Politologin: Erfolgreiches «Agendasetting» der AfD
Stecken auch Ideologie oder Populismus hinter Gender-Verboten? Die hessische AfD-Fraktion hält Gender-Sonderzeichen für ein «hochideologisches Projekt einer Minderheit» und «falsch geschriebenes Deutsch». Damit täten sich auch «Nichtmuttersprachler» schwerer.
Die Gießener Politologin Dorothée de Nève spricht von erfolgreichem «Agendasetting» der AfD. So finde sich deren Forderung im hessischen Wahlkampf, Gender-Sonderzeichen abzuschaffen, «fast wortgleich» im Eckpunktepapier von CDU und SPD wieder. Dies zeige, «wie weit sich die Christdemokraten und Sozialdemokraten bereits auf den Kulturkampf der AfD eingelassen haben». Auch die Bildungsgewerkschaft GEW in Hessen urteilt: «Ohne Not scheinen die Koalitionsparteien einer populistischen Forderung nachgeben zu wollen. Damit stärken sie den Rechtspopulismus, anstatt ihn zu bekämpfen.»
Hessens Ministerpräsident Rhein geht es nach eigener Aussage «nicht um Kulturkampf und Identitätspolitik, sondern darum, dass der Rat für deutsche Rechtschreibung Regeln vorgegeben hat, die es leichter und einfacher machen, Texte zu lesen». Dieses Gremium hat im Juli vorerst entschieden, Genderzeichen nicht als Kernbestand der deutschen Orthografie einzustufen. In einer neuen Ergänzung führt der Rat zugleich das Gendern im Wortinnern - Doppelpunkt, Unterstrich und Sternchen - auf. Reguläre Zeichen seien diese aber weiterhin nicht.
Hessens Grünen-Fraktionschef Mathias Wagner erklärt: «CDU und SPD haben sicher nicht von der AfD abgeschrieben.» Richtig sei aber, dass Christ- und Sozialdemokraten sich im Sondierungspapier «sehr viel mit Stimmungen und gefühlten Problemen beschäftigen und sehr wenig mit Lösungen für reale Herausforderungen». Die Grünen haben in Hessen bislang mit der CDU regiert - aber nun von ihr einen Korb bekommen.
DJV: Verbote wären «rückwärtsgewandte Angstreaktion»
Die Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) Hessischer Frauenbüros ist gegen ein Gender-Verbot. «Verwaltungssprache muss alle Menschen ansprechen und repräsentieren, unabhängig welches Geschlecht sie haben. Sprache formt unbewusst unsere Wahrnehmung der Welt», teilt die LAG mit.
Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) kennt nach eigener Aussage keine Grundschulen in Hessen, die Gender-Sonderzeichen lehren. An den weiterführenden Schulen sei dieser «Umgang mit Vielfalt» aber ein Thema. Für die Noten sollten Gendersternchen keine Rolle spielen.
Die Goethe-Universität Frankfurt unterstützt das Bemühen «um eine geschlechter- und diskriminierungssensible Sprache». 2021 habe sie dafür Empfehlungen vorgelegt. Generell könnten Hochschulangehörige ihre Sprache jedoch auch öffentlich und dienstlich frei wählen.
Der Hessische Rundfunk wartet «interessiert die Verhandlungen der designierten Landesregierung und das Ergebnis zum Thema Gendern im Koalitionsvertrag» ab. Im hr werde gendersensible Sprache verwendet, «weil sie alle meint, alle zeigt und alle anspricht». Die Art des Genderns sei den Redaktionen des Senders jedoch nicht vorgegeben.
Der Deutsche Journalisten-Verband befürchtet mit Blick auf die Rundfunk- und Pressefreiheit eine politische und rechtswidrige Einflussnahme. Verbote gegen eine gendergerechte Sprachveränderung seien eine «rückwärtsgewandte Angstreaktion».