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Migrations-Abstimmung im Bundestag: "Kann ihm nicht mehr vertrauen" - Scholz wirft Merz "Tabubruch" vor
Autor: Agentur dpa, Redaktion, Stefan Lutter
Berlin, Donnerstag, 30. Januar 2025
Im Bundestag kam es nach der Abstimmung zur Migrationspolitik zu einer hitzigen Debatte. Die politische Landschaft vor den Wahlen könnte sich dadurch ändern.
Die Migrations-Abstimmung im Bundestag am Mittwoch, 29. Januar 2025, hat zu einem Eklat geführt. Wo die AfD für sich feiert, hagelt es an anderer Stelle Kritik für CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz. Dieser Tag wird die letzten Wochen vor der Wahl bestimmen – und darüber hinaus nachwirken.
Der Bundestag hatte einem Unions-Antrag mehrheitlich zugestimmt, der mehr Zurückweisungen von Asylsuchenden an den deutschen Grenzen vorsieht. Für den Antrag stimmten 187 Abgeordnete der Union, 75 AfD-Abgeordnete sowie 80 Angehörige der FDP-Fraktion sowie 6 Fraktionslose. Zusammen sind das 348 Stimmen. 344 Abgeordnete waren dagegen, zehn enthielten sich. Der Antrag hat keine rechtliche bindende Wirkung, der Beschluss aber eine hohe Symbolkraft.
Update vom 31. Januar 2025, 8.10 Uhr: Wie geht es nach dem "Fall der Brandmauer" weiter?
Die einen behaupten, die Brandmauer zur AfD sei gefallen. Andere bestreiten das entschieden. Über eines kann nach der Abstimmung zur Verschärfung der Migrationspolitik im Bundestag jedoch kein Zweifel bestehen: Dass die Union ihren Fünf-Punkte-Plan mithilfe der AfD durchgesetzt hat, wird nicht nur die verbleibende Zeit im Bundestagswahlkampf bestimmen.
Es wird auch für die Zeit danach Konsequenzen haben, deren Ausmaß noch nicht einschätzbar ist. Diese Fragen stellen sich jetzt:
Wer hat gewonnen, wer verloren? Auf dem Papier ist die Union die Gewinnerin des Tages. Sie hat ihren Fünf-Punkte-Plan zur Verschärfung der Bekämpfung der irregulären Migration, der unter anderem mehr Zurückweisungen von Asylsuchenden an den deutschen Grenzen vorsieht, gegen den Willen der Minderheitsregierung von SPD und Grünen mit knapper Mehrheit durch den Bundestag gebracht. Der hohe Preis: Die AfD war erstmals Mehrheitsbeschafferin. Und wofür? Der Antrag bewirkt erstmal nichts. Die Regierung ist daran nicht gebunden. Die eigentliche Gewinnerin ist daher eine andere: Die AfD. Sie hat die komplette Ausgrenzung durch die anderen Parteien im Bundestag durchbrochen und spricht nun vom Beginn einer "neuen Epoche".
Geht das nun so weiter mit der AfD? Auf diese Frage gibt es an diesem Freitag eine erste Antwort. Dann geht es nicht nur um einen Antrag mit Appell-Charakter, sondern um ein Gesetz mit konkreten Regelungen zur Eindämmung der Migration. Und die Union macht keine Anstalten, davon nach dem Eklat im Bundestag abzusehen. Laut Entwurf wollen CDU und CSU etwa "das Wort Begrenzung der Zuwanderung" wieder ins Aufenthaltsgesetz aufnehmen, wie Merz in der ARD sagte. "Wer könnte dagegen sein?" Der CDU-Chef bot SPD und Grünen noch Verhandlungen für eine Zustimmung an, doch das Echo blieb vorerst aus. Erneute Zustimmung signalisiert hat bereits die AfD - ebenso wie FDP und BSW. Es könnte also wieder eine Mehrheit jenseits der Regierungskoalition und mit der AfD geben. Und diesmal zählt sie: Der Beschluss würde konkrete Veränderungen nach sich ziehen - eine neue Dimension.
Was bedeutet das für den weiteren Wahlkampf? Wege aus der Wirtschaftskrise, Ukraine-Hilfe, Steuerkonzepte - das waren bisher die wichtigsten Themen im Wahlkampf. Jetzt stehen zwei andere ganz oben und überdecken alles andere: Wie stark soll sich Deutschland gegen irreguläre Migration abschotten? Und wie gehen die anderen Parteien mit der AfD um, die vom Verfassungsschutz als teilweise rechtsextremistisch eingestuft wird, aber in den Umfragen auf ein Fünftel der Stimmen kommt. SPD und Grüne sind beim Thema Migration eher in der Defensive und erkennen vor allem ein Problem bei der Umsetzung bestehender Maßnahmen. Die in den Umfragen zwischen 14 und 17 Prozent stagnierende SPD will nun aber mit Warnungen vor einer schwarz-blauen Koalition punkten.
Was bedeutet das für die Regierungsbildung nach der Wahl? Merz versichert, dass eine Koalition mit der AfD für ihn nicht in Frage komme. Am Tag nach der Wahl seien Stimmen für die AfD für das Ziel eines Politikwechsels deswegen "nichts mehr wert". Aber was bedeutet der Eklat im Bundestag für eine Zusammenarbeit zwischen den sogenannten Parteien der Mitte, also CDU/CSU, SPD, Grüne und FDP? Von der Grünen-Fraktionsführung kam trotz deutlicher Empörung keine Absage an Schwarz-Grün. Der Vorsitzende der Grünen Jugend, Jakob Blasel, sagte dagegen dem Spiegel, solange Merz an der Spitze stehe, "dürfen die Grünen keine Koalition mit CDU und CSU eingehen".
"Kann ihm nicht mehr vertrauen": Scholz wirft Merz "Tabubruch" vor
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat den von Union, AfD und FDP gemeinsam verabschiedeten Antrag zur Verschärfung der Migrationspolitik als "Tabubruch" bezeichnet. Der 29. Januar sei "wahrscheinlich ein sehr wesentlicher Tag in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland" gewesen, äußerte er am Ende dieses Tages in der ARD-Sendung "Maischberger".
Die Union habe einen Konsens aufgekündigt, den es die gesamte Nachkriegsgeschichte über unter den Demokraten in Deutschland gegeben habe. "Den Konsens, nämlich, dass es keine Zusammenarbeit der demokratischen Parteien mit der extremen Rechten gibt. Heute ist das passiert." Die Union habe "bewusst kalkuliert akzeptiert", dass die AfD ihrem Antrag zustimmt.
Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz habe zuvor immer wieder beteuert, dass er genau das nicht tun werde. "Und deshalb, finde ich, kann ich ihm nicht mehr vertrauen, was ich bis vor einer Woche getan habe."
Kanzler will Mehrheit von Union und AfD verhindern
Für ihn gehe es bei der Bundestagswahl daher nun darum, eine Mehrheit von Union und AfD zu verhindern, so der Kanzler weiter. Die beiden Parteien haben gegenwärtig zwar keine Mehrheit im Bundestag zusammen, dafür aber eine deutliche Mehrheit in allen Umfragen. Scholz hatte zuvor das Bundestagsvotum als ein negatives Signal für das Parlament und Deutschland bezeichnet. "Ich werde noch eine Zeit brauchen, zu verarbeiten, was wir heute gemeinsam erlebt haben", schrieb Scholz auf X.
Der Tag der Abstimmung werde sicherlich von manchen als historisch beschrieben werden. "Das erste Mal ist im Deutschen Bundestag ein Antrag mit einer Mehrheit beschlossen worden, die auch von der AfD getragen wurde. Das ist ein schlechtes Zeichen. Für das Parlament. Und auch für unser Land", schrieb Scholz weiter.
Zum Thema Zusammenarbeit mit der AfD hatte Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz betont: "Da können jetzt AfD-Leute triumphieren, wie sie wollen, die wird es nicht geben." Er sei aber auch nicht länger bereit, sich "von einer Minderheit davon abbringen zu lassen, Abstimmungen herbeizuführen, die in der Sache richtig sind."
Kubicki ruft SPD und Grüne zur Zusammenarbeit auf
Unterdessen hat stellvertretende FDP-Parteivorsitzende Wolfgang Kubicki die SPD und die Grünen dazu aufgerufen, in den fortdauernden Verhandlungen über die Migrationspolitik mit Union und FDP kooperativ zusammenzuarbeiten. Bis Freitag solle eine gemeinsame Entschließung erarbeitet werden, erklärte Kubicki im Bundestag. "Mein Appell geht heute, wie der von Friedrich Merz, an Bündnis 90/Die Grünen und an die Sozialdemokraten, von jeder Form von Inszenierung Abstand zu nehmen, weil das Problem, vor dem wir uns befinden, viel größer ist als der Versuch, einen taktischen Vorteil zu erreichen."
Gleichzeitig hob der FDP-Vize hervor: "Die FDP-Fraktion wird ihre Entscheidungen immer davon abhängig machen, was in der Sache richtig ist und nicht, wer sich wie verhält." Die Demokratie leide nicht durch das Abstimmungsverhalten, sondern dadurch, dass die demokratische Mitte im Bundestag zerfalle.
Sozialdemokraten und Grüne verstärken durch ihr Handeln die AfD, anstatt sie zu schwächen – da sie Probleme zwar ansprechen, aber nicht lösen würden. "Ich bin sicher, dass Sozialdemokraten und Grüne sich irren, wenn sie glauben, dass diese Inszenierung des heutigen Tages nach der Abstimmung dazu beitragen wird, ihren Wähleranteil zu stärken", sagte Kubicki.
Tag eines fatalen Irrtums
Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, hat seine Enttäuschung über die Zustimmung des Bundestags zum Vorstoß der Union zur Verschärfung der Migrationspolitik zum Ausdruck gebracht. "Klar ist, dass im Interesse unserer Gesellschaft, ein Wandel im Umgang mit illegaler Migration in Deutschland notwendig ist. Ich finde es enttäuschend, dass die demokratischen politischen Kräfte in unserem Land – auch in Zeiten des Wahlkampfs – nicht in der Lage waren, sich auf ein gemeinsames Vorgehen zu einigen und damit der AfD diese Bühne bereitet haben", sagte er nach der Abstimmung. Indem die AfD wiederholt diese Rolle erhalte "lassen wir zu, dass Rechtspopulismus und Rechtsextremismus unsere gesellschaftlichen Debatten bestimmen."
Christoph Heubner, der Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees, äußerte dazu: "Überlebende des Holocaust sind in ihrem Blick auf Deutschland gerade nach dem heutigen Tag im Deutschen Bundestag verunsichert und traurig." Sie fragten sich, warum in Deutschland eine Partei ins Zentrum der politischen Entscheidungen rücke, aus deren Reihen immer wieder rechtsextreme, antidemokratische und antisemitische Schmähungen bekannt würden. Zudem fragten sie sich, warum der Vorsitzende einer großen konservativen Partei, "die bisher die Lehren aus der Geschichte des Holocaust und die Würde und die Lebensleistung der Holocaust-Überlebenden geachtet hat, plötzlich die Zusammenarbeit mit einer Partei für akzeptabel hält, die die Lehren aus der Geschichte des Holocaust auf den Müllhaufen bugsieren und die Erinnerungen und das Engagement der Holocaust-Überlebenden aus dem gesellschaftlichen Leben in Deutschland hinausdrängen will."
Für die Überlebenden sei dieser Tag der Tag eines fatalen Irrtums: "Schon einmal hat man in Deutschland geglaubt, Rechtsextreme einhegen, zähmen und benutzen zu können. Die Folgen sind bekannt."
Update vom 29. Januar 2025, 20.30 Uhr: Merz sorgt für Eklat im Bundestag - "Er weiß nicht, was er angerichtet hat"
Bundesinnenministerin Nancy Faeser betrachtet die Union nach dem Votum über ihren Antrag für eine striktere Migrationspolitik als auf einem riskanten Kurs. "CDU und CSU haben heute erstmals im Bund die demokratische Mitte verlassen", äußerte die SPD-Politikerin gegenüber der Deutschen Presse-Agentur.
"Die Union hat gemeinsame Sache mit den Rechtspopulisten der AfD gemacht, um rechtswidrige Beschlüsse zu fassen", empörte sich die Ministerin. Dies sei ebenso ein nationaler Irrweg wie unverantwortlich und "geschichtsvergessen". Der Bundestag hatte zuvor einem Antrag mehrheitlich zugestimmt, der Zurückweisungen von Asylsuchenden an den deutschen Grenzen vorsieht.
Für den Antrag votierten 187 Abgeordnete der Union, 75 AfD-Abgeordnete sowie 80 Mitglieder der FDP-Fraktion sowie 6 Fraktionslose. Zusammen ergeben das 348 Stimmen. 344 Abgeordnete waren dagegen. Der Antrag hat keine rechtlich bindende Wirkung.
Das Handeln der Union und ihres Vorsitzenden, Friedrich Merz (CDU), bedeute den endgültigen Bruch mit der Politik der Ex-Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und des Ex-Kanzlers Helmut Kohl (CDU), erklärte Faeser. "Herr Merz weiß nicht, was er angerichtet hat", sagte die Innenministerin. So wie er könne nur jemand handeln, der noch nie Verantwortung getragen habe.
Update vom 29. Januar 2025, 18.45 Uhr: Merz will Gespräch mit SPD und Grünen bis Freitag
Unionsfraktionschef Friedrich Merz hat SPD und Grünen nach der möglicherweise mit AfD-Stimmen erreichten Mehrheit für Verschärfungen im Migrationsrecht neue Gespräche angeboten. Er strebe "keine anderen Mehrheiten als die in der demokratischen Mitte unseres Parlaments" an, erklärte der Unionskanzlerkandidat in einem leidenschaftlich erhitzten verbalen Schlagabtausch, nachdem im Parlament die Resultate von zwei Abstimmungen über Unionsanträge verkündet wurden.
"Wenn es hier heute eine solche Mehrheit gegeben hat, dann bedaure ich das." Der Bundestag hatte sich zuvor mehrheitlich für verstärkte Zurückweisungen von Asylsuchenden an den deutschen Grenzen ausgesprochen. Der Bundestag soll am Freitag (31. Januar 2025) über ein sogenanntes Zustrombegrenzungsgesetz abstimmen, mit dem die Union unter anderem den Familiennachzug zu Geflüchteten mit eingeschränktem Schutzstatus beenden will.
Merz forderte SPD und Grüne auf, bis Freitag mit der Union "darüber zu sprechen, wie wir mit Ihnen zusammen eine Mehrheit zu dem von uns eingebrachten Gesetzentwurf hier im Deutschen Bundestag erzielen". Er ergänzte: "Wenn Sie sich dieser Verantwortung entziehen, dann bleibt es Ihre Verantwortung, dass darüber keine Mehrheit zustande gekommen ist."
Gleichzeitig verteidigte Merz das Vorgehen der Unionsfraktion. Frei gewählten Abgeordneten und auch der Unionsfraktion könne das Recht nicht aberkannt werden, "dass wir hier Anträge zur Abstimmung stellen, die wir in der Sache für richtig halten. Auch wenn es Ihnen mit Ihrer Minderheit von SPD und Grünen im Deutschen Bundestag nicht gefällt." Dabei werde es auch bis Freitag bleiben, "es sei denn, Sie kommen zur Vernunft".
Update vom 29. Januar 2025: Merz und Scholz liefern sich hitzigen Schlagabtausch - Weidel wettert gegen beide
Vor der Abstimmung über die Migrationspolitik im Bundestag lieferten sich Kanzler Olaf Scholz und der Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz einen bemerkenswert scharfen Schlagabtausch über den Umgang mit der AfD. Der Kanzlerkandidat der SPD, Scholz, beschuldigte Merz, die klare Abgrenzung zu extrem rechtsgerichteten Parteien aufzugeben.
"Sie nehmen die Unterstützung der AfD für Ihre rechtswidrigen Vorschläge offen in Kauf", rief er dem Oppositionsführer in seiner Regierungserklärung im Parlament zu. Merz bezeichnet Scholz' Schwarz-blaue Spekulationen als "niederträchtig", Scholz mutmaßte auch, dass die Union nach der Wahl eine Koalition mit der AfD eingehen könnte. Merz wies das in seiner Antwort an den Kanzler als "niederträchtig" und "infam" zurück.
"Ich werde alles tun, das zu verhindern." Der CDU-Vorsitzende betonte dennoch, dass er für die Durchsetzung seiner Vorschläge zur Migration die Zustimmung der AfD in Kauf nehme. Das sei ihm lieber, als "weiter ohnmächtig zuzusehen, wie die Menschen in unserem Land weiter bedroht, verletzt und ermordet" werden. Die AfD-Vorsitzende Alice Weidel wandte sich sowohl gegen Scholz als auch gegen Merz. Die Regierungserklärung nannte sie "ungeheuerlich" und warf Scholz "autoritäres" Denken vor.
"Das ist Demokratie ohne Volk, das ist Demokratie ohne Wähler", sagte sie. Die Migrationspolitik der Regierung nannte sie einen "politisch motivierten Kontrollverlust". Die sogenannte "Brandmauer" gegen die AfD sei ein Hebel, um den Wählerwillen auszuschließen. Der Union warf Weidel vor, die Vorschläge zur Eindämmung der Migration von der AfD abgeschrieben zu haben.
CDU und CSU wollten noch am Nachmittag zwei Anträge zur Abstimmung stellen. In einem geht es um einen Fünf-Punkte-Plan zur Bekämpfung der irregulären Migration, der mit den Stimmen der AfD eine Mehrheit erhalten könnte. Gefordert wird darin unter anderem ein Einreiseverbot für alle Menschen ohne gültige Einreisedokumente, auch wenn sie einen Asylantrag stellen.
Erst am Freitag steht das sogenannte "Zustrombegrenzungsgesetz" der Unionsfraktion zur finalen Abstimmung. Die Neuregelung soll unter anderem den Familiennachzug zu Geflüchteten mit eingeschränktem Schutzstatus beenden.
Ausgangspunkt für die aktuelle Migrationsdebatte war der Messerangriff von Aschaffenburg mit zwei Toten, der vor einer Woche den Bundestags-Wahlkampf komplett umkrempelte. Ein offenbar psychisch erkrankter Mann aus Afghanistan soll zwei Menschen getötet haben, darunter ein zweijähriger Junge mit marokkanischen Wurzeln aus einer Kindergartengruppe, und weitere schwer verletzt haben.
Der 28 Jahre alte Tatverdächtige war ausreisepflichtig. Seit diesem Ereignis wird im Wahlkampf praktisch nur noch über Migration und den Umgang mit der AfD gestritten. Die Union sieht sich durch den Fall in ihrer Forderung nach einer massiven Verschärfung des Vorgehens gegen irreguläre Migration bestätigt. Merz äußerte im Bundestag, das sei man den Opfern schuldig.
Die rot-grüne Minderheitsregierung sieht das Problem eher bei der Umsetzung der bestehenden Regeln durch die zuständigen Behörden. Sie hält die Vorschläge der Union für rechtswidrig.
Scholz sprach Merz die Regierungsfähigkeit ab, weil er Pläne vorlege, die dem Grundgesetz und dem EU-Recht widersprächen. "Es gibt Grenzen, die darf man als Staatsmann nicht überschreiten", sagte er. "Politik in unserem Land ist doch kein Pokerspiel. Der Zusammenhalt Europas ist kein Spieleinsatz. Und ein deutscher Bundeskanzler darf kein Zocker sein. Denn er entscheidet im schlimmsten Fall über Krieg oder Frieden."
Merz wies den Vorwurf der Rechtswidrigkeit klar zurück. Der EU-Vertragsartikel 72 eröffne dem nationalen Recht den Vorrang bei einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, sagte er. "Wie viele Kinder müssen noch Opfer solcher Gewalttaten werden, bevor sie auch der Meinung sind, dass es sich hier um eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung handelt?", fragte er.
Zudem sei im Artikel 16a des Grundgesetzes ausdrücklich geregelt, dass sich nicht auf das Grundrecht auf Asyl berufen könne, wer aus einem EU-Mitgliedstaat oder einem Land einreise, in dem die Europäische Menschenrechtskonvention gelte.
Noch schärfer wurde der Schlagabtausch beim Thema AfD. Die Union toleriere die Unterstützung derer, "die unsere Demokratie bekämpfen, die unser vereintes Europa verachten, die das Klima in unserem Land seit Jahren immer weiter vergiften", sagte Scholz. Dies sei ein "unverzeihlicher Fehler".
Seit Gründung der Bundesrepublik vor über 75 Jahren habe es immer einen klaren Konsens aller Demokraten gegeben, mit extremen Rechten nicht gemeinsame Sache zu machen, sagte Scholz. "Sie haben diesen Grundkonsens unserer Republik im Affekt aufgekündigt", warf der Kanzler seinem Herausforderer vor. Merz verwies darauf, dass alle Versuche, mit SPD und Grünen zu einem Konsens in der Migrationspolitik zu kommen, in den letzten drei Jahren gescheitert seien.
Nun wolle er "aufrechten Ganges das tun, was unabweisbar in der Sache notwendig ist". Dafür nehme er auch Bilder von jubelnden AfD-Abgeordneten in Kauf, auch wenn diese "unerträglich" sein werden.
Ob die Union für ihre beiden Anträge eine Mehrheit erhält, war vor der Abstimmung noch unklar. AfD und FDP haben zumindest zu Merz' Fünf-Punkte-Plan Zustimmung signalisiert. Die Union würde mit diesen beiden Fraktionen zusammen auf 362 Stimmen kommen, wenn alle Abgeordneten dafür stimmen. Der Bundestag hat 733 Abgeordnete, die absolute Mehrheit liegt bei 367 Stimmen.
Für einen Beschluss über die Anträge reicht aber die einfache Mehrheit aus. SPD, Grüne und Linke lehnen die Unions-Anträge ab. Das BSW von Sahra Wagenknecht will sich enthalten. Am ehesten könnte der Gesetzentwurf am Freitag durchgehen. Diesem wollen neben Union auch AfD, FDP und BSW zustimmen.
Auch wenn die Anträge beschlossen werden, es würde zunächst nichts ändern. Für die Bundesregierung haben sie keine bindende Wirkung. Kanzler Scholz hat bereits angekündigt nicht tätig werden zu wollen. Er spricht deshalb von "heißer Luft".
Vor Beginn der Debatte gedachten die Abgeordneten der Opfer von Aschaffenburg. Bundestagspräsidentin Bärbel Bas mahnte eine faire Diskussion an. Zuvor hatte auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in einer Gedenkstunde für die Millionen Opfer des Holocaust unter der Nazi-Herrschaft mahnende Worte gefunden. Er warnte vor Rückschritten der deutschen Demokratie - allerdings ohne auf die aktuelle Debatte über eine Zusammenarbeit mit der AfD einzugehen.
"Gehen wir nicht zurück in eine dunkle Zeit. Wir wissen es besser. Machen wir es besser", sagte er und forderte: "Nehmt die Feinde der Demokratie ernst." Kirchen befürchten "massiven Schaden" für die Demokratie Unmittelbar vor der Abstimmung stellten sich die beiden großen Kirchen mit ungewöhnlich scharfen Worten gegen den Unions-Kurs. Die Fraktionen hätten sich mit der Auflösung der Ampel-Koalition verständigt, keine Abstimmungen herbeizuführen, in der die Stimmen der AfD ausschlaggebend seien, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung der Berliner Vertreter der katholischen Bischöfe und des Rats der Evangelischen Kirche.
"Wir befürchten, dass die deutsche Demokratie massiven Schaden nimmt, wenn dieses politische Versprechen aufgegeben wird." Umfrage: Mehrheit gegen komplette Ausgrenzung der AfD Nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov gibt es in der Bevölkerung durchaus größere Sympathien für ein Öffnen der Brandmauer. Danach haben 22 Prozent der Befragten mit einer Kooperation in einzelnen Sachfragen kein Problem. Weitere 30 Prozent meinen, dass darüber hinaus sogar Regierungskoalitionen mit der AfD möglich sein sollten. Eine Minderheit von etwa 42 Prozent sprach sich in der Befragung grundsätzlich gegen eine Zusammenarbeit mit der AfD aus."
Erstmeldung vom 29. Januar 2025: Nach Gewalttat in Aschaffenburg - Migrations-Debatte verschärft sich
Ein offenbar psychisch kranker Mann aus Afghanistan hatte am Mittwoch vergangener Woche einen zweijährigen Jungen mit marokkanischen Wurzeln aus einer Kindergartengruppe mit einem Messer getötet. Ein 41 Jahre alter Familienvater, der sich zwischen Angreifer und Kinder stellte, starb ebenfalls. Weitere Menschen wurden schwer verletzt, darunter ein zwei Jahre altes Mädchen syrischer Abstammung. Der 28 Jahre alte Angreifer war ausreisepflichtig, er befindet sich in einer psychiatrischen Einrichtung. Der Tat ging eine Reihe anderer Attacken voraus, bei denen ebenfalls Ausländer unter Tatverdacht stehen.
Ein Antrag dreht sich um den von Unionsfraktionschef Friedrich Merz vorgelegten Fünf-Punkte-Plan. Gefordert werden dauerhafte Grenzkontrollen zu allen Nachbarländern, ein Einreiseverbot für alle Menschen ohne gültige Einreisedokumente, auch wenn sie ein Schutzgesuch äußern. Ausreisepflichtige sollen inhaftiert werden und Abschiebungen müssten täglich erfolgen. Der Bund soll die Länder beim Vollzug der Ausreisepflicht unterstützen - es sollen Bundesausreisezentren geschaffen werden. Ausreisepflichtige Straftäter und Gefährder sollen in einem unbefristeten Ausreisearrest bleiben, bis sie freiwillig in ihr Heimatland zurückkehren oder die Abschiebung vollzogen werden kann.
Der zweite Antrag trägt den Titel "Für einen Politikwechsel bei der Inneren Sicherheit". Die Unionsfraktion listet hier 27 Punkte auf, etwa Mindestspeicherfristen für IP-Adressen, mehr technische Befugnisse für Ermittler etwa zur elektronischen Gesichtserkennung, einen verbesserten Datenaustausch zwischen den Sicherheitsbehörden, eine Stärkung der Nachrichtendienste sowie härtere Strafen für Angriffe auf Polizisten, Rettungskräfte und Helfer.
Union will mehr Befugnisse für Sicherheitsorgane - "Zustrombegrenzungsgesetz" umstritten
Schließlich steht am Freitag das sogenannte Zustrombegrenzungsgesetz der Unionsfraktion zur finalen Abstimmung. Die Neuregelung soll unter anderem den Familiennachzug zu Geflüchteten mit eingeschränktem Schutzstatus beenden. Die Bundespolizei soll, wenn sie in ihrem Zuständigkeitsbereich Ausreisepflichtige antrifft, aufenthaltsbeendende Maßnahmen durchführen dürfen.
Sollte es bei CDU/CSU, FDP, AfD und BSW am Ende keine Abgeordneten geben, die sich enthalten, dagegen stimmen oder nicht anwesend sind, käme man bei der Abstimmung über den Gesetzentwurf zusammen auf 372 Stimmen. Der Bundestag hat aktuell 733 Abgeordnete. Es würde also reichen. Sollten nicht alle Abgeordneten dieser Parteien mit Ja stimmen, käme es womöglich auf das Abstimmungsverhalten der neun Fraktionslosen an. Die meisten von ihnen gehörten früher der AfD-Fraktion an. SPD, Grüne und Linke tragen keines der drei Vorhaben mit. Die AfD hingegen will ihnen zustimmen, trotz kritischer AfD-Passagen in den beiden Anträgen. Am einfachsten könnte es für den Gesetzentwurf am Freitag werden. Diesem wollen neben Union auch AfD, FDP und BSW zustimmen.
Den Fünf-Punkte-Plan wollen AfD und FDP mittragen. Von BSW-Gründerin Sahra Wagenknecht hieß es gestern hingegen, sie würde nach aktuellem Stand "nicht von einer Zustimmung ausgehen" - dies sei aber noch offen, ergänzte eine Parteisprecherin. Der zweite Antrag zur Sicherheitspolitik findet zwar Zustimmung bei Union und AfD, nicht aber von FDP und BSW.
Auch wenn die Anträge am Mittwoch durchkämen, hätten sie nur appellatorischen Charakter. Kanzler Scholz sagte gestern Abend bei einer Wahlkampfveranstaltung in Berlin, sie würden "erstmal gar nichts bewirken". Umso mehr sei es "empörend", dass die Union entgegen früherer Aussagen in Kauf nehme, dass eine Mehrheit nur mit Stimmen der AfD zustande komme, sagte der SPD-Kanzlerkandidat. Scholz warnte zugleich vor einer schwarz-blauen Mehrheit im Bundestag nach der Wahl.
Wer stimmt für die Gesetzesvorhaben? Mehrheit nicht sicher
SPD-Chef Lars Klingbeil sagte in der ZDF-Sendung "Wie geht's, Deutschland?", er sei "bestürzt", dass wahrscheinlich erstmals in der Geschichte des Landes Union und AfD gemeinsame Sache im Parlament machen. "Das wird unser Land verändern", sagte Klingbeil. Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck appellierte via Instagram an seinen Konkurrenten von der Union: "Tun Sie es nicht, Herr Merz." Habeck sprach von einem "Scheideweg in der politischen Kultur unseres Landes". Die Union begäbe sich in die Fänge der AfD. "Dieses Verhalten jetzt macht Europa kaputt." Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe: "Dass Friedrich Merz just in Zeiten, in denen Europa eigentlich zusammenstehen muss, unsere europäischen Nachbarn vor den Kopf stößt, schadet Deutschland massiv."
AfD-Chefin Alice Weidel sieht sich hingegen mit der Union auf einer Linie. Sie sagte in der ZDF-Sendung "Wie geht's, Deutschland?", der Antrag mit fünf Punkten sei "von der AfD abgeschrieben" und enthalte Forderungen, die ihre Partei bereits seit Jahren vorgebracht habe. Die Vize-Chefin der CDU, Karin Prien, verteidigte ihren Parteichef hingegen. "Ich stehe in der Sache an der Seite von Friedrich Merz", sagte Prien, die dem liberalen Lager der Partei angehört, dem "Stern". "Nur wenn eine Mitte-Rechts-Partei wie die CDU das Migrations-Problem in Deutschland gelöst bekommt, kann das die Erosion unserer Demokratie und den Aufstieg radikaler Kräfte noch abwenden", sagte sie.
CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann sagte der Rheinischen Post, das Land brauche eine "Kehrtwende in der Migrationspolitik" und vor allem einen Stopp der illegalen Migration. Er betonte zugleich: "Ich werde nicht eine Sekunde mit der AfD oder ihren Verantwortlichen zusammenarbeiten. Sonst bin ich nicht mehr hier. Das gilt auch für Friedrich Merz." CSU-Chef Markus Söder verteidigte ebenfalls Merz’ Kurs und das Vorgehen der Union gegen Kritik, für eine Mehrheit Stimmen der AfD in Kauf zu nehmen. Es gehe im Bundestag nun um eine sachlich gebotene Entscheidung. "Es ist auch keine Zusammenarbeit, deswegen wird auch keine Brandmauer fallen", sagte der bayerische Ministerpräsident in der ARD-Sendung "Maischberger".
Kritik an den Vorhaben von Friedrich Merz kam indes nicht nur aus der Politik. Die beiden großen Kirchen stellen sich kurz vor den anstehenden Bundestagsabstimmungen gegen den scharfen Migrationskurs von Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz. In einer Stellungnahme zum Entwurf des sogenannten Zustrombegrenzungsgesetzes erklären die Berliner Vertreter der katholischen Bischöfe und des Rats der Evangelischen Kirche ihn für "nicht geeignet, zur Lösung der anstehenden migrationspolitischen Fragen beizutragen".
Die Union bringe ihren Gesetzentwurf "im Zuge einer aufgeheizten öffentlichen Debatte über die Möglichkeiten der Begrenzung von Fluchtmigration", heißt es darin. Und mit Blick auf den Anlass für die Initiative der Union - eine Reihe tödlicher Attacken, bei denen Migranten unter Tatverdacht stehen, heißt es: "Die beiden großen Kirchen weisen hiermit darauf hin, dass die nun vorgeschlagenen Gesetzesänderungen nach aktuellem Wissensstand keinen der Anschläge verhindert hätten."
Die Todesfahrt über den Magdeburger Weihnachtsmarkt und der Messerangriff von Aschaffenburg vor einer Woche seien offensichtlich von psychisch Kranken begangen worden. "Die Taten zeigen aus Sicht der Kirchen daher ein Defizit hinsichtlich des Informationsaustausches unterschiedlicher Behörden und einen eklatanten Mangel an adäquater Versorgung psychisch Kranker auf." Abgelehnt wird besonders das Ziel der Union, den Familiennachzug zu Geflüchteten mit eingeschränktem Schutzstatus zu stoppen.
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