"In Russland wird eine ganze Generation verheizt - für einen Kriegsverbrecher": Vorsitzender der Sicherheitskonferenz im Interview
Autor: Redaktion
München, Montag, 28. März 2022
Dr. Christoph Heusgen, Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz, spricht im Interview über den Krieg in der Ukraine, die künftige Rolle der Nato und erklärt, warum "Kriegsverbrecher" Wladimir Putin kein verlässlicher Partner mehr sein kann.
Im Laufe der vergangenen 58 Jahre hat sich die Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) zu einem der wichtigsten globalen Foren für die Debatte sicherheitspolitischer Themen entwickelt. Zur Hauptkonferenz kommen jährlich über 450 hochrangige Entscheidungsträger aus aller Welt zusammen, um über aktuelle und zukünftige sicherheitspolitische Herausforderungen zu diskutieren.
Demzufolge stand die Sicherheitskonferenz im Februar 2022 ganz unter dem Eindruck der Russland-Ukraine-Krise. Der Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz Dr. Christoph Heusgen spricht im Interview über die neuen Herausforderungen an die interationale Sicherheitsarchitektur, den Wettbewerb der politischen Systeme und die Frage, ob Sicherheitspolitik auch Langstrecke ist.
Warum wir nicht nur "militärische" Sicherheit brauchen
Herr Dr. Heusgen, Sie blicken auf eine langjährige diplomatische Karriere zurück. Vor diesem Hintergrund möchten wir Sie zuallererst fragen: Welchen Stellenwert haben Demokratie und demokratische Werte für Sie ganz persönlich?
Heusgen: Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sind die tragenden Säulen, auf denen das Gemeinwesen in Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg ruht. Sie bilden auch das Fundament einer seit nunmehr über 75 Jahren andauernden historischen Ära - der längsten Friedensperiode in der Mitte Europas.
Und dennoch: Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sind nicht selbstverständlich. Umso wichtiger ist es, dass wir das, was wir aufgebaut haben, schützen, stärken und an die nächsten Generationen weitergeben.
Anfang 2022 haben Sie den Vorsitz der Münchner Sicherheitskonferenz übernommen. Diese galt bei Kritikern lange Zeit als „Kind des Kalten Krieges“. Warum brauchen wir - gerade jetzt - die Münchner Sicherheitskonferenz?
Ich habe diese Kritik nie verstanden. Die Münchner Sicherheitskonferenz trägt seit ihrer Gründung dazu bei, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit - und somit Frieden - zu gewährleisten.
Durch Putins Angriffskrieg auf die Ukraine, der an den „Großen Vaterländischen Krieg“ zur Bekämpfung des Nationalsozialismus anknüpft, wurden wir gewissermaßen in die Gründungszeiten der Münchner Sicherheitskonferenz zurückgeworfen - in die Gründerzeit der Rückversicherung durch die USA und das transatlantische Bündnis.
Klar ist: Das transatlantische Bündnis spielt auch zukünftig eine zentrale Rolle bei der Münchner Sicherheitskonferenz. Dennoch müssen wir Europäer uns weiterentwickeln und lernen, auf eigenen Füßen zu stehen. Niemand kann garantieren, dass das transatlantische Verhältnis unter einem anderen US-Präsidenten so eng und vertrauensvoll bleibt, wie es jetzt der Fall ist.
Aus meiner Sicht ist es zudem wichtig, den Begriff „Sicherheit“ auszuweiten. Das machen wir auf der Münchner Sicherheitskonferenz, indem wir nicht nur die „militärische Sicherheit“ evaluieren, sondern auch die erweiterten Sicherheitsbegriffe wie unter anderem „Energie und Sicherheit“, „Klima und Sicherheit“ sowie „Gesundheit und Sicherheit“ in den Blick nehmen.