und auch im Wortsinn im Regen stehen lässt, fällt die Ausstattung vor allem auch durch ihre stilistische Ungeschlossenheit und Beliebigkeit ins Auge. Dass die Geweihschaukel Rusalkas genauso das Schweben verlernt wie der innig besungene Mond ist schrecklich vorhersehbar, Trockeneisnebel, Gasflammen und Videobilder verrauschen oberflächlich. Eine lange Schleppe macht noch keinen Nixenschwanz, und der Alien-Kopf samt langen Fingernägeln für die Hexe wirken wie schlecht gemachtes Kindertheater.

Zumindest musikalisch ist der Abend kein Reinfall. Zwar deckte der zum Teil satte Orchesterklang die nicht immer günstig platzierten Sänger zuweilen zu, aber unter Marcus Bosch entwickelten die Musiker, Solisten und Chorsänger eine Plastizität, die der platten Inszenierung völlig abgeht. Nur in der musikalischen Interpretation wird erfahrbar, dass die traurige Liebesgeschichte einer Nixe auch Menschen von heute etwas zu sagen hat.

Ekaterina Godovanets ist auch als Rusalka eine Klasse für sich. Roswitha Christina Müller als etwas schrille fremde Fürstin, Jordanka Milkova als sehr bewegliche Hexe, Nicolai Karnolsky als zum dumpfen Plantschen verurteilter Wassermann, das prägnante Buffopaar mit Judita Nagyovás Küchenjunge und Javid Samadovs Förster und die kostbar singenden Nymphen Michaela Maria Mayer, Christiane Marie Riedl und Joanna Limanska-Pajak retten sängerisch die Ehre des Staatstheaters, während Michael Putsch sich an der schweren Prinzenrolle zuweilen gut, dann wieder mit wenig glanzvoller Technik abarbeitet. Ach, vergeblich sind alle Opfer! Wer eine aussagestarke, schlüssige, verstörende und zeitgemäße Rusalka-Inszenierung erleben möchte, sei an die Bayerische Staatsoperverwiesen.