Krebs bei Kindern: Enna leidet an Gehirntumor - warum die Diagnose so selten ist
Autor: Kyrill Wunderlich, Agentur dpa
Heidelberg (Neckar), Sonntag, 04. Februar 2024
Jährlich erkranken rund 2000 Minderjährige an Krebs. Der Fall der siebenjährigen Enna zeigt: Eine Krebsdiagnose verändert das Leben komplett - ist aber noch "kein Todesurteil". Fortschritte aus der Forschung geben der Familie Hoffnung.
Sie wirft die Arme hoch, hüpft und dreht sich zur Musik im Kreis. Enna mit den wilden braunen Locken ist ein Wirbelwind. Die Siebenjährige wärmt sich auf für das Training der Dancing Moskitos. Das sind Gardemädchen, für die mit dem Karneval die turbulenteste Zeit des Jahres beginnt. Dort tobt sich auch Enna mit Gleichaltrigen aus. Nichts deutet darauf hin, dass das lebhafte Mädchen einen jahrelangen Leidensweg hinter sich hat.
Kurz vor Ennas viertem Geburtstag erhielten sie, ihre Eltern und ihre eineinhalb Jahre ältere Schwester Luisa eine Hiobsbotschaft, die ihr Leben komplett veränderte. Enna hatte zuvor über Übelkeit mit Erbrechen und Kopfschmerzen geklagt. Die Erstdiagnose kindliche Migräne stellte sich als Irrtum heraus, als ein unübliches Wachstum des Kopfes nicht mehr zu übersehen war. Die Magnetresonanztomographie (MRT) brachte dann die traurige Gewissheit: Gehirntumor. "Es war furchtbar, ich konnte nicht mehr atmen, ein beginnender Albtraum", erinnert sich Ennas Mutter Daniela vor dem Weltkrebstag am 4.2. an die ersten Momente nach Erhalt der Nachricht. In dieser Zeit sei sie in Todesangst um ihr Kind gewesen.
Kurz vor 4. Geburtstag: Enna erhält sehr seltene Krebs-Diagnose
Kein Wunder, da Krebserkrankungen bei Minderjährigen sehr selten und mangels kindgerechter Medikamente schwer zu behandeln sind. Ennas Tumor gehört zu den Krebserkrankungen des Zentralen Nervensystems (ZNS), wie der Kinderonkologe Olaf Witt erläutert. "Gliome wie Enna eines hat, sehen wir bundesweit vier, fünf Mal im Jahr", fügt der Mediziner vom Hopp-Kindertumorzentrum (Kitz) in Heidelberg hinzu. Nach Blutkrebs mit fast 30 Prozent stellen die ZNS-Tumore die zweithäufigste Krebsart bei Kindern und Jugendlichen mit einem Anteil von nahezu einem Viertel.
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Für die Familie aus einem hessischen Dorf nahe Frankfurt änderte sich nach Ennas Krebsdiagnose der Alltag radikal. "Ich blieb ein Jahr zuhause, Enna brauchte eine Eins-Zu-Eins-Betreuung, sie konnte wegen der Chemotherapie ja nicht mal die Treppe rauflaufen", erzählt die 40-jährige Sportwissenschaftlerin. Vater Christoph half in den ersten Monaten aus. Enna verlor wegen der Chemotherapie innerhalb weniger Tage all ihre Haare.
Aus Solidarität mit ihrem Kind rasierten sich die Eltern den Kopf, Luisa schnitt sich in Verbundenheit mit ihrer Schwester eine Haarsträhne ab. Der Stolz der beiden Mädchen ist eine riesige Stofftiersammlung. Bei jedem Krankenhausaufenthalt begleitet eines der über 100 Exemplare die kleine Patientin. Ihr Favorit ist ein großer Pinguin: "Der kann sprechen und sich bewegen und Küsschen geben", schwärmt die Erstklässlerin.
Jährlich 2000 Krebsneuerkrankungen bei Minderjährigen
Das Kinderkrebsregister zählt jährlich 2000 Fälle von Krebsneuerkrankungen bei Minderjährigen. Zum Vergleich: 500.000 sind es bei Erwachsenen. Zwanzig Prozent der jungen Patientinnen und Patienten sterben an den bösartigen Wucherungen. Bei Rückfall von Gehirntumoren sind es sogar 90 Prozent. Hinzu kommt, dass sich die Tumore von Kindern und Jugendlichen in sehr viele Untergruppen aufteilen lassen.
ZNS-Tumore etwa haben über 160 Untergruppen. Das ist Fluch und Segen zugleich. Witt, Direktor Translationale Kinderonkologie am Kitz: "Wegen der geringen Patientenzahlen sind Studien schwierig zu realisieren und müssen häufig in aufwendigen internationalen Kooperationen durchgeführt werden. Andererseits werden immer wieder Unterformen gefunden, die gut auf Medikamente ansprechen."