Der Regierungschef des Landes, das als zweitgrößter Aktionär 20 Prozent der Stimmrechte hält, will aber auch einen deutlichen Kulturwandel bei VW erkannt haben. «Dort wird heute deutlich sensibler mit Verantwortung und Vertrauen umgegangen», sagte Lies. Eines gelte jedoch nach wie vor: «Größe und Selbstbewusstsein bergen weiterhin das Risiko, zu spät auf externe Warnsignale zu reagieren.»
Experte: Kein Schummel, sondern knallharter Betrug
«Mit welcher Hybris geglaubt wurde, man käme mit so etwas durch, war für mich unfassbar», sagte Professorin Wisbert. Sie sei überrascht gewesen, dass den besten Ingenieuren der Branche nichts anderes eingefallen ist als zu manipulieren. Und auch Frank Schwope, der Automobilwirtschaft an der Fachhochschule des Mittelstands in Köln und Hannover lehrt, reagiert mit Kopfschütteln, wenn bis heute von «Schummeln» gesprochen wird. «Das ist kein Schummel, das ist knallharter Betrug gewesen», sagte der Branchenexperte.
Neben dem Imageschaden und dem Vertrauensverlust traf der Skandal den Konzern vor allem finanziell. Die eigenen Kosten für die Aufarbeitung der Manipulationsaffäre gibt Volkswagen mit rund 33 Milliarden Euro an. «Das ist schon ein ziemlich teurer Weckruf für die Elektromobilität gewesen», sagte Schwope mit Blick darauf, dass VW nach dem Dieseldebakel voll auf den Elektro-Kurs setzte.
Studie sieht E-Mobilität auf gutem Weg
Dass die gesamte europäische Autoindustrie zehn Jahre nach der Aufdeckung des Abgasskandals bei VW auf einem guten Weg zu mehr Elektromobilität ist, bescheinigt ausgerechnet eine neue Studie der Organisation ICCT. Der internationale Umweltforschungsverbund hatte im Frühjahr 2014 eine Analyse zu auffälligen Messungen von Abgaswerten in den USA veröffentlicht – von Betrug war noch keine Rede. Zusammen mit US-Umweltbehörden trug das «International Council on Clean Transportation» aber dazu bei, dass die VW-Dieselaffäre 2015 aufflog.
Seitdem habe sich die europäische Autoindustrie tiefgreifend gewandelt. Um Vertrauen zurückzugewinnen und Emissionen zu reduzieren, versprachen die Autohersteller, verstärkt auf Elektrifizierung zu setzen, sagte Peter Mock, Geschäftsführer des ICCT Berlin. Der Verweis auf mehrere Hersteller macht Sinn, weil nach VW viele andere deutsche und ausländische Produzenten mit ähnlichen Vorgängen in den Fokus rückten.
Es gab Vorwürfe, Durchsuchungen, Rückrufe und auch andere Autobauer mussten Fahrzeuge nachrüsten. Ein Untersuchungsausschuss des Bundestags befasste sich mit der Rolle der Behörden. Die EU-Kommission forderte strengere Abgastests und mehr Aufsicht. Umweltverbände klagen seit Jahren auf Fahrverbote in Städten.
«Dreister Umgang» und Salamitaktik
Dennoch hat es nach Einschätzung von Professorin Wisbert auch Gründe, warum in erster Linie Volkswagen mit dem Dieselskandal verbunden wird. «Der anfängliche dreiste Umgang mit den Vorwürfen der Abgasmanipulation bei VW hat sich ins Gedächtnis eingebrannt», sagte Wisbert. Der Konzern habe damals nicht angemessen reagiert und eine Salamitaktik verfolgt. Nach Überzeugungen der Automobilexpertin konnten andere Hersteller im Nachgang ihre Kommunikationsstrategie anpassen und haben aus den Fehlern bei VW gelernt.
Volkswagen trug demnach vor allem selbst dazu bei, dass die riesige Skandal-Welle nur langsam abebbte und nicht zu sehr auf Mitbewerber überschwappte.