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Von Bataclan bis heute: Wie sich Terror in Europa verändert


Autor: Rachel Sommer, dpa

, Donnerstag, 13. November 2025

Zehn Jahre ist die Terrornacht vom 13. November in Paris mit 130 Toten her. Wie sieht islamistischer Terrorismus in Europa heute aus? Von jungen Verdächtigen, Messern und geografischen Verschiebungen.
Auch zehn Jahre später sind die Spuren der Anschläge vom November 2015 in Frankreich noch deutlich sichtbar. (Archivbild)


Es war ein Schock für Frankreich und ganz Europa: Am 13. November 2015 töteten Islamisten innerhalb weniger Stunden 130 Menschen im Großraum Paris und verletzten 350 weitere. Im Konzertsaal «Bataclan» richteten sie ein Blutbad an, in Bars und Restaurants verbreiteten sie Angst und Schrecken. Zehn Jahre später sitzen die Anschläge, die die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) für sich reklamierte, Frankreich noch immer in den Knochen; die Terrorgefahr bleibt präsent. Doch das Gesicht des islamistischen Terrorismus in West- und Zentraleuropa hat sich seitdem stark verändert. Ein Überblick:

Mehr Einzeltäter statt Gruppen

Laut dem jüngsten Lagebericht von Europol zu Terrorismus in der Europäischen Union wurden im vergangenen Jahr die allermeisten islamistischen Anschläge von Einzeltätern ausgeführt. Auch Terrorexperte Peter Neumann beobachtet diesen Trend: «Vor zehn Jahren hatten wir ja richtige Netzwerke, die sich über Monate hinweg organisiert haben, die miteinander kommuniziert haben, die zum Teil dann natürlich auch nach Syrien gegangen sind, sich dort haben ausbilden lassen, dann zurückgeschickt wurden. Es war alles recht professionell.»

Heute hingegen gebe es fast ausschließlich sehr lockere Netzwerke und in den meisten Fällen Einzeltäter, die sich im Internet radikalisierten. Teils schlügen diese auch auf eigene Faust zu und hofften, dass Terrornetzwerke ihre Tat später für sich beanspruchen würden. «Die Strategieänderung hat deswegen stattgefunden, weil das eben der IS nicht mehr schafft, in Europa solche Netzwerken zu organisieren», meint der Professor für Sicherheitsstudien am Londoner King's College.

Messer statt Bombe

Die Tatwaffen sind mittlerweile oft einfachere. Messer kommen laut Neumann nun wohl am häufigsten zum Einsatz. Auch werde immer wieder versucht, mit Fahrzeugen in Menschenmengen zu fahren. Islamismusexperte Petter Nesser von der BI Norwegian Business School gibt allerdings zu bedenken, dass Dschihadisten auch weiterhin Anschläge mit Bomben planten, diese aber im Zeitraum 2019 bis 2024 deutlich häufiger vereitelt worden wären als Anschlagspläne mit Messern oder Pistolen.

Kleinere Angriffe statt Massenschlag

«Wir sehen, dass die Ambitionen weiterhin da sind, um große Anschläge zu verüben», meint Nesser. Doch dank effizienterer Sicherheitsbehörden würden diese Pläne oft vereitelt und eher kleinere Attacken würden tatsächlich durchgeführt - mit weniger Opfern. «Das ist im Grunde eine taktische Anpassung und nicht die bevorzugte Strategie der Dschihadisten.» Laut den Anschlagsdaten, die Nesser für den Zeitraum 1994 bis Juni 2024 für Westeuropa analysiert hat, starben nur fünf Prozent der Opfer bei Terrorangriffen nach dem Jahr 2018.

Deutschland in Fokus gerückt

Sowohl Neumann als auch Nesser sehen Deutschland inzwischen stärker im Visier von Islamisten. «Deutschland ist mit Blick auf die Bedrohungsstufe auf Platz Zwei in Europa gerückt», sagt Nesser. Frankreich sei weiterhin das Hauptziel, Großbritannien an dritter Stelle. Dabei gehe es vermutlich mehr um die Möglichkeiten, anzugreifen, als darum, dass Deutschland stärker als Feindbild wahrgenommen werde.

Genau zu wissen, wo mehr Anschläge geplant würden, sei aber schwierig, räumt Neumann ein. Auch in Frankreich seien etwa viele islamistische Angriffe verhindert worden. Aber: «Mein Gefühl ist, dass jetzt in den 2020er Jahren der deutschsprachige Raum ganz besonders im Vordergrund steht.» In Deutschland, Österreich und der Schweiz sei nach seinem Gefühl «mehr los» als vor zehn Jahren.

Tatverdächtige werden jünger

Seit Beginn des Jahres wurden in Frankreich bereits Ermittlungsverfahren gegen 17 minderjährige Terrorverdächtige eingeleitet. Vor 2023 seien es gerade einmal zwei bis drei pro Jahr gewesen, sagt der Anti-Terror-Staatsanwalt Olivier Christen dem Sender France Inter. Die Propaganda, die IS und Al-Qaida verbreiteten, entspreche den Codes der sozialen Medien, sei inhaltlich sehr reduziert und dafür sehr visuell. 

Auch Neumann beobachtet: «Wir haben jetzt ganz, ganz viele Attentäter oder versuchte Attentäter, die Teenager sind. Das war vor zehn Jahren eher die Ausnahme.» Europol zufolge stieg die Zahl der Minderjährigen und jungen Menschen, die 2024 an extremistischen Taten beteiligt waren, erneut. «Psychische Gesundheitsprobleme, gesellschaftliche Vereinsamung und digitale Abhängigkeit waren wichtige Faktoren für die Radikalisierung dieser jungen Menschen.»

Weniger getrieben von Ideologie?

Für Neumann stellt sich mit dem jüngeren Alter der Tatverdächtigen auch die Frage, ob es sich etwa bei 13-Jährigen noch um klassische islamistische Radikalisierung handle. «Wie weit geht es da tatsächlich um politische Inhalte und inwieweit ist es einfach nur so eine Art Gewaltfantasie?» Frankreichs Innenminister Laurent Nuñez meint gar, die Grenzen zwischen verschiedenen extremistischen Ideologien sei inzwischen porös. «Ich rede vom Rechtsextremismus und dem radikalen Islamismus und Jugendlichen, die sich auf das ein oder das andere beziehen, weniger aus Ideologie als aus Faszination für die Gewalttat.»

Auch wenn Islamismusexperte Nesser glaubt, dass diese jungen Verdächtigen sich nicht wirklich mit der Ideologie identifizieren können, spielt der ideologische Kern aus seiner Sicht weiterhin eine entscheidende Rolle. Junge Menschen würden von Älteren ausgenutzt. Und die wiederum seien stärker in die ideologischen Netzwerke eingebunden. Er betont zudem: «Die Terroristen greifen noch immer Ziele an, um eine politische Botschaft auszusenden.»