Faktencheck: Steigen die Politiker-Diäten stärker als die Löhne?

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Der Vorwurf ist alt: Politiker füllen sich die Taschen, während der Normalbürger immer weniger verdient. Doch was ist dran? Wie gerecht ist die Entwicklung der Abgeordneten-Diäten wirklich?

Die Diskussion ist alt - und flammt mit der Zuverlässigkeit eines Schweizer Uhrwerks jedes Mal auf, wenn die nächste Diäten-Erhöhung im Raum steht: Während der Normalverdiener sich mit bescheidenen Lohnzuwächsen begnügen muss, stopfen sich die Politiker die eigenen Taschen voll. Soweit der Vorwurf - doch was ist da dran? Steigen die Abgeordneten-Diäten tatsächlich stärker als der Durchschnittslohn?

Werfen wir einen genaueren Blick auf die Entwicklung der Diäten im Deutschen Bundestag. Während die Abgeordneten früher im Bundestag über eine Diäten-Erhöhung beraten und diese auch mit einer Mehrheit bewilligen mussten, gibt es seit dem Jahr 2016 einen Automatismus: Demnach sind die Diäten an die Entwicklung der Nominallöhne  gekoppelt, die vom Statistischen Bundesamt errechnet werden und sich auf den Nettolohn beziehen. 

Überraschende Entwicklung: Löhne steigen stärker als Diäten?

Kritiker bemängeln, dass so eine öffentliche Diskussion über die Lohnentwicklung bei Politiker vermieden wird: Statt sich dafür rechtfertigen zu müssen, warum ihre Löhne denn steigen sollten, richten sich die Diäten nun also nach der Entwicklung des Lohns des durchschnittlichen Arbeitnehmers. Ausnahmen sind jedoch möglich: So verzichteten die Abgeordneten im Zuge der Coronakrise auf die geplante Diäten-Erhöhung. 

In obenstehender Grafik werden die Bundestags-Diäten mit dem Durchschnittsbruttolohn eines Vollzeitbeschäftigten in Deutschland verglichen. Während der Durchschnittslohn relativ konstant anstieg, sind bei den Diäten bis 2016 größere Sprünge zu beobachten. Betrachtet man die Entwicklung seit 1991, zeigt sich zweierlei: Entgegen der landläufigen Meinung, wuchs der Durchschnittsbruttolohn stärker als die Diäten. Um knapp 88 Prozent stiegen die Diäten zwischen 1991 und 2019 an. Der durchschnittliche Bruttolohn hat sich im selben Zeitraum jedoch mehr als verdoppelt, 118 Prozent mehr Lohn bekommt der durchschnittliche Arbeitnehmer im vergangenen Jahr brutto. Trotzdem - und auch das zeigt die Grafik - wächst der absolute Unterschied zwischen Abgeordneten und Normalverdienern in absoluten Zahlen an: Während Bundestagsabgeordnete 1991 "nur" 3346 Euro mehr verdienten als der Durchschnittsarbeiter, waren es 2019 bereits 5759 Euro.  Dieser Prozess wird sich natürlich weiter verstärken, denn bei durchschnittlich 2,5 Prozent mehr Geld pro Jahr, steigen höhere Einkommen natürlich in absoluten Zahlen deutlich stärker an, als geringere Einkommen. Auch wenn sich die Kopplung der Diäten an den Durchschnittslohn im ersten Moment gerecht anhören mag - auf lange Sicht wird der Abstand zwischen Abgeordnete und Durchschnittsbürger immer weiter wachsen.

Hinzu kommen weitere Einschränkungen: So bezieht sich der Vergleich eben auf den Bruttolohn eines Vollzeitbeschäftigten. Dass jedoch immer mehr Menschen in Teilzeit arbeiten oder sich mit (mehreren) Mini-Jobs über Wasser halten müssen, wird hier nicht betrachtet. Außerdem werden Menschen mit niedrigeren Einkommen stärker durch die Inflation getroffen, da sie einen höheren Anteil ihres Einkommens für den Konsum und die Dinge des täglichen Bedarfs ausgeben müssen. Zumindest die Entwicklung der Steuerlast soll bei der Berechnung der Politiker-Diäten durch den Nominallohn miteinbezogen werden.

Fazit: Die Ungerechtigkeit liegt an anderer Stelle

Was ist also dran am Vorwurf, dass sich Politiker auf unsere Kosten die Taschen vollmachen? Wenn man nur den Mechanismus betrachtet, dass Diäten an den Durchschnittslohn gekoppelt werden, muss man sagen: Nein, der Vorwurf ist so nicht haltbar. Allerdings werden Abgeordnete in absoluten Zahlen sehr wohl immer wohlhabender. Außerdem sind weitere Einkünfte - beispielsweise durch Beraterverträge - hier nicht mit einberechnet und aufgrund fehlender Daten auch gar nicht vergleichbar. 

Die wirkliche Ungerechtigkeit liegt sowieso an anderer Stelle: Denn der Anstieg des Durchschnittslohns wird maßgeblich durch wachsende Einkommen wohlhabenderer Bürger vorangetrieben. Gleichzeitig wächst der Anteil von Menschen, die im Billiglohnsektor arbeiten. Auch der Anteil der Menschen, die in Deutschland von Armut bedroht sind, wächst: von 14 Prozent im Jahr 2006 auf 15,5 Prozent im Jahr 2018 (neuere Daten nicht vorhanden, Quelle Statista). Die Ungerechtigkeit ist also eher zwischen Geringverdienern und Großverdienern zu suchen. Und ja, Politiker gehören mit ihren Diäten definitiv zu Letzteren.