Darf die EU Kriterien für die Festsetzung von angemessenen Mindestlöhnen vorgeben? Das höchste europäische Gericht sagt in einem neuen Urteil Nein. Der Kläger bekommt aber nur teilweise recht.
Die EU hat bei der Festlegung von einheitlichen Standards für Mindestlöhne ihre Kompetenzen überschritten. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg erklärte zwei Bestimmungen in der EU-Mindestlohnrichtlinie für nichtig. Dabei handelt es sich einerseits um Kriterien für die Festlegung und Aktualisierung der Löhne und andererseits um eine Vorschrift, die eine Senkung der Löhne unterbindet, wenn sie einer automatischen Indexierung unterliegen.
Gegen das 2022 von den EU-Staaten per Mehrheitsentscheidung beschlossene Regelwerk hatte Dänemark geklagt. Der Gerichtshof gab dem Land damit teilweise recht. Dänemarks Arbeitsminister Kaare Dybvad Bek sprach von einem «halben Sieg».
Unterstützer der Richtlinie zeigen sich allerdings ebenfalls zufrieden mit der Entscheidung. Das Ziel der Richtlinie, die Stärkung der Tarifbindung, stehe weiterhin auf festem Grund, kommentierte der Vorsitzende des CDU-Sozialflügels und zuständiger Verhandlungsführer im Europäischen Parlament, Dennis Radtke. Auch Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas begrüßte das Urteil, weil es einen Großteil des Regelwerks bestätige. Für Deutschland bedeute das Rückenwind beim Einsatz für angemessene Mindestlöhne, sagte die SPD-Politikerin. Befürworter der Richtlinie hatten nach einem EuGH-Gutachten von Anfang des Jahres auch mit der Option rechnen müssen, dass die Richtlinie komplett für rechtswidrig erklärt wird.
Richtlinie muss nicht abgeschafft werden
Die Richterinnen und Richter urteilten nun, es sei ein unmittelbarer Eingriff in die Festsetzung des Arbeitsentgelts, dass der EU-Gesetzgeber Kriterien für die Festlegung und Aktualisierung der Mindestlöhne aufgeführt habe. Das Gleiche gelte für das Verbot, Löhne bei automatischen Anpassungen durch Indexierung zu senken. Die Höhe der Löhne ist nach den EU-Verträgen Angelegenheit der Mitgliedstaaten.
Zugleich stellte der Gerichtshof klar, dass die Gesetzgebungskompetenz der EU in Lohnfragen nur bei unmittelbaren Eingriffen ausgeschlossen ist und dass sie sich nicht auf alle Bereiche erstreckt, die mit Arbeitsentgelt zusammenhängen. Den unmittelbaren Eingriff sah er nur in den zwei konkreten Fällen. Im Übrigen bleibt die Mindestlohnrichtlinie, die einen Rahmen zur Bestimmung von Mindestlöhnen schafft, dem Urteil zufolge bestehen.
Keine direkte Auswirkung auf deutschen Mindestlohn
Auf die Höhe des Mindestlohns in Deutschland hat die Entscheidung keine direkte Auswirkung, weil diese bislang auf Grundlage des bereits seit 2014 existierenden nationalen Mindestlohngesetzes festgelegt wird. Die Bundesregierung hatte jüngst beschlossen, dass der derzeitige Mindestlohn in Höhe von 12,82 Euro zum 1. Januar auf 13,90 Euro pro Stunde und ein Jahr später um weitere 70 Cent auf 14,60 pro Stunde steigt.
Nach dem EuGH-Urteil sind die EU-Staaten außerdem künftig weiter verpflichtet, auf hohe Abdeckungsraten von Tarifverträgen hinzuwirken. Der Gerichtshof verneinte hier eine Kompetenzüberschreitung der EU. Die Bestimmung verpflichte die Mitgliedstaaten nämlich nicht, zu regeln, dass mehr Arbeitnehmer einer Gewerkschaft beizutreten haben, hieß es.