"Horror-Landtag" in Brandenburg? Zerreißprobe für die Ampel zeichnet sich ab

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Landtagswahl in Brandenburg
In Brandenburg fand am Sonntag die Landtagswahl statt. Die SPD siegte knapp vor der AfD.
Landtagswahl in Brandenburg
Bernd von Jutrczenka (dpa)
Landtagswahl in Brandenburg - Wahlparty SPD
Ministerpräsident Dietmar Woidke lässt sich von seiner Partei feiern.
Landtagswahl in Brandenburg - Wahlparty SPD
Kay Nietfeld/dpa

Der SPD von Ministerpräsident Woidke ist eine rasante Aufholjagd gelungen und schließlich konnten sich die Sozialdemokraten gegen die AfD durchsetzen. Große Enttäuschung hingegen bei den Grünen und der FDP - beide Ampel-Parteien flogen aus dem Landtag.

Update vom 23.09.2024, 6.20 Uhr: Schwierige Regierungsbildung zeichnet sich ab

Nach dem knappen Wahlsieg der SPD vor der AfD steht Brandenburg vor einer schwierigen Regierungsbildung - und die Ampel-Koalition im Bund vor einer neuen Zerreißprobe. Die Sozialdemokraten von Ministerpräsident Dietmar Woidke wurden bei der Landtagswahl am Sonntag (22. September 2024) nach einer Aufholjagd zwar stärkste Kraft, doch büßten ihre bisherigen Koalitionspartner CDU und Grüne deutlich ein. Eine Mehrheit ohne die AfD hätte Woidke künftig nur mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Die FDP stürzte derart ab, dass sie nun abermals die Koalition im Bund infrage stellt. 

Woidke erreichte mit seiner SPD nach dem vorläufigen amtlichen Ergebnis 30,9 Prozent der Stimmen und damit sein erklärtes Ziel: vor der AfD zu liegen. Die Rechtsaußenpartei schnitt jedoch mit 29,2 Prozent ebenfalls stark ab. Auf Platz drei landete das erst vor wenigen Monaten gegründete BSW mit 13,5 Prozent vor der CDU mit 12,1 Prozent. Das sind die vier Parteien im Parlament. Dagegen scheiterten Grüne, Linke und Freie Wähler an der Fünf-Prozent-Hürde und sind raus aus dem Potsdamer Landtag. Die FDP war dort schon bisher nicht vertreten und erreichte jetzt nur noch 0,8 Prozent. Die Wahlbeteiligung war mit 72,9 Prozent so hoch wie nie bei Landtagswahlen in Brandenburg.

SPD vorn, AfD auf Platz zwei - Regierungsbildung ohne BSW wohl nicht möglich

Der AfD gelang es, eine sogenannte Sperrminorität zu gewinnen - zum zweiten Mal nach ihrem Erfolg in Thüringen vor drei Wochen. Sie hat mit 30 von 88 Sitzen künftig mehr als ein Drittel der Mandate und kann somit Entscheidungen verhindern, für die es eine Zweidrittelmehrheit braucht. Das gilt zum Beispiel für die Wahl von Verfassungsrichtern und auch Verfassungsänderungen. Damit hat die AfD erheblichen Einfluss, obwohl keine andere Partei mit ihr regieren will.

Ministerpräsident Woidke kündigte an, zuerst Gespräche mit seinem bisherigen Partner CDU führen zu wollen. Doch fehlt diesem Zweierbündnis die Mehrheit. Die käme rechnerisch nur mit dem BSW zustande. Dessen Co-Chefin Amira Mohamed Ali signalisierte auch grundsätzlich Bereitschaft. "Wir bringen da eine Offenheit mit", sagte sie bei Phoenix. "Aber uns ist eben wichtig, dass die Inhalte stimmen und dass es wirklich echte Verbesserungen für die Menschen in Brandenburg gibt." Als zentrales Thema nannte sie unter anderem die Friedenspolitik. Ein Bündnis mit der SPD, für das eben jene Friedenspolitik zum Stolperstein werden könnte, hält nicht nur der Parteienforscher Thorsten Faas für schwierig. "Das ist alles nicht erprobt", sagte der Politologe der Deutschen Presse-Agentur. "Es ist nicht gesichert, dass das eine reibungslos funktionierende Koalition wird." 

Weil die AfD bei jungen Leuten mehr Stimmen holte als die anderen Parteien, sieht sie sich selbst als Kraft der Zukunft, wie es Spitzenkandidat Hans-Christoph Berndt formulierte. Die Partei kam nach einer Analyse der Forschungsgruppe Wahlen bei den unter 30-Jährigen auf 30 Prozent der Stimmen. Die SPD hatte in dieser Altersklasse nur einen Anteil von 21 Prozent, war dafür aber bei der Generation 60 Plus besonders stark. 

Scholz findet Wahlsieg "super" - scheitern Gespräche mit dem BSW an der Ukraine-Politik?

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), derzeit auf Dienstreise in New York bei den Vereinten Nationen, hatte eigentlich angekündigt, sich erst heute Nachmittag zum Wahlergebnis zu äußern. Nach dem Erfolg seines Parteikollegen Woidke sagte Scholz aber doch schon etwas: "Ist doch super, dass wir gewonnen haben." Und weiter: "Ich habe es gespürt, dass da was passiert." 

Woidke hatte im Wahlkampf ausdrücklich auf Scholz' Unterstützung verzichtet, von der in Umfragen bei Wählerinnen und Wählern sehr unbeliebten Ampel versprach er sich wohl wenig Rückenwind. Nach der Wahl stärkte Woidke seinem Parteikollegen aber den Rücken: "Der Bundeskanzler ist gesetzt als Kanzlerkandidat", sagte der Ministerpräsident in der ARD. Die SPD zieht aus dem Ergebnis die Botschaft: Kämpfen lohnt sich. Die Grünen als Wahlverlierer zeigen sich dagegen ratlos. Es gebe einen negativen Trend, "und da werden wir uns gemeinsam rauskämpfen", sagte Parteichefin Ricarda Lang in der ARD. Verlorenes Vertrauen müsse zurückgewonnen werden.

FDP-Vize Wolfgang Kubicki schaltete hingegen auf Attacke. Dem Sender Welt TV sagte er: "Die Menschen sind mit der Ampel fertig." Es gebe völlig unterschiedliche Auffassungen, wie man die Wirtschaft wieder flott machen könne. "Und entweder, es gelingt uns in den nächsten 14 Tagen, drei Wochen, hier tatsächlich einen vernünftigen gemeinsamen Nenner zu finden - oder es macht für die Freien Demokraten keinen Sinn mehr, an dieser Koalition weiter mitzuwirken."

Wie geht es in Bund weiter - "Die Menschen sind mit der Ampel fertig"

Die Brandenburger Grünen haben sich nach dem Aus für den künftigen Landtag besorgt gezeigt. "Da ist natürlich Enttäuschung – aber auch Entschlossenheit. Wir haben jetzt wirklich den Horror-Landtag, vor dem wir gewarnt haben", sagte Spitzenkandidat Benjamin Raschke der Deutschen Presse-Agentur. "Da gibt es keine progressive Kraft, die für soziale Gerechtigkeit, für Umwelt- und Klimaschutz steht."

Die Grünen in Brandenburg erlitten bei der Landtagswahl am Sonntag drastische Verluste und kamen nach dem vorläufigen Ergebnis auf 4,1 Prozent nach 10,8 Prozent bei der Wahl vor fünf Jahren. Sie hätten trotz des Verfehlens der Fünf-Prozent-Hürde auch mit mindestens einem Direktmandat in den Landtag einziehen können, doch das misslang in Potsdam.

Der bisherige Grünen-Fraktionschef kündigte an, dass seine Partei auch außerhalb des Parlaments hörbar sein will. "Wir sind entschlossen, eine starke außerparlamentarische Opposition zu sein", sagte Raschke. "Auch für mich als Bürger dieses Landes ist es erschreckend, dass der Sieg von Herrn Woidke in Wirklichkeit ein Pyrrhus-Sieg ist, dass der rechte Rand und der Populismus gestärkt sind und die Mitte verloren hat."

Ursprungsmeldung: Rasante Aufholjagd - SPD setzt sich laut Hochrechnungen gegen AfD durch

Bei der Landtagswahl in Brandenburg hat sich die SPD gegen die AfD durchgesetzt. Nach den ersten Hochrechnungen von ARD und ZDF werden die Sozialdemokraten erneut stärkste Kraft im Land.

Die AfD, die in Umfragen lange Zeit vorn lag, landet auf Platz zwei. Die CDU und das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) liefern sich ein Rennen um Platz drei. Die Grünen müssen noch um den Wiedereinzug in den Landtag zittern. 

Landtagswahl in Brandenburg: SPD hat sich gegen AfD durchgesetzt

Den Hochrechnungen zufolge erreicht die SPD von Ministerpräsident Dietmar Woidke 31,2 bis 31,8 Prozent (2019: 26,2 Prozent). Die AfD, die vom Verfassungsschutz in Brandenburg als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft wird, steigert sich auf 29,2 bis 29,9 Prozent (23,5). Die CDU erreicht 11,6 bis 11,9 Prozent (15,6). Das BSW kommt aus dem Stand auf 12,0 Prozent. Die Grünen verlieren massiv und landen bei 4,7 bis 5,0 Prozent (10,8). Die Linke rutscht auf 3,1 bis 3,8 Prozent ab (10,7). BVB/Freie Wähler kommen auf 2,6 Prozent (5,0), die FDP liegt laut ARD-Hochrechnung bei unter einem Prozent.

Parteien, die an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern, haben über die Grundmandatsklausel allerdings noch eine Chance: Wenn sie mindestens ein Direktmandat gewinnen, ziehen sie in den Landtag ein - mit der Anzahl der Sitze nach ihrem Zweitstimmenergebnis.

Brandenburg wird seit 2019 von einer Koalition aus SPD, CDU und Grünen regiert. Ministerpräsident Dietmar Woidke hat vorab angekündigt, dass er nur dann weiter Regierungsverantwortung tragen will, wenn die Sozialdemokraten stärker als die AfD abschneiden.